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[NGM-400925-004-01]
Briefkorpus

Nr. 1. 1

Neuengamme, d. 25. Sept. 40.

Mein lieber [Heinrich]!

Gestern bekam ich Deinen Brief vom 19. Das ging ja nun verhältnismäßig wieder etwas schneller. Dafür werde ich nun aber auch wohl umso länger warten müssen. Ist es nicht besser, wenn wir unsere Briefe numerieren [sic], dann können wir besser kontrollieren, ob auch alle überkommen. Ich will heute einmal damit anfangen. Daß Du zu Deinem Geburtstag keine Post bekommen hast, ist ja sehr betrüblich. Ich hatte mir die größte Mühe gegeben. Am 15. (Sonntag) hatte ich Deinen Brief u. damit Deine Feldpost-Nr. erhalten. Um 1 Uhr hatte ich dann schon wiedergeschrieben, u. der Brief ist noch am Sonntag aus Bergedorf abgegangen, weil ja von Neuengamme aus nachmittags keine Post mehr befördert wird. – Ernst R. erzählte mir übrigens, daß bei Ihnen [sic] die Urlauber die ganze Post von der Schreibstube empfingen u. mitnehmen, u. dann in Hamburg in den Kasten stecken. Da ja jeden Tag ein Urlauber abfährt, seien ihre Briefe schon in zwei Tagen beim Empfänger. Könnt Ihr dort nicht auch so etwas einrichten? Du hast das Rauchen also jetzt auch schon angefangen! Da muß ich Dir wohl auch mal Zigaretten schicken!? Oder war es nur einmalig am Geburtstag? Der Genuß an einer Zigarette muß sich ja bei Dir jetzt auch einge-

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funden haben, sonst würdest Du ja nicht an Deinem Geburtstag damit angefangen haben. Du schreibst immer so wenig u. immer auf so kleinen Feldpostbriefen. Da habe ich mir heute einmal erlaubt, Dir etwas Schreibpapier mitzuschicken und gebe Dir gleich ein Beispiel, wie ein solcher Bogen beschrieben werden muß. Gestern war das Papier ja schon etwas umfangreicher, aber nur immer eine Seite beschrieben. Ich glaube fast, es wäre besser gewesen, wenn wir noch nicht verheiratet gewesen wären, noch besser glaube ich, noch nicht einmal verlobt, dann würdest Du Dich wohl etwas mehr angestrengt haben. [*] Vorgestern abend war ich in unserer Wohnung u. habe einmal wieder in den Briefkasten geguckt. Und was fand ich, einen Brief von Deinem Vater. Der war schon am 14. geschrieben (es kann auch schon der 12. gewesen sein) Er hatte also schon eine ganze Weile dort gesteckt. Ich war wohl schon öfter in unserer Wohnung gewesen, Sonnabend hatte ich z.B. einmal wieder sauber gemacht, aber ich hatte den Briefkasten gar nicht beachtet, weil ja meistens doch nur Rechnungen drin sind. Dein Vater bedankte sich im Namen Deiner Mutter für meinen Geburtstagsbrief u. die Bilder. Dann schrieb er, daß ihm Frau K. erzählt hätte, ihr Sohn u. Du u. noch zwei Hamburger seien zusammen weggekommen, ich möchte ihnen doch einmal darüber schreiben, u. ihnen Deine neue Adresse mitteilen. Zum Geburtstag hat Vater Dir noch in die Kaserne geschrieben, er glaubte aber, daß Dir die Post nachgeschickt würde. Hast Du sie bekommen? Da der Brief nun so lange bei mir im Briefkasten lag, ist die Sache ja überholt, denn Du wirst sicher schon nach Haus geschrieben haben.

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Ich werde aber trotzdem Deinen Eltern noch einmal schreiben. Vorgestern habe ich übrigens an W.s geschrieben und ihnen die Bilder ein Bild von unserer Hochzeit geschickt, und zwar das Brustbild auf der Bank, weil Du da am schönsten geworden bist. Außerdem ist es ja auch schöner, wenn sie dort nicht alle das gleiche Bild haben.

