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[NGM-401009-003-01]
Briefkorpus

11.

9.X.40.

14.X.40 [*]

Meine liebe [Hannelore]!

Jetzt habe ich mir was Großes vorgenommen, nämlich einen von Dir geschenkten Briefbogen. Ob ich ihn füllen werde, weiß ich noch nicht, aber ich habe es mir vorgenommen, und das trotz des gestern geschriebenen Briefes. Und nun laß Dich beim Lesen nicht von Langeweile überrumpeln. Lies und staune! Gestern nachmittag wollte ich mich gerade an die Arbeit begeben, da trat ein Wachtmeister frisch herein geschneit und sagte: „Was, Ihr habt keine Lust zum Reiten!“ Unser Uffz. antwortete: „Ja, ich habe schon Lust, aber keine Zeit, ich bin unabkömmlich!“ „Und wie ist es mit Ihnen?“ fragte der Wachtmeister 2 Kameraden. „Wir können nicht reiten.“ antworteten diese. „Dann kommen Sie mit!“ sagte der Wachtmeister zu mir, wie er mich 5 Sekunden gemustert hatte. „Herr Wachtmeister, ich habe auch noch kein Reiten gelernt!“ war meine Antwort. „Los, Koppel umgeschnallt!“ 1 Minute später saß ich hoch zu Roß! Das Besteigen des Wallaches war schon ein Akt für sich. Er wollte überhaupt nicht stehn [sic] beim Besteigen. Der Wachtmeister sagte schon: „Lassen Sie ihn bloß nicht laufen, sonst sind Ihnen drei Tage gewiß.“ Und dann ging‘s hinein ins Dünengelände, zuerst im Schritt, dann im Trapp b (so schrieb sich ein Kamerad), es ging bergauf, bergab, in lockerem und in festem Sand. Es war doch ein komisches Gefühl, im Sattel zu sitzen. Wohl hatte ich mich als Junge zu Hause häufig auf ein Pferd gesetzt, aber ein besatteltes Pferd hatte ich bislang noch nie bestiegen. Der Wachtmeister blickte sich häufig um, um sich wohl nach meinem Vorhandensein zu überzeugen. Auch die anderen Kameraden lenkten oft interessierte Blicke auf mich. Und dann gings einen steilen Abhang hinab ins graue Wattenmeer. Die Pferde trabten eine Zeitlang, dann wurde zum Galopp angesetzt und schließlich zum Rennen freiweg. Der Wind sauste um die Ohren, der Sand spritzte ins Gesicht, die Pferde schnoben und wir erfreuten uns des Reitens. Anschließe Mein Pferd war nicht der beste, aber auch nicht der schlechteste Renner. Anschließend an diesen erfrischenden Sport mußten wir die Pferde ins Wasser führen. Mein Roß scheute anfangs in den Wellen, es sprang immer wieder zur Seite, wie es aber einige Schrittmacher hatte, da kriegte ich ohn es auch ohne Sporen ins tiefere Wasser. Trotz Anhebens der Beine hatte eine Welle sogar Wasser in meine Stiefel geschlagen. Beim Traben durch das flache Wasser wurden Roß und Reiter reichlich mit Spritzern übersät. Ein Kamerad meinte: „Es wäre schön gewesen, wenn ich mal ins Wasser geplumpst wäre.“ Ich habe sie aber vor einer Lachsalve bewahrt. Unser Reiten ist sogar verewigt, nämlich im Foto festgehalten worden. Ich bin doch gespannt, was für eine kümmerliche Reitergestalt ich darstelle. Das ist auch gleich, jedenfalls hat mir das erste Reiten Spaß gemacht. Ob und wann wieder einmal ein solcher Nachmittag steigt, liegt außerhalb meines Machtbereiches. Hoffentlich bald!

Da habe ich Dir einigermaßen eine Stunde des gestrigen Dienstes auseinandergepflückt. Weil er mir so neu und interessant war, weil er nichts mit Geheimhaltung zu tun hat, deswegen habe ich ihn ausführlich wiedergegeben. Anschließend hatte ich Hausdienst, mußte überaus notwendige Säuberungsaktionen vornehmen, aber ich weiß nicht, ob es am Platze ist, mich hier darüber auszulassen. Es waren nämlich Aborte und Badezimmer zu reinigen, in beiden Fällen lag eine Verstopfung vor. Gefreut habe mich auch, als ich bei beiden Anlagen normalen Abfluß melden konnte. – Der gestrige Dienstplan brachte mir dann eine besondere Botschaft; lange Standortwache. Jetzt befinde ich mich in der Wachstube, in einer halben Stunde muß ich für mich für 2 Stunden vor der Abteilung aufbauen. Das Präsentieren des Gewehrs ist mir nun noch völlig neu. Aber es wird schon schief gehen [sic]! Morgen um 13 Uhr ist die Wache wieder vorbei. Hoffentlich komm ich nicht so schnell wieder dran. – Nun ist mein Mitteilungsvorrat schon wieder verschossen, und der Bogen will und will nicht voll werden. Die Kameraden um mich quasseln auch so viel, daß ich gar nicht überlegen kann. Außerdem liegen vor mir Weintrauben, die noch schnell verputzt werden müssen. Vorläufig mache ich Schluß mit dem Schreiben.

Herzliche Grüße

Dein [Heinrich]

[* = andere Handschrift, wohl notiertes Empfangsdatum]

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Autor Heinrich Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Heinrich Wilmers

Abbildung von der Vorderseite eines Notizbuchs in Leder von Heinrich Wilmers.
Ba-NGM K02.Pf1_A4, Notizbuch Heinrich Wilmers, Datum und Ort unbekannt.

Heinrich Wilmers wurde 1907 geboren. Seine Eltern waren Bauern in Niedersachsen. Er und seine Geschwister waren sehr in die Arbeit auf dem Hof eingebunden. Er hatte zwei Schwestern und drei Brüder, die ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen waren. Ein Bruder fiel 1944. Heinrich Wilmers war Lehrer, erst

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost