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[OBF-410618-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 18. Juni 1941.

Mein liebes, teures Herz! Geliebte, Holde mein!!

Der Hubo hat seinen freien Nachmittag heute. Er hat ein wenig Kopfschmerz, eine kleine Erkältung steckt in ihm. Draußen ist es heute kühl und stürmisch, aus Westen bläst der Wind. So bleibe ich am Besten daheim und schone mich – und denke an mein Herzlieb. Ich tat es vorhin schon, als ich mein Mittagsstündchen hielt. Der Kopfschmerz ließ mich nicht schlafen – und so liefen die Gedanken schnell nach Hause – und spazierten in d[en] Landschaften der Heimat – Deiner unsrer Heimat, der lieben, schönen, glückdurchsonnten – wie gerne tun sie das!!! Und es ist kein schmerzlich süßes Erinnern schöner, vergangener Zeit – oh nein – wenn wir uns erst wiederhaben für immer, dann hebt an eine noch glücklichere Zeit – Herzlieb! Unsre Liebe ist nicht kleiner geworden, viel viel größer ist sie nun!!! Heimat und Geborgenheit ist unsre Liebe – mit der wirklichen Heimat unlösbar verbunden – und darum, wenn ich sie suchen will, muß ich zurück, muß ich heimwärtsdenken. Oh Herzlieb! So warm und sicher ist sie [d]arein gebettet, in die Heimat: unsre Wege! Die Orte unsres Liebhabens! Unsre Elternhäuser! Zeugen unsres reichen Glückes sind alle, Geliebte!

Und lebendig stehen sie alle vor mir, die Landschaften unsrer Liebe, auch die Seelenlandschaften. Erinnerst in einem der letzten Boten an unsren ersten richtigen Ausgang. Du!! Siehst das gelbe, das blaue Kleidel hattest damals an – ich werde es nicht vergessen – das mädchenhafte, schöne Kleid. Du! Wir waren beide schön glücklich damals. Wie habe ich gewartet auf diesen Tag – oh gewartet!! Und auf dem Bahnhof – Herzlieb, das erste Mal in meinem Leben ein Rendezvous! Des ersten Sehens Wonne!! Und wie Du nun kamst – weich und zart und fein erschienst Du mir! Und jung – sooo jung!! Weißt, was der Hubo sich zu Hause aufgeschrieben hatte? ein paar Gesprächsthemen, Du! Und dann hat er Dich bald tot geredet – weißt, das war ein bissel Angst vor wortlosen Minuten. Aber das Mannerli ist kaum in Verlegenheit geraten – trafen wir uns doch an einem Ort, an dem es mit Liebe hängt – und gar, als wir dann auf meine Heimat zugingen, da wurden wir doch richtig auch ein bissel warm. Und auch mein Herzlieb wagte sich hervor im Gespräch über die Freundinnen und dann rückte es dem Mannerli zu Leibe mit der Frage, warum es die Fenster zu seiner Wohnung nicht zuzog – Du!! Ich weiß noch genau die Stelle, wo Du mich so gefragt hast.

Und dann im großen Speisesaal: mit Dir allein an der leckeren Tafel: Zukunftsbild? Oh Geliebte! Und dann vielleicht das schönste [sic]: gemeinsames Schauen, Erleben – wir zwei allein, doch [sc]hon ein wenig vertraut, unter den fremden Menschen der Reisegesellschaft. Und meine Augen durften Dich haschen – loslassen und Dich suchen und wiederfinden – schönstes Spiel der Liebe! Und dann einander gegenüber in der Bahn – Geliebte, ein wenig hilflos und verwirrt wir beide – wo sollten denn die Hände ruhen und die Augen? Einander zum ersten Male stillhalten – und nicht verraten. Das Herzlein – und der liebe Schoß! Du!!! Mein wirst? – Und nun waren wir doch richtig froh, als wir das überstanden hatten – und glücklich schauten wir herunter von der Friedensburg. Und dann durften meine Augen in den Deinen ruhen – durften an Dir die kleinen erlesenen Kostbarkeiten entdecken – das Kettlein, das Ringlein. Du!!! Und dann fassten wir schon den ersten Plan.

