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Briefkorpus

Mittwoch, den 2. Juli 1941

Mein liebes, teures Herz! Geliebte, Herzlieb mein!

So, nun schreibt der Hubo wieder mit den Anderen an einem Tische. Jetzt ist er nämlich ein paar Mal abends ausgezogen nebenan in die Schreibstube – weil er mit seinem Geburtstagskind ganz allein sein wollte. Die Kameraden haben mich auch geneckt deswegen, aber das rührt den Hubo nicht. Wenn es um Dich geht, da lass ich mich nicht irre machen. Wo wirst Du denn meiner gedacht haben? Ich will raten: Gleich im Lehnstuhl draußen hast den Boten auf Deinen Schoß genommen und hast ihm alles erzählt, hast mit Deinem Mannerli geredet! Du! Herzlieb, daß ich Dein Vertrauter bin, das macht mich doch sooo glücklich! Das hab ich mir doch schon als großer Junge manchmal ganz herrlich gedacht, der Freund zu sein eines so lieben, bezopften Wesens, (Ja! Ja! Zu meiner Jungenzeit liefen die Mädel alle noch brav in Zöpfen, die meisten auch noch in hohen Schuhen. Du! So ein Alterchen ist Dein Dickerle!) ja, allen Ernstes. Und nun bin ich´s– bin´s sooo, wie ich’ s als Schulbub doch gar noch nicht träumen konnte, Du!!! Weißt, was mich ganz närrisch machen könnte vor Freude – daß auch ihr Weiberlein euch sehnen müsst – und daß mein Herzlieb just nach dem Hubo sich sehnt – daß die Liebe, das Sehnen überhaupt ein Echo, einen Wiederhall hat in der Welt! Ach Herzlieb! Ich hab doch manchmal gar nimmer glauben können, daß auch meines einen solchen Wiederhall finden sollte, so unwirklich schön und selten dünkte mich das – und nun habe ich doch Dich! Du!!! Du!!!!!! Mein Echo, mein Wiederhall, mein Glücksspieglein – und ich Deines, Dein Wiederhall, Dein Glücksspieglein!! – Du!!!!! Immer feiner und reiner und schöner stimmen die Saiten sich ab unserer Herzen – Du und ich! Dein und mein! Nur Dein! Ganz Dein!!! – Ganz mein! Nur mein!!! Herzlieb! Wir dürfen erfahren, was Liebe ist, Du!! Wir dürfen lieben! Lieben!!!

Ach – und nun wird doch meine Neugier und Wissbegier täglich größer – was mein Sommerferienvöglein treibt, mit der lieben Mutsch – im Elbschlösschen, und drum herum – und wie die Mutsch das alles anschaut – und wie ihr miteinander durch die Gegend trabt – und der Kutscher fehlt doch zum Gespann - hüst! hüst! Vöglein, so hatte ich doch begonnen – und nun schreibe ich Pferdlein – ach, ich mein’s doch mit einem so lieb wie mit dem andern – und was Du bist, das will ich natürlich auch sein – die Vöglein haben ein Nestchen – und die Pferdel [Pferdchen] ein Ställchen! Das Wetter? Bei uns ist es seit ein paar Tagen etwas wechselhaft – warm immer, und schwül und gewittrig. Am Sonnabend gab es ein Gewitter mit einem mächtigen Guß. Bei der schlechten Beschläusung der Stadt wirkt sich so etwas verheerend aus. Von den steilen, kahlen Höhen rennen die Wildbäche und bringen Lehm und Steine. Seen bilden sich auf der Straße, die Schienen der Straßenbahn verschmutzen und verstopfen. Das Meerwasser vor unserer Villa färbt sich weithin schmutzig braun. Anderntags ist in den Straßen lästiger Lehmstaub. Dabei hat es eine Stadt am Meer doch eigentlich sehr leicht, für eine gute Kanalisierung zu sorgen. Wir sehen eben alles mit deutschen Augen. Eben vorhin, wie auch schon am Spätnachmittag, hat sich ein Wetter ausgetobt. Sehr schwül war der Tag – das Wetter lag in der Luft. Ein herrliches Schauspiel das Blitzen drum herum! Aber dann ein Sturm und ein Gießen – und dann, Wohltat, rauscht der Regen gleichmäßig hernieder wie zu Hause und es kommt die ersehnte Abkühlung. Das ist hier ein seltenes Geschenk und darum desto willkommener. Aber ich denke, daß wir uns der größeren Wärme wegen schon angepasst haben. Hauptsache, man bleibt im Hause in den heißen Mittagstunden. Ich fahre jetzt nicht mehr mit dem Kahn zum Essen. Da ist man für 20 Minuten der Sonne ganz ausgesetzt – und ich habe dann manchmal Kopfschmerz verspürt. Ich fahre jetzt mit der Straßenbahn – das geht bei meinem Sonderposten ganz gut einzurichten. Die Straßenbahn ist ja zu manchen Stunden voll besetzt. Seit einigen Tagen bleiben den Soldaten die Trittflächen an den Wagenenden vorbehalten, die Griechen müssen in das Wageninnere – das ist der Berührung wegen mit den Leuten, die natürlich alle nicht fein sauber sind. Eine etwas beleidigende Maßnahme, die die Griechen nicht gerade freundlich aufgenommen haben. Der neue Kampf gegen Russland hatte natürlich auch hier alles in Spannung versetzt – man sah es deutlich an Mienen und Gesten – und, vielleicht haben wir es uns mehr eingebildet nur, war darin Schadenfreude zu lesen. Es gab sogar einen kleinen Nachtalarm. Das Wichtigste daran war das wilde Gerücht eines Aufstandversuches, das sich als völlig haltlos erwies. Unterdessen sind den Griechen wohl über den Erfolgen unsrer Soldaten die Köpfe wieder zurechtgerückt worden. Und im Übrigen kann unser Sieg nur im Interesse auch der Griechen liegen. Die Kornhäuser warten der Auffüllung. Aus Kanada und aus Australien kommt nichts herein – die Ukraine kann mit ihren Vorräten helfen. Seit einigen Tagen liegen 3 französische Kriegsschiffe im Hafen, wohl bestimmt, die Frachtdampfer ins Geleit zu nehmen. Ein wunderliches Treiben jetzt in der Weltgeschichte. Vor Jahresfrist noch unser Todfeind – heute an unsrer Seite. Es ist nirgends Treue und Verlass, wo man den Nutzen abwägt. Die große Welt ist wohl schon immer von solchen auf den Nutzen abzielenden Berechnungen bewegt worden, heute bestimmt aber nicht weniger als früher. Und dieses kalte Rechnen ist heute auch weit in das nachbarliche Verhältnis des persönlichen Lebens eingedrungen. Rücksicht ist eine schon gar seltene Tugend, Takt noch vielmehr – und helfende Liebe, die kann man lange suchen. Auch im Soldatenleben. Dieses Leben ist auf die Dauer doch ein fruchtloses, ungesundes Leben. Wie reich an Anregungen und Impulsen zur Arbeit, zum Streben, zum Nachdenken ist doch mein Lehrerberuf! Das musste ich dieser Tage recht deutlich empfinden! Ich werde froh auch dahin zurückkehren. Leid tun mir nur die, die auf 12 Jahre Dienst sich hier verpflichtet haben. Ach Herzlieb! Ich werd ja so ganz schnell heimkehren wollen zu Dir! Mit beiden Füßen zurück, mein Leben fortzusetzen! Ganz schnell den Rock ausziehen, den Soldatenrock. Herzlieb! Herzlieb! Nichts hält mich hier! Aber mit tausend Armen und Fasern zieht es mich zu Dir, zu Dir!!! Zu meinem Weib! All meinem Glück und Sonnenschein! Du!!! Gott behüte Dich! Er sei uns gnädig! Ich küsse Dich ganz lieb! Ich habe Dich sehr, sehr lieb, Du!!!!!!!!!!!!!!!! Ich bleibe ganz Dein, nur Dein [Roland]!! Du!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946