Für Sonntag d. 29. hatten wir H. Familie H. eingeladen. Hi. sagte mir nun heute telefonisch, daß ihr Freund in der Zeit vom 1.-6. Oktober eingezogen würde, da wollte sie lieber den letzten Sonntag noch mit ihm zusammen sein. Ob nun die übrige Familie H. alleine kommt, weiß ich noch nicht.

Von Herrn Sch. bekam ich vorgestern ein Päckchen mit Kaffee. Den Kaffee sollte ich mit meinem Gatten zusammen austrinken. Aber dann würde er inzwischen wohl zu sehr abgezogen sein. Wir wollen ihn uns man lieber jetzt schon gut schmecken lassen. Übrigens, weißt Du, was mir da neulich so plötzlich in den Kopf schoß!? Ich muß im zum Winter einen neuen Hut haben. Dort gibt es sicher noch so schönen weichen Velour. Könntest Du mir nicht einmal so eine ungepreßte Hutglocke schicken? Du kennst doch meinen Wintermantel, in dunkelblau müßte sie sein. Die würde ich mir dann hier zurechtmachen lassen. Als Marlehn W. damals in Italien war, konnte sie dort auch so schöne weiche Velourhüte, ungepreßt, also noch kein fertiger Hut, kaufen. Solche Qualitäten konnte man damals schon nicht einmal mehr in Deutschland kaufen. Jetzt sind sie ja aber noch viel schlechter geworden und viel teurer. Unter RM 30,- bekommt man überhaupt keinen. Versuch es bitte mal. Wenn Du ihn dann nicht schicken kannst, so kann

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so kann ihn ja vielleicht ein Urlauber mitbringen, jedenfalls ist das hier schon sehr häufig gemacht worden. Sonst würde man auch wohl sicher Zoll bezahlen müssen, oder wie ist das?

In den letzten beiden Nächten sind die Engländer wieder hier gewesen. Einmal von ½ 12 Uhr bis 4 Uhr u. letzte Nacht war nach zwei Stunden Entwarnung, aber hinterher ist auch noch wieder bös geschossen worden. Von besonderen Schäden habe ich nicht gehört. Hauptsächlich sollen sie ja wieder in Berlin gewesen sein. Vorher hatten wir nachts eine ganze Weile Ruhe.

Daß Du Dir da auch wieder einen Bluterguß zugezogen hast, ist ja schrecklich. Aber um das Krankmelden bist Du doch sicher nicht herumgekommen, denn Dienst machen konntest Du doch mit dem dicken Fuß sicher nicht. Was haben wir beide bloß für elendige Füße. Ich habe ja allerdings jetzt schon eine ganze Zeit nichts mehr mit meinen Füßen gehabt, habe ja aber auch eigentlich wenig Gelegenheit dazu, denn meistens geschieht so etwas ja beim Sport, oder bei sonstigen stürmischen Angelegenheiten. Da ich ja jetzt immer nur ganz sachte ins Geschäft hin- u. zurückfahre, werden die Füße ja auch wenig in Anspruch genommen. Aber hoffentlich werden unsere Kinder nicht solche Jammergestalten, sondern bekommen etwas stärkere Knochen. Die müssen wohl tüchtig mit Kalktabletten gefüttert werden. Günter hat inzwischen auch schon wieder drei Tage im Bett gelegen. Er hatte in allen Gliedern Schmerzen, wenn er auftrat, tat ihm die Brust weh, dabei hatte er an einem Abend 39,1˚ Fieber. Der Doktor ist zweimal bei uns gewesen. Gestern morgen ist Günter nun zum Untersuchen u. Durchleuchten bei ihm in der Sprechstunde gewesen. Er hat Herz u. Lunge untersucht.

