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[OBF-410622-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 22. Juni 1941

Mein liebes, teures Weib! Meine [Hilde], Du! Geliebte!!

Wie soll ich Dich trösten heute? Geliebte! Wie wollen wir einander trösten heute? Welch schwarzer Tag! Wenn wir all den Hoffnungen nachschauen wollen, die er zerbrach, all den Enttäuschungen nachhängen, die er brachte, dann möchten wir schwerlich einen Trost finden. Ach, ich wollte es doch nicht glauben heute morgen, ich wollte es nicht glauben, d.h. ich wollte es nicht wahrhaben. Herzlieb!

Nichts ist unmöglich in dieser Welt – und nichts möchte mich so verwundern, daß ich darüber den Kopf verlöre – die Welt ist arg und falsch – Geliebte! Und alles will ich ertragen, um nur unsre Liebe zu retten. An diese Liebe glaube ich, an die klammere ich mich, sie kann nicht zerbrechen – ich zerbräche dann mit! Und solange unsre Liebe blüht, wird auch der Mut zum Leben in mir sein und Kraft zu überwinden.

Geliebte! Ich habe so oft Dein denken müssen heute. Dieser erste Tag, die erste Woche, da wir all das Schwere uns annehmen, sind die härtesten. Es ist nun überstanden. Dein [Roland] ist traurig und still heute – aber es hat ihm wohlgetan, daß die Kameraden um ihn waren, mit denen zusammen er all das empfand und ausredete. Ach, und nun möchte ich heute doch nichts wissen, als daß auch Du, Geliebte, Trost fandest und eine Stütze an Deinen Lieben. Herzlieb! Ich möchte heute nicht all das schreiben, was wir darüber redeten.

Ein neuer Feldzug, ein neuer Kriegsschauplatz – kein Zweifel: wir werden ihn siegreich beenden – aber der Krieg ist dann nicht beendet – die Engländer gewinnen Zeit, bekommen Luft und frischen Auftrieb – erreichen tatsächlich, daß wir uns verzetteln. Und der Krieg dauert nun länger – immer heftiger werden die Erschütterungen, unter denen alles leidet, was im Frieden mühsam errungen wurde. Immer teurer wird der Frieden erkauft – Geliebte! Die armen Soldaten! Hellmuth wird unter ihnen sein, vielleicht auch Siegfried wieder – in diese große Einöde Rußland, entbehrend und kämpfend! Herzlieb! Wenn wir dem nachhängen wollen, dem großen Unglück, dem großen Herzeleid, der Bosheit und Verblendung dieser Welt – dann möchte uns wohl das Herz brechen, dann möchten wir wohl allen Mut und Glauben verlieren. Sooooviel Neid und Haß in dieser Welt! Sooooviel Wirrnis und Verblendung! Das ist die furchtbare, bedrückende Erkenntnis solcher Zeiten Daran kann auch der Sieg einer Partei nichts ändern. Dem Kriegsungeheuer einen Zahn ausbrechen – 9 andre wachsen nach an seiner Stelle. Die Sündhaftigkeit dieser Welt schreit zum Himmel in solchem Kriege. Ach, und ich vermöchte heute auch nicht einen Schimmer des Segens solchen Kriegsführens für unseres Volkes Zukunft zu sehen – nein. Zuviel Haß laden wir auf uns damit, neuen Haß. Wenn wir diesen Krieg verlieren – die Folgen sind nicht auszudenken. Wir müssen ihn gewinnen. Ich möchte sonst nicht mehr Lehrer sein in diesem Volke.

Herzlieb! Es bewegt mich heute zuerst unser Glück, ich gestehe es. Und zumeist, daß Du ein wenig getröstet wirst und selbst Trost findest. Herzlieb! Uns beiden liegt all das tiefe Herzeleid und Unglück auf, das dieser Krieg bedeutet. Seitdem das Furchtbare drohte, und seit es nun entfesselt ward, da bildet es den düsteren Hintergrund zu aller Freude – so sind wir schon daran gewöhnt, daß wir ihn manchmal gar nicht mehr sehen – aber wir tragen schwer daran. Andere machen sich weniger Gedanken, das Erdendunkel der aufrührerischen Bosheiten bemerken sie gar nicht, sehen nur Gefahr und Abenteuer – dafür aber müssen sie mit dran.

