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[NGM-400614-004-01]
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 14. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich].

Langsam rückt ja nun der Sonntag wieder näher. Wie steht es um Deinen Urlaub? Kannst Du kommen, oder soll ich kommen? Wenn ich nichts wieder von Dir höre in dieser Beziehung, dann kommen ich wieder gegen 1/2 [sic] 3 Uhr.

Für Deine Briefe danke ich Dir herzlich. Es ist schön, wenn jeden Nachmittag, wenn ich nach Hause komme, ein Brief von Dir auf dem Tisch liegt. Konnte Karl R. denn am Dienstag in die Kaserne kommen?

Mutti hat heute nacht wieder ihre Magenkolik gehabt. Die ganze Nacht hindurch hatte sie Schmerzen, heute morgen ist sie dann auch liegen geblieben. Ich habe ihr noch Umschläge gemacht, hoffentlich sind die Schmerzen nachher vorübergekommen. Aber Schuld hat sie ja auch eigentlich selbst, vor 6 Wochen war sie zuletzt zum Arzt. Dann sollte sie zum Magenauspumpen wiederkommen, davor hatte sie natürlich etwas Angst, und als die Schmerzen ausblieben, ist sie gar nicht wieder hingegangen.

Heute morgen erzählte mir unser Lehrling, der mir damals einen Kocher besorgen wollte, dass der Kocher jetzt da sei. Ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht. Hoffentlich fällt er nun gut aus. Wann ich ihn bekomme, weiss ich noch nicht.

Wir haben heute an und für sich sehr viel zu tun, aber Herr Sch. wird immer im Diktieren unterbrochen. So kann ich immer wieder weglaufen. Gleich muss ich nun zum Essen ausschenken. Was es heute wohl wieder gibt. Gestern war es nicht zum essen, jedenfalls sagten sie es hier oben, ich habe nichts probiert.

Wir hatten gestern nachmittag Betriebsappell. Pg. O. hat hier geredet. Kennst Du ihn. [sic] Er redet in Plattdeutsch. Aber es war ganz vernünftig, was er sagte. Jedenfalls konnte man gut zuhören.

Neulich hatte ich mit meinem Rad furchtbar viel Pech. Morgens hatte ich nichts bemerkt, als ich dann nachmittags recht schnell wollte, war Plattfuss. Ich pumpte, es ging furchtbar schwer, aber schliesslich kriegte ich doch Luft hinein. In rasender Eile fuhr ich los, es wurde aber immer weniger. Das letzte Stück musste ich noch schieben. Der Fahrradmann wollte es gar nicht mehr flicken, aber ich habe dann so sehr geredet, dass ich es schliesslich doch um 9 Uhr abends abholen konnte, vielmehr hat Günter es abgeholt. Am Montagmorgen klapperte es dann furchtbar, den ganzen Weg und zurück auch, so dass ich noch einmal wieder damithinmusste. [sic]

Der Radioapparat sagt immerzu an, dass wir in wenigen Minuten eine wichtige Sondermeldung erwarten. Das wird wohl die Einnahme von Paris sein. Davon wird bei uns schon den ganzen Morgen geredet. Einer will die Nachricht vom Reichsluftfahrtministerium aus Berlin haben. Wir sind alle sehr gespannt. Immer wieder kommt die Voransage. Jetzt singen und spielen sie die Märsche von Herms Niel, singt Ihr die eigentlich auch? – Wie denkst Du darüber, dass die Engländer jetzt gar nicht mehr kommen. Einige sagen hier, dass sie in Kürze sicher mit starken Kräften kommen würden, ganz unerwartet, und dann würden sie wohl sehr viel vernichten. Aber ich weiss, [sic] nicht, ob sie nicht mit sich selbst genug haben.

Soeben haben wir nun die Sondermeldung gehört, und Paris ist wirklich in deutscher Hand. Es ist wirklich als offene Stadt erklärt, und unsere Truppen marschieren jetzt in Paris ein.

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

Das Oberkommando der Wehrmacht gibt am 14.6.40 bekannt:

Der zweite Abschnitt des gewaltigen Feldzuges im Westen ist siegreich beendet. Die Widerstandskraft der französischen Nordfront ist zusammengebrochen. Die Seine abwärts Paris ist in breiter Front überschritten. Le Havre genommen. Auf der ganzen Front von Paris bis an die Maginotlinie bei Sedan ist der Feind im vollen Rückzug. An mehreren Stellen haben unsere Panzer und motorisierten Divisionen die Rückmarschbewegungen durchstossen und überholt, dort floh der Feind unter Freigabe seiner ganzen Ausrüstung. Von Infanterie-Divisionen wurde die Schutzstellung von Paris durchbrochen. Die feindlichen Kräfte reichen zum Schutze der französischen Hauptstadt nicht mehr aus. Unsere siegreichen Truppen marschieren seit heute vormittag in Paris ein.

Östlich der Marne ist Vitry-le-François genommen, der Südrand des Argonnenwaldes erreicht. Der Höhenrücken 304 Toter Mann, nordöstlich von Verdun, wurde gestern abend gestürmt. Montmedy, der starke Eckpfeiler der Maginotlinie, ist erobert. Der dritte Abschnitt der Verfolgung des Feindes bis zur endgültigen Vernichtung hat nunmehr begonnen.

Heute früh sind unsere Truppen an der Saarfront auch zum Frontalangriff gegen die Maginotlinie angetreten. Trotz Behinderung durch die Wetterlage griffen auch am 13. Juni unsere Kampf-, Sturzkampf und Zerstörer-Verbände zur Unterstützung des Heeres an vielen Stellen der Front in den Kampf ein. Truppenansammlungen, Marsch- und Transportkolonnen im Rücken des Gegners wurden erfolgreich mit Bomben und Maschinengewehrfeuer belegt. Umfangreiche Zerstörungen auf Bahnhöfen und Bahnlinien, besonders im Raum ostwärts der Marne wurden durchgeführt. Im Küstengebiet von Le Havre gelang es, 2 Transporter zu versenken, 3 weitere erlitten Beschädigungen, darunter ein Schiff von 10 000 To.

Flak-Artillerie versenkte nördlich Le Havre 6 feindliche Transportschiffe, beschädigte 3 weitere erheblich und zwang einen englischen Zerstörer zum Abdrehen.

Die Verluste des Gegners in der Luft betrugen gestern 19 Flugzeuge, 3 wurden im Luftkampf, 3 durch Flak abgeschossen, der Rest am Boden zerstört. 2 eigene Flugzeuge werden vermisst.

1 U-Boot versenkte am 13.6. den britischen Hilfskreuzer -- von 17 000 Br. Reg. Tonnen. Einem anderen U-Boot gelang es, nördlich der Hebriden aus einem Geleitzug mit schärfster Sicherung einen 12 000 To. grossen Transporter herasuszuschiessen und zu versenken.

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[* = Der gesamte Brieftext einschließlich des Wehrmachtsberichts ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost