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[NGM-401116-003-01]
Briefkorpus

35.

16.XI.40

21.11.40. [*]

Meine liebe [Hannelore]!

Es ist Wochenend! Heute habe ich besonders viel an Dich gedacht, Deinen Tagesablauf in Gedanken verfolgt, Vermutungen über Dein Wochenend aufgestellt, usw. usw. Und wo magst Du nun wohl in Wirklichkeit sein? Am Ende nächster Woche werde ich es auch wieder durch einen Brief von Dir erfahren, nicht wahr? Die Uhr ist schon wieder 2200. Die Abende sind hier immer so kurz, man hat tagtäglich noch soviele andere Arbeiten zu erledigen, so daß man abends höchstens einen Brief schreiben kann. Da ich Dir gerne einen Brief zukommen lasse, müssen andere zurückstehen. Morgen nachmittag werde ich wohl noch Zeit zum Schreiben finden, unbestimmt ist es aber durchaus noch. Heute Abend bin ich ganz allein, die beiden Kameraden haben Wache, morgen blüht mir das gleiche Glück. Wenn sonst beim Schreiben schon kaum einer den Mund öffnet, so ist es jetzt im Zimmer völlig lautlos. Nur der Wind heult im Ofen und draußen, er peitscht einige Regenspritzer gegen die Scheiben. Hoffentlich bleibt in nächster Zeit die Witterung im ganzen friedlicher Natur, denn draußen bei Regenwetter Dienst machen, bringt komische Laune. Allerdings habe ich ja meine neuen Stiefel, die mir gute Dienste erweisen, aber dennoch dringt der Regen sonstwo bis auf die Haut durch. – Heute abend war ich schon Ofensetzer. Auf unserem Bau hatten wir einen fürstlich qualmenden Ofen, den wir im Laufe des Tages durch einen anderen ersetzt haben. Dieser brennt ausgezeichnet, er hat sehr viel Zug, hoffentlich läßt er uns die Wärme. Ja, ja es ist sehr interessant, sich in Feindesland ic häuslich einzurichten. Ich möchte Dir zu gerne unsere Wohnung zeigen, Du würdest bestimmt staunen. So was hast Du noch nicht gesehen, aber schön nach Soldatenart ist sie doch.

Habe ich Dir eigentlich schon, doch ich habe Dir das mitgeteilt, daß ich hier, vielmehr in Belgien, einen „Alten Herrn“ meiner ehemaligen Verbindung getroffen habe. –

Heute habe ich mal wieder eine neue Frontzeitung in die Hand bekommen, sonst lebte man in diesen Tagen und Wochen wie auf dem Mond. Man hörte überhaupt nichts von den Vorgängen in der Politik und in der Kriegsführung. Die Vergeltungsangriffe gegen London werden ja immer noch fortgesetzt. Der OKW Bericht brachte ja die Meldung von der Zerstörung wichtiger Fabriken für die Flugzeugindustrie. Schiffe werden ja weiterhin versenkt. Hier in Feindesland geht mir erst richtig auf, welche Werte der Krieg verschlingt. –

Kommissar Molotow hat der Zeitung nach sehr wichtige Besprechungen in Berlin geführt, deren Auswirkungen wir demnächst wohl erfahren werden. Die ganze Welt ist gespannt darauf, wird natürlich schon ihre Vermutungen haben. Schade ist es, daß wir hier keinen Rundfunk haben. Man möchte zu gerne mal Musik, Nachrichten und sonstige Unterhaltungen in einer gemütlichen Stunde genießen, bezw. [sic] hören. Vielleicht wird hier in den nächsten Monaten mal ein Soldatenfilm gezeigt. Du besuchst umso fleißiger das Kino. Seit August habe ich noch keinen Film wiedergesehen. Aber ist es wird mal die Zeit wiederkommen, wo wir gemeinsam diese Kulturstätten wie Theater, Musik- und Kinohäuser aufsuchen können. Vorläufig muß ich mich einer anderen Kunst widmen.

Und nun wünsche ich Dir ein schönes Wochenende. Ich hoffe, daß Du durch einen Brief von mir erfreut wirst. Leider ist es ja nicht genau abzuge[unklar].

Herzliche Grüße und gute Nacht! O könnte ich Dich in meinen Armen halten!

Dein [Heinrich].

[`= andere Handschrift, wohl notiertes Empfangsdatum]

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Autor Heinrich Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Heinrich Wilmers

Abbildung von der Vorderseite eines Notizbuchs in Leder von Heinrich Wilmers.
Ba-NGM K02.Pf1_A4, Notizbuch Heinrich Wilmers, Datum und Ort unbekannt.

Heinrich Wilmers wurde 1907 geboren. Seine Eltern waren Bauern in Niedersachsen. Er und seine Geschwister waren sehr in die Arbeit auf dem Hof eingebunden. Er hatte zwei Schwestern und drei Brüder, die ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen waren. Ein Bruder fiel 1944. Heinrich Wilmers war Lehrer, erst

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost