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[NGM-401011-003-01]
Briefkorpus

13.

11.X.40.

18.X.40 [*]

Meine liebe [Hannelore]!

Vor einer Stunde haben 1 Kamerad und ich die Post von der Abteilg. geholt. Es ist nun mal so, daß man täglich seinen Namen beim Austeilen der Postsachen hören oder sehen will. Sobald nämlich der Postsack auf den Tisch ausgeschüttet ist, stürzen sich anwesende Kameraden wie Aasgeier übers Fressen darüber her. Nachdem ich gestern Nr. 4 (Karte) und 5 (Päckchen) erhalten habe, sind heute Nr. 6 und 8 eingetroffen. Ich freue mich sehr, daß Du mir so eifrig schreibst, und durch Päckchen erfreust. Der Inhalt der Päckchen kommt stets gut erhalten an, nur die braunen Kuchen scheinen stark durstig (hygroskopisch )zu sein, sie sind ganz und gar weich. Die Äpfel sind druckfrei und schmecken sch wunderbar; auch hier kann man Äpfel und Birnen kaufen, aber der Geschmack ist nicht so gut. Da kaufe ich mir hier lieber Weintrauben, so dicke blaue, das zur 40 . Zu gerne würde ich Dir die dicksten in den Mund stecken wie im vorigen Jahr, aber die Möglichkeit fehlt mir. Und schicken kann ich Dir wohl auch keine. Ich freue mich über Deine Einstellung zu meinem Rauchen; in Wirklichkeit kann ich mein seltenes Qualmen gar nicht mit Rauchen bezeichnen. Die meisten Zigaretten, die ich von der Battr. erhalte, verschenke ich noch. In der letzten Zeit werden nur belgische Zigaretten ausgeteilt, die sind stärker als deutsche, und viele Kameraden sind auf deutsche sehr begierig. Ich sehe nicht ein, daß ich Deine Zigaretten noch mit verschenke, und zum Krämer tauge ich nichts. Verstehe es bitte nicht falsch. Der Inhalt eines Beutelchens, ein Kuchen schmeckt mir besser.

Ich bin endlich befriedigt, den Empfang der ersten Päckchen von Dir bestätigt zu bekommen. Dauert das doch lang, bis so ein kleines Päckchen den Weg von H hier nach Hamburg gemacht hat! Allerdings sind ja hunderte von Päckchen in den letzten Tagen vorigen Monats der Beförderung aufgegeben, wodurch dann leicht eine Verzögerung in der Bewältigung eintreten wird. Deine Päckchen benötigen auch stets einige Tage mehr als die Briefe. Inzwischen werden gewiß die restlichen Päckchen dort angekommen sein.

Heute schickst Du mir Muster für meinen Pullunder mit. In den nächsten Tagen werde ich sie mit kritischen Augen betrachten. Ich glaube aber jetzt schon, daß ich mich für Nr. 1 (grobe Zopfstrickmuster) entscheiden werde. Ich finde, es kann für den Mann ruhig grob aussehen. Mein jetziger Pullunder, den ich hier trage, hat ein Quadratmuster, deswegen bin ich für Nr. 2 nicht sehr begeistert. Schwierig wird es für mich sein, Dir die Maße mitzuteilen, da ich kein Zentimetermaß habe, außerdem weiß ich nicht, wie weit jedesmal gemessen werden muß. Und die Kameraden hier haben bestimmt nicht mehr Ahnung, denn ein Schneider ist nicht unter uns. Vielleicht weißt Du eine Möglichkeit. Die Maße des Pullunders werde ich Dir bald aufgeben, ob Du damit was anfangen kannst, bleibt dahingestellt. Das Stricken des Pullunders eilt nicht; ich möchte Dir damit keine Last aufgebürdet haben, Dich vielmehr eine Freude empfinden lassen, das erste Bekleidungsstück für mich anzufertigen. -

