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[OBF-400222-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 21. Februar 1940

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Vielleicht habe ich Dich in Verlegenheit gebracht vor deinen Eltern, ich wollte doch nicht schreiben. Aber ich mußte mein Herz erleichtern, und nun ich die Zeilen in deinen Händen weiß, ist mir auch wirklich leichter. Man soll kein ängstlicher Rechner und Geizhals sein im Leben. Doch ohne Rechenschaft geht es auch nicht, und um den richtigen Kurs zu halten, muß man auch Rückwärts blicken. Wir fragen auch sonst allenthalben, ob es sich gelohnt hat. Unsre Begegnung hat uns unserem äußeren Ziel wieder einen Schritt näher gebracht. Ich bin froh, daß er getan ist, und daß Du voraussichtlich vor den Plagegeistern des Arbeitsamtes Ruhe hast. Unser Aufzug entbehrte nicht der Feierlichkeit, und das Bild werde ich nicht so leicht vergessen: Du an der Hand deiner lieben Mutter auf diesem einmaligen Wege. Herzliebes, manche Stunde packt es mich mit seiner ganzen Wichtigkeit, wie wir Schritt vor Schritt setzen, frei und doch einem inneren Zwange folgend, wie sich Stein zu Stein fügt in unserem Schicksalswegbau, wie sich unsere beiden Wege immer mehr verschlingen, wie mein Lebensglück nun zur Hälfte in Deinen Händen liegt. Es ist so glatt gegangen bis jetzt, wir können nicht dankbar genug sein dafür. Herzliebes? Siehst Du nach unseren Sternen? Gegen 6 Uhr stehen sie genau meinem Haus gegenüber in der Lücke, Richtung Westen, zu Dir. Gestern standen sie einander am nächsten. Ich habe nach ihnen ausgeschaut mit sehnendem Herzen . Es war die stille Sehnsucht nach deinem Wesen und seiner wärmenden, beglückenden Nähe, dieselbe Sehnsucht, die mir den Abschied von dem lieben Orte so schwer werden ließ. Du! Ich liebe Dich von Herzen, ich merke es.

Herzallerliebste!

Auf dem Wege zum Standesamt sah ich Fräulein W., sie kam aus dem Fabrikgebäude von G.. Ich vermied es, länger hinzusehen, erkannte nur ganz flüchtig die strengen, scharfen Züge ihres Gesichtes, und mehr innerlich stand sie dann einen Augenblick in aller Deutlichkeit mit ihrem Wesen vor mir, so wie ich es kennen lernte. Ich weiß, meine Wahl wird ihr wie manchen anderen Kollegen unverständlich sein. Warum eigentlich? So will ich fragen, um selbst Klarheit zu gewinnen. Die Berufskameraden müssen von mir den Eindruck eines befähigten, vernünftigen, innerlich gefestigten Menschen bekommen haben. So habe ich mich auch gegeben. Ich bot ihnen nur diese äußere glatte Seite meines Wesens. Es hat sich keiner von ihnen bemüht, mich sonst näher kennen zu lernen, ich hätte mich ja auch so leicht nicht jemandem anvertraut. Weil sie mich nun als nüchtern, leidenschaftslos und konventionell einschätzten, muß ihnen meine Wahl, so unberechenbar, so wieder Erwarten, als eine romantische Anwandlung, wenn nicht gar als eine böse Verlegenheit, jedenfalls aber unverständlich erscheinen, wie manche aus deinem Bekanntenkreis nicht verstehen werden, wie Du Dich mit einem Lehrer einlassen konntest. „Wie soll ich diesen Schritt von Ihnen verstehen?" Was ich antworten würde, wenn Fräulein W. — ich habe mich mit mirihr einigemal unterhalten — mich so fragte?