Und so tragen doch alle nach ihrem Vermögen – und mein Dank zu Gott soll nie aufhören darum, daß er mich nach meinen Kräften bedachte. Herzlieb! Und so mag es uns fürs erste ein Trost sein, daß Du mich und daß ich Dich außerhalb unmittelbarer Lebensgefahr weiß. Vom Osten werden feindliche Flieger Euch kaum erreichen. Daß der Engländer jetzt in verstärktem Maße angreifen wird, vermute ich. Glücklicherweise sind jetzt die kürzesten Nächte, daß er sich nicht so gut verbergen kann. Wenn er aber kommt, dann seid vorsichtig! Geliebte! Und nicht leichtsinnig umgehen mit der Gesundheit jetzt, Du nicht und ich nicht!

Das andre aber, Du mein Herzblut, das bleibt uns: unsre Liebe! Unsre Liebe!!! Geliebte, sie ist mir das Kostbarste, das allem vorgeht auf dieser Erde! Und wenn alles wankt und fällt, dann bleibst Du mir doch! Und wenn wir außer Landes gehen müßten – wenn Du bei mir bist, wird Heimat sein und Geborgenheit, Liebe und Wärme. Wenn alles uns untreu verläßt – Deine Treue, aus tiefer Liebe geboren, sie bleibt mir, das glaube ich felsenfest. Und daß ich sie Dir halte, solange noch ein Atemzug in mir ist, daßs magst Du froh wissen. Sie ist doch mein einziger Halt noch; das einzige, daraus es sich lohnt zu leben – Geliebte!!! Meine liebe, liebste [Hilde], Du!!!

Und Gott? Geliebte! Bang und fragend und zweifelnd und furchtsam schauen wir nach ihm. Dieser Krieg, diese furchbare Geißel der Völker, diese größte der Heimsuchungen – ist sie es sein Geschick? Und was will Gott uns damit sagen? Soll unser Volk triumphieren oder tief gedemütigt werden?

Geliebte! Diese trübe Stunde will uns keine Antwort geben. Aber wir fühlen es: Gott sitzt im Regimente. Und wenn wir nicht verzweifeln wollen, wir müssen diesen Glauben festhalten! Gott führt – und führt alles wohl hinaus. Rächer ist er denn je. Und wie ein rechter Vater, so züchtigt er uns – aus Liebe. Geliebte! So müssen wir wohl glauben – und ihm stillehalten – und ringen um den rechten Glauben und uns mühen um ein Leben nach seinem Gebot.

Das ist nicht leicht – und erfordert soviel Kraft – ach, Geliebte! [I]ch denke, an Deiner Seite, mit Dir im Bunde wird es leichter sein, werden wir es freudiger können. – Geliebte! Ich kann [n]icht anders glauben, als daß Gott uns zusammengab darum. Und wir fühlen ja beide Gnade und Segen seines Geschenkes auch in dieser ernsten Stunde und der bösen Zeit der Trennung. Herzlieb! Gott hat uns sichtbar gesegnet und ausgezeichnet mit dieser Liebe vor vielen Menschen. Das werden wir ihm allzeit danken und das soll uns verpflichten, ihm deshalb nur Liebes anzuhängen.

Im Vertrauen auf ihn, im Wissen um seine Güte und Gnade sollten wir recht eigentlich stark uns zeigen und zuversichtlich und unverzagt. Keine Not so groß, daß er sie nicht wenden, ihr nicht gebieten könnte.

Mein liebes, teures Herz! Du wirst es gefühlt haben, daß ich Dir nahe war, daß ich um Dich war mit liebender Sorge – ach, Geliebte! Könnte ich Dich einhüllen in meine Liebe! Aber Du mußt es auch mit mir!! Könnten wir uns umeinanderverschlingen! Wir haben einander doch soo sooo lieb!!! Und das ist die Hülle, die schützende, wärmende, stärkende. Gott schütze Dich! Geliebtes Wesen! Er erbarme sich unser und sei uns gnädig!

Ich habe Dich ganz sehr lieb! Ich bin um Dich mit meinen liebsten Gedanken, ich halte Dich fest und halte mich an Dich mit aller Anhänglichkeit, mit aller Treue und Liebe!!!

Ganz, ganz Dein bin ich! Dein [Roland]!! Mein Herzlieb!!!!!

Viel liebe Grüße den lieben Eltern.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946