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[OBF-410803-001-02]
Briefkorpus

Sonntag, den 3. August 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzlieb! Geliebte mein!!!

Ach Du! Das war zunächst eine Enttäuschung heute: Dein lieber Bote kam nicht, schon den dritten Tag. Woran das liegen mag? Kamerad H. ging auch leer aus und ich fragte Kameraden aus der nämlichen Gegend, sie warteten auch vergebens. Also haben wir uns miteinander getröstet – und mein Herzlieb kann doch gar nicht [sic] dafür!!! Aber, um einen Spaß zu haben und unsre Stimmung etwas aufzubessern, haben wir die Gekränkten gespielt; haben gedroht mit Einstellen jeden Briefverkehrs, daß wir unseren Groll nun werden hinunterspülen und uns hier in Griechenland kümmern müssen! Siehste! Aber Deinem Hubo war doch keineswegs so zu Sinn, Du!!! Nach unserem Mittagsschläfchen war doch der ganze „Groll“ schon wieder verflogen – und da konntest Du zwei Männer [s]ich ereifern sehen über Reiseplänen – nach Hause. Landkarte und Fahrplan wurden zur Hand genommen. Herzlieb! Bis Wien müssen wir ja erst mal alle zusammenfahren – aber dann gibt es drei verschiedene Marschstraßen, über die die wir gegen die Heimat anmarschieren können – ja, jetzt kommen die Soldaten und greifen die Heimat an! Fürchtest Dich, Herzelein? Du!!! Dein Mannerli kann fahren über Passau – Regensburg – Hof, ist es gegen 8 Uhr morgens in Chemnitz, über Prag – Dresden, ist es gegen 10 Uhr in Chemnitz, über Breslau – Dresden, ist es gegen 15 Uhr in Chemnitz. Welche Verbindung ich dan nehmen werde – schwere Frage, Du! wenn ich sie nehmen darf, über Passau. Kommt der Hubo gleich durch den ‚Hof‘ hintenherein – kann mir mein Herzlieb gar nicht entgegenkommen – bin ich gleich da – Du!!! Du!!!!!

Weißt  Herzlieb, mit dem Entgegenkommen wird das nun so und so eine riskante Geschichte. Weißt, wenn Du mir bis Dresden entgegenkämst, müsste ich doch auch zu lange warten auf das Empfangskussel – ob ich eins krieg? Nein, weißt, am liebsten ist es mir doch beinahe, Du holst mich vom Bahnhof ab in Oberfrohna. Aber von Wien bekommst Du Dein Telegramm – und von Chemnitz rufe ich an – und w[ei]l es doch Sonntag ist, bei Baumeister T. – denen kannst nach Empfang des Telegramms immer Bescheid sagen – daß sie es Dir womöglich nur über die Straße zurufen brauchen – er kommt, er kommt! Herzlieb, Herzlieb!!! Er kommt, er kommt!!! Freust Du Dich denn so wie ich mich freue? Geliebte!! Was ich frage. Ach Herzlieb! Wie lieb steht der Augenblick des Wiedersehens vor meiner Seele. Wie lieb auch alle Augenblicke des Wiedersehens von früher! Ach, das ganze Nest Oberfrohna, so ungefüg es ist, seit ich Dich habe, da scheint es mir doch übergoldet wie eine Wunsch–  und Märchenstadt, und sonnenbeglänzt alle Wege, die wir gingen und alle Plätzchen, da wir ruhten. Und ist in dieser Märchenstadt doch alles nur Kulisse und Dekoration für das eine Schloß, das darinnen steht – ach Herzlieb, alles versinkt vor diesem Schloß und um dieses Schloß herum, alle Häuser, Menschen, Verhältnisse – und nur Dich schaue ich neben den Hütern unseren Glückes, den lieben Eltern.

Ach Herzlieb! Nur nach diesem Schloß steht mein Sinn – und nach der Königin, die darin residiert – Geliebte!!! Du! So eigennützig ist unsre tiefe, heiße Liebe doch – Du! Daß ich doch Dein nur denken mag! Daß ich doch nur um Dich sein möchte! Daß alle anderen Menschen nur als Störenfriede erscheinen unsres Glückes. Ach Herzlieb! Das gibt sich wohl, wenn wir dann immer umeinander sein dürfen. Nicht, daß dann der Wille und die Liebe zueinander kleiner würden – aber weil wir dann nicht mehr so aufeinander warten müssen und die Stunden zählen unsres Beisammenseins. Ach, ein Platz wird in unseren Herzen bleiben, da darf doch niemand wohnen als Du und ich – und der steht immer bereitet, daß wir ihn aufsuchen können und darinnen rufen: das ist ganz tief drinnen im Herzen, wo es am heißesten schlägt.

Was wird mein Feinslieb jetzt treiben? Ach, könnte ich nur einmal zusehen von weitem! Ich bin ja schon froh, wenn Du es mir hintenach so lieb berichtest.– Still scheint mir das Bächlein der Liebe heute. Hat mein Herzlieb einen Kummer, ist eine Wolke über seinem Sonnenglück? Ach ich wollt sie doch ganz schnell vertreiben und den Kummer Dir wegg wegküssen. Es gibt doch gar keine Sorge mehr und keinen rechten Kummer, seit wir einander haben, außer der einen, die wir Gott im Himmel anbefehlen. Dein Mannerli hat sich von Sorgen noch nimmer niederdrücken lassen. Es ist wohl auch besorgt – und wenn ich Grund hätte, um Dich, Geliebte, wäre ich es wohl ganz sehr – und das Leid, das kann mich wohl auch tief beugen. Aber das übertriebene Sorgen, es ist gar nicht immer das tiefste Sorgen, macht uns nur schwach und wehrlos, es ist auch ein Mißtrauen gegen Gott, der tausend Wege hat, die Sorge zu vertreiben, wie wir es täglich um uns erfahren können.

Herzlieb! Mit Dir und an Deiner Seite scheinen mir alle kleinen Sorgen so nichtig. Wir lassen sie in unser Heim gar nicht erst herein. Und die großen Sorgen – wir lassen sie gar nicht tatenlos und furchtsam auf uns zukommen – wir gehen ihnen tapfer nach unseren Kräften zuleibe (was manche Sorgen nennen, sind bei Lichte gesehen oftmals Aufgaben) – und unsre größte Sorge soll allzeit sein, daß Gott unserem Schaffen seinen Segen leiht. Und das Leid? Es wird kommen – gewiß – oh Herzlieb! Wir wollen es miteinandertragen – und Gott im Himmel möge uns gnädig beistehen. Es ist eine harte Welt – und das Leben ist keine reine Freude – ist vergällt durch das Leid – und der ungemischte Freude sucht, wird enttäuscht – und wer das Leid nicht sehen wollte, der würde nie seine Tiefen und Höhen erleben – ach Herzlieb! Es gibt nur eine Haltung, in der wir diese Welt durchschreiten können: auf Gott den Blick gerichtet, auf Hohes, Edles, Gutes den Sinn gerichtet – tapfer ausschreiten. Dann dürfen wir uns auch freuen, ohne daß wir uns den Vorwurf der Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit machen müssen – und dann werden wir auch nicht überhören die Stimmen des Leides. Gott schickt Liebes und Leides – so glauben wir – und dieses Leben ist nicht bereitet zu ungemischter Freude – es ist ein Schaffen in Gottes Weinberg, wie Jesus selbst es sagt im Gleichnis. Und wir wollen gern und froh schaffen, nicht uns Gottes Willen widersetzen. Und das Ruhen nach vollbrachtem Schaffen, es soll uns die Stunde größter Freude sein!

Mein liebes, teures Herz! Aber morgen wirst Du nun zu mir kommen, ja? Ja!! Du!!! Du!!!!! Wie sehr ich auf Deinen lieben Boten warte, auf Deinen Gruß, auf Deine Stimme, auf Dein Vertrauen, Deine Zärtlichkeit und darauf, daß Du mir sagst, wie Du mich liebst! Oh Geliebte! Mein Herzlieb! Mein Herzblatt! Mein Leben!

Ich liebe, liebe Dich! So sehr!! Du!!!!! !!!!! !!! Gott behüte Dich!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946