Geliebte! Dein Mannerli hat sich dann so oft noch beherrschen, beherrschen müssen! Du magst es ahnen. In dem Plan der gemeinsamen Reise vergaß es sich glücklich zum ersten Male. Daran magst Du stets ganz froh denken – heimliches Planen, Vertrautheit zwischen uns schon nach dem ersten Sehen. Mein Herz sprach in diesem Plan, Du hattest es schon gefangen damals – Du Liebe! Geliebte!!!!! Herzlieb! Die Zeit unsrer Prüfung war eine reiche, glückliche Zeit – in allem – auch in den Stunden, da sie uns Sorge und Kummer bereitete, da wir einander trösten und heilen mussten. Geliebte, das mußt Du wissen: das Glück unsrer erblühenden Liebe hat mich so erschüttert, berührt und gewandelt – wie sie es muß, wenn sie ein Ganzes werden soll. Herzlieb! Sie ist es!! Das darf ich mit Dir zusammen froh bekennen! Du hast mich ganz! Unauslöschlich tief sind die Spuren dieser Liebe! Und es ist meine erste Liebe – an Deiner Seite durfte ich sie so gläubig und jung und kindlich – froh erleben. Was vorher mich bewegte – es waren nur Träume, es war das Sehnen nach der Heimat, nach meiner Seele Hafen. Dieses Sehnen, Geliebte, mußte es nicht so unermeßlich groß sein – mußte es nicht immer größer werden? Fremde immer um mich her, Fremde! Fünf Jahre, zehn Jahre und länger – Du weißt, wie eng und traut ich mich einem Menschenkinde anschließen kann, wie tausend feine Herzfasern sich verschlingen wollten – Du magst ermessen, wie groß mein Heimverlangen war, wie groß es noch ist!!! Du!!!!! Und heute, da dieses Sehnen Erfüllung fand, da ich in Deinem großen, lieben Herzen wohne – Du ließest mich ein, Du!!!!! !!!!! !!! – da ist mir beinahe unfaßlich, wie ich so leben konnte – ohne einen Freund, ohne einen Vertrauten meines Herzens, – ist es verwunderlich, daß Eis sich um mein Herz legte, in der Kühle der Fremde? – daß Härte und Strenge mein Wesen bestimmten, da ich alle Wärme und Glut des jungen Blutes bändigen und beherrschen musste? – Geliebte! Geschmolzen ist der Panzer aus Eis! Die feinen Herzfasern wurzeln in Deinem Herzen! Wärme und Glut sind befreit – sie dürfen frei strömen hin zu Dir! Geliebte! Bist Du meiner froh? Daß Du einem Menschen Heimat sein darfst, der sooo heimverlangte? Trägst Du mich froh in Deinem Herzen, den ganzen großen [Roland]? Du! Fühlst Du froh, wie er in Deinem Herzen wohnt, und es ganz ausfüllen will? Spürst Du die Wärme, die Glut, die so lange gefangen war? Geliebte!!! Ich weiß Deine Antwort! Aus Deinen Augen strahlt mein Glück – Dein Glück! Dein junges großes Herz: ich finde Raum darin. Deine große, tiefe Liebe: sie umfängt mich innig und warm. Du kannst mir Heimat sein! Du allein bist meine Heimat! Und ich fühle, daß des Weibes Liebesglück daran hängt, daß der Mann es erfüllen kann.

Du! Nun habe ich wieder davon erzählen müssen. Es ist sonst kaum Erzählenswertes, nichts sonst, das mich so bewegte. Heute blieb Dein lieber Bote aus. Morgen wird er wiederkommen – wie ich darauf mich freue! Ach Du, und wie es mich bewegt, was man mit Dir anstellen wird. Ich glaube und hoffe ja, daß Du davon kommst, daß Deine Gründe stichhaltig sind. Und ein ganz ruhiges Gewissen sollst Du darum haben – Du tust Deine Pflicht!!! Und dieses Argument mach Dir nur zu eigen: für eine Fabrikarbeit bist Du körperlich und seelisch nicht konstituiert – Herzlieb, diese Arbeit dort wäre Dir eine Fron, die ich nicht zulasse! Das ist keine Drückerei – das ist Verantwortlichkeit vor sich selbst. Ich vertraue Deinem tapferen Herzen, Deiner klugen Einsicht.

Und wem wir doch alles vertrauen: Gott, unserem Herren! Er wird auch hier einen Weg wissen. Und wenn der Hubo auf Urlaub kommt, da werd ich doch mein Herzlieb ganz haben, den ganzen Tag – und die ganze Nacht. Du!!!!! !!!!! !!!

Nun laß Dich ganz lieb küssen! Laß Dich herzen und drücken – Du!!! Dein bin ich! Ganz Dein!!! In Liebe und Treue ewig

Dein [Roland]!!

Viel liebe Grüße an die Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946