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U.a. hat Günter auch Luftausatmen müssen u. dabei den ist das Fassungsvermögen festgestellt worden. Och, da habe ich aber reingepustet, sagt Günter. Da hat der Doktor gesagt, nein, Du kannst nicht lungenkrank sein. Auch sein Herz war gesund. Er sollte sich etwas mässigen beim Sport, er sei zu schnell gewachsen. Gestern abend mußte er natürlich schon wieder zum H.J.-Dienst. Daß Papa u. Mutti das immer zulassen, kann ich nicht verstehen.

Letzten Sonntagabend war ich wieder bei Timmanns im Kino, mit Grete, Mutti u. Papa. Es wurde der „Edelweißkönig“ gegeben. Es war ein ganz netter Film. Er spielte im Hochgebirge, u. allein schon die Aufnahmen waren herrlich. Zu allen Tageszeiten wurden wir in die schöne Gegend geführt. Lichtwirkungen wurden natürlich aufs Höchste ausgenutzt. Die Handlung war auch ganz schön u. spannend. Es ist nach einem Roman von Ganghofer gedreht. Natürlich kommt sehr viel „mit Liebe“ und Verwicklung h drin vor, aber das findet man ja auch fast überall u. macht ja doch auch eigentlich das Schöne.

Ich wollte Dir gern einmal ein kleines Buch schicken. Da habe ich gestern von Knut Hamsun „Pan“ gekauft. Ich wollte es schon abschicken, aber dann dachte ich, ich wollte es erst lieber erst einmal selbst lesen. Es wurde mir im Ge Laden sehr empfohlen. Ich kenne von Hamsun gar nichts. Ich habe nun gestern abend etwas drin gelesen. So sehr hat es mir eigentlich nicht gefallen. Die Schilderungen der Natur, u. so einzelne Beobachtungen u. Betrachtungen sind sehr hübsch, aber im Ganzen bin ich nicht begeistert davon. Und dann immer diese ewigen Bemerkungen: ich schreibe nur zum Zeitvertreib, nur um die Zeit zu verkürzen u. zu meinem Vergnügen. Ich will noch mal weiterlesen. Wie ist es überhaupt dort. Werden die Bücher von Mann

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zu Mann dort weitergegeben, oder behältst Du es für Dich? Es ist nämlich an u. für sich ein schön eingebundenes Buch u. ist auch gar nicht so billig gewesen. Wenn es dann dort die Runde machen würde, wäre wohl bald alle äußerliche Schönheit davon u. man könnte es in unserem Bücherschrank nicht mehr sehen lassen. Vielleicht ist es doch wohl besser, wenn ich Dir einige geheftete Sachen schicke, die Du dann dort wegschmeißt. Schreib mir doch bitte mal, wie Du hierüber denkst. Vielleicht hast Du ja auch gar keine Zeit zum Bücherlesen u. hast genug mit Deinen Briefen zu tun u. mit den Zeitungen u. Zeitschriften, die ich Dir schicke. War nicht die letzte Zeitung „Das Reich“ wieder sehr schön? Papa hat den ganzen Sonnabendnachmittag u. Sonntag drin gelesen. Ihn hat alles sehr interessiert.

Wie steht es denn bei Euch mit dem Wetter? Hier regnet es fast jeden Tag mehrmals heftig, zwischendurch schönster Sonnenschein. Ich bin häufiger schon wieder sehr naß geworden.

So, mein lieber Mann, nun habe ich Dir wirklich einen langen Brief geschrieben u. ich hoffe, daß Du Deinem Frauchen nicht nachstehen wirst, u. ihr einen ebenso langen wieder schreibst, der dann von Dir aus Nr. 1 wird.

Gute Besserung für Deinen kranken Fuß! Wie konnte das nur in dem großen Stiefel passieren. Das nächste Mal mehr Glück für Euren Sonntagsbraten.

Herzliche Grüße

von Deiner [Hannelore]

[* = großes Ausrufezeichen am linken Rand]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost