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Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 4. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Nun ist schon Dienstag und immer habe ich Deinen Brief, den Du doch am Sonntag geschrieben hast, noch nicht bekommen. Aber heute nachmittag werde ich ihn nun wohl endlich haben. Ich habe im Augenblick gar nichts zu tun. M. ist auf Urlaub, Sch. ist zur Stammrolle, W. ist in Berlin. Heute morgen habe ich Kontoauszüge geschrieben. Vielleicht mussich [sic] ja nachher noch für Herrn W. schreiben oder auch für den Dr., sonst ist heute nicht viel zu erwarten. Gestern dafür war ein anstrengender Tag, Fräulein B. war nicht da, und da musste ich zu W., er wollte mittags fort, bis dahin musste die Post fertig sein, und er hatte mir soviel diktiert, ausserdem musste ich zwischendurch noch zu W., in den Betrieb und Quittungen von den Meistern holen, ich war total kaputt.

Soeben kam eine Sondermeldung, dass wir Paris bombardiert haben. 70 Flugzeuge sind vernichtet. Unser Radio hatten wir so leise angestellt, dass wir die Sondermeldung gar nicht gehört hatten, aber F. hatte glaube ich einen Anruf von zu Haus bekommen. Ich muss hier das Telefon bedienen, B. ist auf Urlaub. Da kann man andauernd hinrennen.

Wann hast Du dann nun zuerst Urlaub? Seit [sic] Ihr schon vereidigt? Ob Du Sonntag wohl kommen kannst? – Letzten Sonntag bin ich nachmittags zu Ilse gefahren. Walter ist auch nicht gekommen. Wir wollten abends ins Kino, zuerst in den Weltspiegel „Eine kleine Nachtmusik“, wovon wir neulich die Vorschau gesehen hatten, es war aber ausverkauft. Es strömten noch sehr viele Leute hin, auch sehr viele Soldaten, aber Ihr ward [sic] nicht dabei. Wir sind dann zum Hansakino gegangen. Als wir am Mohnhof waren, sahen wir schon eine lange Schlange, vom Eingang bis zur Brunnenstrasse. Leute, die uns entgegenkamen, sagten, es hätte keinen Zweck. Dort wurde der „Stern von Rio“ gegeben. Wir wollten an und für sich nur die Wochenschau sehen. Aber dann mussten wir wieder umkehren. Wir haben dann noch ein bisschen in die Läden geguckt und sind zurückgegangen. Deinen Brief habe ich bei dieser Gelegenheit auch einstecken können. Hast Du ihn schon am Montagmorgen bekommen? Warst Du nicht erstaunt?

Soeben ist Sch. zurückgekommen. Da wird es wohl nicht allzu lange dauern, bis er mich zum Schreiben ruft.

Mutti, Papa und Günter sind Sonntag abend im Kino gewesen bei Timmann. Das Fallschirmabspringen hat sie auch am meisten interessiert.

Neulich fragte ich Mutti, ob sie sich etwas zur Silbernen Hochzeit wünscht. Ich sagte, ich wüsste wohl schon etwas, aber dann müsste sie etwas entfernen. Sie meinte, ich könnte ihr man eine neue Lampe schenken, da habe ich ja nun gerade den Nagel auf den Kopf getroffen. Als Ilse und ich am Sonntag durch die Strasse gingen in Bergedorf, guckten wir in das Lampengeschäft von Stehr, da habe ich die Lampe im Fenster nicht mehr gesehen, die Mutte [sic] damals schön fand, vielleicht ist sie nun ja noch drinnen. Ich habe zu ihr gesagt, sie solle sich nun man endgültig eine aussuchen, wenn sie wieder nach Bergedorf käme. Ob sie das wohl nun tut? – Übrigens

b.w.

ist unsere Schlafzimmer-Ampel auch nicht mehr im Fenster. – Erika in Hamburg meinte, solche Lampen hätte man jetzt gar nicht mehr. Zu R. mag ich auch nicht recht wieder gehen. Er sagte ja damals, er bekäme noch neue aus Hamburg, aber wo ich nun schon einige Male dort war, uns [sic] so weiter. Ausserdem will ich ja jetzt sparen. H.i hat in diesem Monat noch Geburtstag, da muss ich ihr ja auch etwas schenken, was ich da nehme, weiss ich noch nicht. Günter hat am kommenden Sonnabend, dem 8. Juni auch Geburstag [sic]. Schreibe ihm man auch eine Karte. Er wünscht sich ein Koffergrammophon. Papa hat aber gesagt, das wäre wohl noch schöner, wo wir gerade das teure Radio gekauft haben, brauchst Du kein Grammophon. Nun klemmt er sich immer hinter mich, aber ich werde mich hüten, ihm so viel zu schenken. Ich weiss auch gar nicht, ob es überhaupt noch solche Apparate zu kaufen gibt.

Hat Oberkanonier D. Dich am Sonntag noch wieder besucht? Er hatte sicher auch Dienst, weil die vielen Rekruten dort sind, auf die aufgepasst werden musste, sonst wäre er sicher gekommen. Oder habt Ihr schon eine Kugel zusammen geschoben? Sind Deine Füsse auch schon kaputt? Hast Du noch heile Strümpfe? Ihr bekommt doch aber dort auch sicher einige! Oder sind die alle sehr gestopft? Wie bewähren sich denn Deine Hackenschützer?

Nun ganz etwas anderes. Falls es nun mit unserer Wohnung so weit ist, dass sie tapeziert werden soll. Was wollen wir denn da für Tapeten nehmen? Bist Du mehr für schlichte, oder mit Blumen-gerank [sic] oder was hast Du Dir gedacht? Ich finde, im Wohnzimmer und Herrenzimmer am besten schlichte, irgendwie miliert [sic], bräunlich, beigelich, und für das Schlafzimmer hell mit Blumen. Das passt doch dann sehr gut zu den dunklen Möbeln, wenn wir das Mahagnizimmer [sic] bekommen. Ich bin noch nicht wieder bei Worm gewesen, aber ich habe in den nächsten Tagen die Absicht. Mutti hat neulich einen Tischler, der die Tür von unserem Leinenschrank, weisst Du, da war doch etwas abgesplittert, in Ordnung gemacht hat, gefragt, ob ein Mahagonizimmer sehr empfindlich sei, da hat er ihr das wieder bestätigt, Druckstellen uns. [sic] wären sehr schlecht wegzubekommen. Nun hat Mutti mir natürlich wieder lange Vorträge gehalten. Ausserdem war sie ja bei Nagel in Altona, der hatte noch einige Schlafzimmer auf Lager stehen, konnte sie nur nicht aufstellen, bevor die anderen Zimmer, die verkauft seien, abgeholt wären. Er hatte damals gemeint, in 4 – 5 Wochen sollten wir man mal wieder kommen. Unter anderen [sic] war auch ein helles Birnbaumzimmer dabei, darauf spekuliert Mutti ja nun immer. Ich bin gespannt, was da noch einmal herauskommt. Nagel hat ja sonst sehr nette Sachen, Erika hat dort auch ihr Schlafzimmer gekauft.

Ich schreibe und schreibe hier, sag mal, hast Du denn überhaupt Zeit, diesen ganzen Quatsch zu lesen, das dauert ja auch schon eine Ewigkeit, diese Zeit kannst Du vielleicht besser anders gebrauchen. Gestern abend habe ich immer-zu [sic] auf Deinen Anruf gewartet, aber es ist schon so, wenn man darauf wartet, dann kommt bestimmt keiner. Hast Du denn nicht einmal abends einen Augenblick Zeit, oder ist das Telefon andauernd besetzt?! Habt Ihr dort vielleicht bloss einen Apparat? – Gestern abend bin ich wieder bei meiner grossen Decke gewesen, ich will doch sehen, ob ich sie nicht endlich einmal fertig bekommen kann.

So, nun will ich aber endlich einmal aufhören. Lass bitte etwas öfter von Dir hören. Wie passt Dir überhaupt Deine Uniform? Hast Du einigermassen gutes Zeug bekommen?

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

Das Oberkommando der Wehrmacht gibt am 4. Juni 1940 bekannt:

Der Kampf um Dünkirchen steht vor dem Abschluss. Unsere Truppen sind in die Stadt eingedrungen undhaben [sic] dem sich verzweifelt wehrenden Feind das Fort Louis entrissen. Der Häuserkampf mit französischen Truppen, denen die Aufgabe zuteil geworden war, die Flucht der englischen Soldaten auf die Schiffe zu decken, ist noch im Gange. Die Luftwaffe griff, wie schon durch Sondermeldung bekanntgegeben, am 3.6. mit starken Verbänden aller Waffen die Basis der französischen Luftwaffe um Paris überraschend an. Es gelang die feindliche Luftverteidigung auszuschalten und in zusammengefassten Hoch- und Tiefangriffen auf Häfen und Industriewerke der französischen Luftwaffe stärkste Wirkung zu erzielen. Zahlreiche Brände und Explosionen wurden beobachtet. In Luftkämpfen wurden 104 Flugzeuge abgeschossen, in Hallen oder am Boden 300 – 400 zerstört. Die Flak erzielte am 3.6. 21 Abschüsse. Gegenüber diesen ausserordentlichen Erfolgen werden nur 9 eigene Flugzeuge vermisst.

In der Nacht vom 3. zum 4.6. hat der Gegener seine Einflüge und Bombenangriffe in Holland, West- und Südwestdeutschland fortgesetzt. Die Erfolge waren ebenso gering wie bisher. Dabei gelang es, bei Rotterdam und in Westdeutschland je ein Flugzeug durch Flak, zwei weitere feindliche Flugzeuge durch Nachtjäger abzuschiessen.

[* = Der gesamte Brieftext einschließlich des Wehrmachtsberichts ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost