№ 1.
Im Osten am 23. Mai 1942.
Meine liebe kleine [Ella]!
Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 15.5.42. Er trug die № 4.
Verbrochen hast Du garnichts, [Ella]chen. Und besser als Du bin ich schon garnicht! [sic] Du [Ella]chen, lassen wir den Kram vergessen sein – ist doch viel besser so.
Ich will Dir jetzt mal ein wenig ausfürlicher [sic] über mein neues Tätigkeitsfeld berichten. Ich [sic] dieser neuen Einheit bin ich stellvertretender Furier (Verpflegungsminister) geworden. Ich gehöre folgedessen mit zum Küchenpersonal; und fühl mich äußerst wohl dabei. Von Krieg spürt man hier nichts mehr. Dies ist hier, wie der Landser sagt, eine Art Lebensversicherung. Wenn Du nun nicht wissen solltest, was son [sic] Furier zu tun hat, mußt Du es mir schreiben.
Diesen Brief hab ich nun wieder mit Unterbrechung geschrieben. Wir haben schon den 2. Feiertag. Es ist jetzt nachmittag [sic] und ich bin zu Hause geblieben. Die anderen Kameraden sind spazieren gegangen. –
Du [Ella]chen, in diesen Tagen hab ich mir [sic] selbst, wie ich so sagen möchte, wiedergefunden. Man hat wieder ein geregeltes Leben, hat seine tägliche Arbeit und satt zu essen und zu trinken. Mann [sic] kann also zufrieden sein in Anbetracht der Zeit. Aber jetzt hat sich was neues [sic] eingestellt. Man nennt sowas, glaub ich, Heimweh. So gefährlich wie das nun klingt ist es nun auch wieder nicht. Aber es ist da, Weißt Du ich möchte mal wieder in den Grüppen sein. In den herrlichen Buchenwald den wir in Escheburg doch gerade vor unserer Haustür haben. Mutter schreibt, der ist jetzt wieder so schön grün, und die Kirschbäume stehen auch in voller Blüte. Und die Bienen und die dicken Hummeln summen da drin. Und abends ist die Luft immer so schön und die Maikäfer fliegen. – All so etwas gibt es hier in Rußland nicht. Hier gibt es nur Birken und Tannen. Wenn ich so aus dem offenen Fenster schaue, fällt mein Blick auf so eine wunderhübsche junge Birke. Daneben stehen oder vielmehr liegen noch zwei. Die hat wohl jemand umgelegt oder was weiß ich. –
Jetzt wollen wir man mal lieber an was anderes denken. Dein Bruder hat ja jetzt leider seinen Urlaub hinter sich. Ich hab ihn ja nun noch vor mir. Frägt sich blos [sic] noch, wann. Und bis dahin mein liebes [Ella]chen wollen wir man noch ruhig die Ohren steif halten. Und wenns dann so sein soll und sich dann nicht mehr vermeiden läßt, wird die [Ella] festgenagelt. Vorausgesetzt daß sie sich das gefallen lässt –
Hu, wird das fein.
Viele Grüße und Küsse
Dein [Albert]
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Albert Müller
Albert Müller wurde 1919 geboren. Seine Familie kam aus Escheburg in Schleswig-Holstein. Auch in anderen schleswig-holsteinischen Orten hatte er Verwandtschaft. In seinen Briefen machte Albert Müller oft Andeutungen, dass es Geheimnisse bezüglich seiner Eltern gebe, die er erst später preisgeben
Lohbrügge
Der Briefwechsel von Ella und Albert Müller befindet sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Erhalten sind fast 900 Briefe und Postkarten. Gesammelt wurden sie von Ella Müller, die Briefe von ihrem Ehemann, aber auch von Familienangehörigen aufbewahrte, zum Teil