Du schreibst fragst an wegen Überweisens z von Geld. Ja, liebe [Hannelore], was soll ich mit dem Geld anfangen? Große Pakete kann ich nicht schicken (Du weißt ja, daß im Monat nur 4 Päckchen zugelassen sind), sie einem Urlauber mitzugeben ist erlaubt, aber der Urlauber hat meist schon seine Last mit den eigenen Sachen, außerdem sind den jetzigen Urlaubern andere Kameraden näher bekannt und werden infolgedessen eher berücksichtigt. Neulich hielt ich auch einen Urlauber um Mitnahme eines kleinen Päckchens an, aber leider vergeblich. Und ich muß sagen, wäre ich Urlauber, würde ich mich auch nur mit eigenen Sachen belasten. Für Gold- und Silbersachen kann man ja allerlei Geld loswerden, aber es wurde vom Kauf dieser Sachen stark abgeraten. Und was soll ich da gerade kaufen. Den Gedanken an eine goldene Uhr habe ich hier fallen lassen, weil man nachher in Deutschland Reparaturschwierigkeiten haben wird. Du weißt doch, daß wir als Frontsoldaten auch die Frontzulage erhalten. Mache Dir keine Sorgen, wir leben hier nicht schlecht. Ein Kamerad hat sich beispielsweise zum heutigen Abendbrot 4 Spiegeleier zubereitet. Das kostet hier 14. Butter ist allerdings im freien Handel nicht zu haben, Wurst und Käse sind zu kaufen. Seife ist in keinem Geschäft zu erwerben, ich gerate fast selbst in Schwierigkeit. Meine Rasierseife reicht noch für Monate. Ich freue mich, demnächst Zahnpasta benutzen zu können. Hier gibt es für die Zähne ein Reinigungspulver, das ich nicht benutzen wollte. Heute ist es mir endlich gelungen, Füllhaltertinte zu schnappen. Es hat mir manchmal leid getan, Dir Briefe mit dem Blei- oder Blaustift zu schreiben. – Leider ist Deine Erkältung auch zu mir gelangt, mich plagen augenblicklich starke Halsschmerzen, da Du glücklicherweise wieder schnell davon frei geworden bist, habe ich die gleiche Hoffnung. – Am heutigen Tag war hier wunderbares Herbstwetter. Die See lag ruhig da, der Verkehr war entsprechend groß. Auch in der Luft war stärkere Fliegertätigkeit. Am Tage erscheint der Tommy ganz selten, wenn schon, so fliegt er in sehr großer Höhe. Während der Dunkelheit wagt er sich mehrmals in diesen Luftraum, aber auch nur vereinzelnd. Heute abend (jetzt ist es reichlich 10 (22) Uhr) war er schon zweimal hier. Aber solch kümmerliches Erscheinen kann uns überhaupt nicht mehr erschüttern. Da war es vor 4 Wochen doch noch anders, als die abgeworfenen Bomben die Grundmauern unseres Hauses erzittern ließen, als die Flak ein gewaltiges Donnerwetter heraufbeschwor. Jetzt ist anscheinend der Tommy für unsere Gegend weniger interessiert, oder er ist stark flügellahm geworden. Es ist furchtbar, wenn der Krieg über eine Gegend hinweggeht. Ostende bietet teilweise einen trostlosen Anblick. Wie erst mag London aussehen? Aber gewollt, ist gewollt!

Herzliche Grüße und gute Nacht, süßes Frauchen.

Dein [Heinrich].

[* = andere Handschrift, wohl notiertes Empfangsdatum]

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Autor Heinrich Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Heinrich Wilmers

Abbildung von der Vorderseite eines Notizbuchs in Leder von Heinrich Wilmers.
Ba-NGM K02.Pf1_A4, Notizbuch Heinrich Wilmers, Datum und Ort unbekannt.

Heinrich Wilmers wurde 1907 geboren. Seine Eltern waren Bauern in Niedersachsen. Er und seine Geschwister waren sehr in die Arbeit auf dem Hof eingebunden. Er hatte zwei Schwestern und drei Brüder, die ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen waren. Ein Bruder fiel 1944. Heinrich Wilmers war Lehrer, erst

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost