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[OBF-410729-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 29. Juli 1941

Herzlieb! Herzallerliebste mein! Mein liebes, teures Weib!

Mittag ist. Dein lieber Bote vom Dienstag ist zu mir gekommen. Und nun ist doch wieder alle Ruhe hin zur Mittagsruhe. Und nun bewegen mich lieb und bunt wieder allerlei Heimgedanken und drängen mich, mit Dir zu plaudern, Geliebte! Der fehlende Mittwochbote, das war ein ganz besonderer – ich bin ja gespannt, ob er Dir Freude brachte. Ich nehme an, daß er am Mittwoch zu Dir gekommen ist.

So, nun mal fein der Reihe nach. Also, das nächste Mal muß der Hubo doch selber mitreisen zur Bewachung. Er wird nicht eifersüchtige Blicke nach links und rechts schleudernd neben Dir gehen – er wird sein Weibel nur immer ganz lieb anschauen und mit seiner Liebe gefangenhalten. Aber jetzt klingt es ja fast, als wärest Du der Ausreißer und Ausbrecher gewesen, und dabei ist doch nur das zudringliche, unverschämte Mannerli schuld. Nach dem Empfinden Deines schämigen Mannerli ist es schon unverschämt, einer fremden Frau sich zudringlich zu nähern. Unverschämt, ohne Mann, im doppelten Sinne: unverschämt gegen die fremde Frau ist das Ansinnen, das in solcher Zudringlichkeit liegt – und ohne Schamgefühl ist der Mann vor sich selbst, der sich damit, daß er die eigene Frau hintansetzt [sic], eine derbe Blöße gibt.

Herzlieb, Du darfst nicht denken, daß ich jetzt mich ereifere. Sollst mir auch immer sagen, ob Du meinst, daß ich darin zu fein empfinde, zu empfindlich, ob ich damit zu hart urteile? Jesus spricht in der Bibel einmal vom Ehebrechen. Dem Sinne nach heißt es an der Stelle: wer seines nächsten Weib auch nur begehrt mit den Augen, der hat die Ehe gebrochen. Ach, und daß man mit den Augen sündigen kann, das ist gewiß. Und es ist doch noch ein entscheidender Schritt vom Aug Hinsehen bis zu dem Entschluß, etwas zu unternehmen. Ach Herzlieb – ein großer Segen, daß wir mit unsrer großen Liebe frei und unbehelligt sind von diesen spitzen Empfindlichkeiten. Wenn Du bei mir bist und ich neben Dir schreite – ich habe es zu meiner ganzen Freude empfunden – da bin ich ganz wunschlos und glücklich und unangefochten – da sind all Herzfasern gebunden an Dich, auch keine einzige ist mehr frei – und Dich hintansetzen? Wenn mir schon so zu Sinn wäre, mein Stolz, mein Recht- u. Pflichtbewußtsein und mein Schamgefühl, die ließen es nie zu, daß dieser Sinn je offenbar würde. „Und ich weiß noch heute nicht, weshalb sie so eifersüchtig auf mich war“ – diesen Gedanken verstehe ich nicht ganz. Weißt Du, das Gekränktsein der Frau hätte sich nur gegen ihren Mann richten sollen?– Richtig, wenn die Frau weiß, daß ihr Mann allein der schuldige Teil ist. Aber wenn sie es nicht weiß?– Ach weißt! Wir zerbrechen uns darüber ein andermal den Kopf, wenn wir gerade nichts Besseres wissen. „ Dich [sic] nichts vergeben“ und „diplomatisch vorgehen“, diese Vokabeln sollen unsrer Liebe immer fern bleiben, Herzlieb!!!!! Und wir wollen nur Gott um seinen Segen bitten, daß er unsre Liebe auch vor solchem Unglück bewahre: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar[n] nicht gefällt“ – das ist ein wahres Wort, und wir wissen es beide, daß wir ganz ohne Vorsicht und Maske und Berechnung nur miteinander leben können, daß wir aber ihrer im Verkehr mit unseren Mitmenschen nicht entraten können. Ach, wenn ich es an einem Orte erleben müßte, daß wir keinen Frieden hätten untereinander – ich würde wollen kurz entschlossen wegziehen – und Du, Geliebte, würdest mich darin gewiß verstehen! Ob auch ich einmal nach den jungen Weibeln schaue, wenn ich älter bin? Die Männer, die es tun, sind gewiß nicht ganz zufrieden, sind zudem unbeherrscht. Sagt man nicht auch, sie seien alte Esel? Oh Geliebte! So mag ich nie und nimmer sein!!! Ich betrachte es als ein seltenes Glück, daß ich bisher immer denken konnte: kein Jahr möchte ich noch einmal leben, kein Jahr zurückhaben – mit anderen Worten: den Standpunkt, die Reife, die ich eben erlangte, möchte ich nicht eintauschen gegen die Zeit, da ich diese Reife noch nicht hatte – und so denke ich noch heute, so denke ich auch von den letzten Jahren unsres großen Glückes – vorwärts!– zu Dir!, zu unserem Schaffen!– oh Herzlieb, er wird uns Jahr um Jahr zu größerer Reife führen. Und das soll unsre größte Bitte zu Gott sein dann, daß ein jeder Tag, ein jedes Jahr uns besser, reifer finde. Und jeder Tag und jedes Jahr – es wird uns nur immer inniger zusammenschließen – unser gemeinsamer Besitz und Erwerb, unser Heim, unsre Kinder, unser Erleben all – mit jedem Tag werden wir einander mehr schätzen – oh Herzlieb! Daran glaube ich so froh – und das Bild unsres Glückes, es steht mir so hoch über allen Niedrigkeiten und Häßlichkeiten,

Na, und wenn ich den Gedanken mal leicht und luftig nehmen soll: wenn ich ein jüng[r]es Weibel sehen will, dann darf ich ja nur auf Dich schauen! Da brauch ich doch gar keinem anderen erst Augen zu machen – jünger, wie ich es habe, geht`s doch gar nimmer! Du! Mein liebes, liebes Schätzel!!! Ach weißt, wenn ich Dein [ge]denke, da vergesse ich doch zumeist den Altersunterschied, so wie ich ihn vergessen kann zu einem Freund, zu einem Kamerad[en]. Da ist mir doch viel wichtiger, daß Du überhaupt an meiner Seite gehst. Ach, und ich vergesse ihn auch deshalb, weil wir uns so ganz verstehen, Herzlieb! Daß ich ein so junges Weiberl heimzuführn das Glück hatte – ich weiß nicht, wie mir und Dir die Mitwelt das auslegt, ist mir auch ganz gleich – das empfinde ich zuweilen so froh, weil sich mir darin ein ganz besonderes Vertrauen Deinerseits auszudrücken scheint – vor allem aber bin ich glücklich darum, daß ich die erste, heiße und gläubige Liebe eines Weibes gewann; mit diesen Vorzügen hätte ich doch auch ein älteres Weiberl[,] als Du es bist, ganz liebgewonnen.

Hat es auch noch einen anderen Gru[n]d sonst, wenn die älteren Männer nach den jüngeren Frauen schauen? Es ist doch nur Begehrlichkeit, niedrige Begehrlichkeit, die sie bewegt. Können sie die eigene Frau nicht mehr so recht lieben? Waren sie unfähig, das Feuer der Liebe lebendig zu halten? Und nun sucht ihre Unfähigkeit ein anderes Opfer! Ja Herzlieb! Auch so kann man es ansehen. Sie erkannten die Liebe nicht als das hohe Ganze.– Und wenn nun einer der Gatten krank wird? Herzlieb! Wenn ein Mensch ein Auge oder einen Arm verliert, dann kann man es erleben, daß das andre Auge oder der andre Arm die Arbeit des anderen verlorenen Gliedes mit übernimmt, daß die Kraft des fehlenden dann auf das noch vorhandende übergeht. Ach, und so, meine ich, wird auch große, tiefe Liebe überwinden – sie wird halten, ohne zu entbehren, zu resignieren, zu verkümmern. Herzlieb! Wir haben einander so sehr lieb! Und sind so entschlossen und entschieden und erfüllt davon, daß das Glück uns[e]rer Liebe ein ganz Einmaliges und Großes und Ganzes ist – und wenn nun Mannerli und Weiberli tatsächlich sich einmal umschauen, was links und rechts von ihnen vor sich geht, so sind sie doch ganz erhaben über jeder Lieblosigkeit, so kann das doch an dem festen, tiefen[,] sicheren Grunde ihrer Liebe gar nicht rühren.

Du Herzlieb! Wenn wir werden ein paar Jahre miteinander gelebt haben, dann sieht uns jeder an der Nasenspitze an, daß wir zusammengehören, dann wird gar niemand mehr auch versuchen, gegen das Bollwerk unsrer Liebe anzurennen. Und wenn wirklich Dir noch ein [Roland] begegnete und mir eine [Hilde]?– Das kann nimmermehr sein! Wie sollte ich sie auf den ersten Blick erkennen, die dunkle, tiefe, reiche, gütige?– Die tausend Bande, die alles Erleben bisher um uns schlang, fest, unblöslich?– wer wollte sie ersetzen?– Unmöglich, unmöglich!!! Wie könnte auch eine neue große Liebe auf den Verrat der alten sich gründen?– Herzlieb! Du kannst mich nimmermehr verlassen! Und ich, Geliebte, Dein [Roland]?– Ich bin ganz Dein! Der so lange allein ging – der nun sich entschied – Wankelmut kann man ihm nicht nachreden. Du!!! Du!!!!! Ich lasse Dich nie und nimmermehr! Mein liebes, liebstes Weib!!!!!

Herzlieb! Heute war wieder ein Blauer mit von der Partie wie au\ch [sic] am Sonntag. Daß Du sie versteckst, ist falsch. Wer sie sucht, findet sie auch so – aber angerechnet wird es uns dann desto schlimmer! Ja? Du!–

Von Deiner Hilfe bei G.'s erzählst mir. Wozu Du Dich einmal entschließt – daß Du es dann ganz und herzhaft anfaßt, das weiß ich.  Frau G. hast Du damit gewiß einen großen, lieben Dienst erwiesen. Bleibt nur der Eindruck, daß der Herr G. wirklich hätte hie[r] und da selber ein wenig Hand anlegen können! Daß er nun auch seine Frau allein reisen läßt! Unverständlich scheint es uns beiden. Aber wir können es nicht ändern, auch nicht mit einem Wort daran rühren. S[ie] müssen sehen, wie sie miteinander fertig werden. Ein Blümlein ist, daßs mit seinem Schein soviel Licht und Sonne und Wärme verbreitet – ein Schlüsslein, das die Herzen aufschließt und weit öffnet füreinander, und alle Schätze eines großen, reichen Herzens auftut: die Liebe, die große, wahre Herzensliebe!!! Sie ist zwischen uns, meine [Hilde]! Sie wohnt in unseren Herzen! Und sie lebt und wirkt darin! Laß uns Gott danken für dieses reiche Geschenk! Ihm wollen wir sie anbefehlen, damit sie bösen Versuchungen nicht unterliegt!

Mein liebes, treues Weib! Aus Deiner großen heimlichen Freude schlägt sie mir heiß entgegen. Du wartest mein! Und ich komme zu Dir! Oh, uns[e]rer Liebe schönster Lohn! Herzlieb! Es war mir so leicht, Dich lieb zu behalten in der Ferne – niemand und nichts kann mich von Dir reißen – nimmermehr! Gottes Geschenk ist uns[e]re Liebe! In unseren Herzen und in seinem Willen ist sie verankert – oh Herzlieb! Und des des bin ich sooo froh und glücklich. Oh, ich bin es mit Dir! Geliebte!

Dein bin ich, Dein Mannerli – und Du mein liebes Weib!!! 

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.410729-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946