„Mein Fräulein, Sie kennen weder mich noch meine Braut, sonst würden Sie alles verstehen. Sie sahen nie meine Sehnsucht nach einem Menschen, der mich liebhat. Ich hätte sie Ihnen auch nicht gezeigt, hätte mich gescheut, sie Ihnen zu zeigen. Warum? Einmal, weil es unter ‚Gebildeten' als unpassend und schwächlich gilt, seine Gefühle zu zeigen; zum andern, weil man dort von diesen Gefühlen wenig hält, sich darüber erhaben dünkt und gar lächerlich macht. Ich habe schon früher ganz sicher empfunden, daß ich Liebe ungebrochen, in ihrer schlichten Größe und Gläubigkeit nie würde finden können bei einem Mädchen, das durch die ‚Bildung' die Frische, Herzlichkeit und Weiblichkeit seines Wesens eingebüßt hat. Und wenn sie meine Braut kennen lernten, würden Sie sehen, daß ich mit meiner Wahl keinen Bildungsanspruch aufzugeben brauchte, würden Sie erstaunt sein, bei ihr so feines, echtes Verständnis und Mitgehen für die Güter der Bildung zu finden."

Du, jetzt habe ich mich beinahe ereifert. Das wollen wir doch gar nicht. Ob die anderen unser Glück verstehen und ermessen, das soll uns gleichgültig sein. Es ist uns[e]re persönliche Angelegenheit und im letzten Grunde unser beider Geheimnis. Du! Herzliebes! Eines ist mir nicht ganz gleichgültig und freut mich: daß unsre lieben Eltern unsre Wahl ganz billigen und gutheißen. So kommt es, daß, wenn ich Dich und euch in Oberfrohna besuche, ich jedesmal mehr empfinde, daß ich in eine private und familiäre Sphäre eintrete, wie wenn ich nach Hause komme. Und es berührt mich dann ganz eigenartig, Zeugen zu begegnen aus der Zeit, da O. für mich amtliche, unpersönliche  Sphäre war.

Herzallerliebste! Ich bin so glücklich mit Dir, und bin es doppelt, weil ich weiß, daß Du es auch bist.

Der Donnerstag geht zu Ende. Denk nur, wir hängen schon im Kasten, bei der Kälte, aber wir sind ja zu Zweien! Ich hätte es gar nicht geahnt und bemerkt. Der Bürgermeister machte mich aufmerksam. „Die Kinder haben schon bald den Kasten eingerannt," so sagte er, und stellte dann selbst eine g [sic] kleine Rechnung an mit deinem Alter, richtiger Jugend. „Muß doch zu Ihnen in die Schule gegangen sein!" Auf der Straße bemerkte ich dann, wie die Kinder ein wenig forschender mich ansahen. Ach Liebste, vor einem Jahre hätte mich diese und jene Äußerlichkeit noch geschreckt. Heute läßt mich das alles so ruhig. Daß wir im Kasten hängen, freut und belustigt mich. Daß die Leute mich ansehen, läßt mich innerlich nur froh werden Deines Besitzes. Diese Dinge liegen alle am Rande der Tatsache unseres Bundes. Beim Bürgermeister lag auch (auch) schon eine Mitteilung an das Gesundheitsamt. Ich denke daran, daß wir uns müssen untersuchen lassen, wenn wir das Darlehen haben wollen. Liebste, jeder unbilligen Forderung widersetzt Du Dich ganz entschieden, sei es auf die Gefahr hin, daß uns das Darlehn nicht gewährt wird.

Sonnabend hattet Ihr vor, nach Chemnitz zu fahren. Bei uns näßt es ein wenig, die Straße ist sehr glatt! Ob der Unterricht kommende Woche wieder beginnt, ist noch nicht entschieden. Ich glaube es kaum. Mir ist das nicht recht. Morgen Sonntag: Vielleicht besteige ich einmal den Winterberg.

Herzallerliebste, wann ich wieder bei Dir sein kann, weiß ich noch nicht, aber Du darfst gewiß sein, daß ich jede Möglichkeit scharf ins Auge fasse. Für Deine lieben Briefe sei herzlich bedankt; Du weißt, von den Pfändern Deiner Liebe sind sie mir die teuersten. Nun will ich den Boten auf den Weg schicken. Es macht mich ein wenig traurig, äußerlich, er darf bald bei Dir sein! Bei Dir! Herzliebes! Bei Dir ganz nahe und ganz drin im Herzen darf nur ich sein, so willst Du es, das ist meine Freude und mein Glück. Nichts mag ich dagegen tauschen. Kein schöner Los, als um diese Gunst zu dienen.

Herzallerliebste! Behüte Dich Gott!

Ich liebe Dich von ganzem Herzen, Du meine liebe [Hilde]!

Ich bin ganz und immer

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946