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[OBF-410823-001-02]
Briefkorpus

Sonnabend, den 23. August 41

Mein liebes, teures Weib! Herzallerliebste mein!!!

Dein lieber, lieber Bote von Sonnabend ist zu mir gekommen. Sei viellieb bedankt, Herzlieb mein! Kannst Dir denken, was mich nun am meisten bewegt? Geliebtes Weib! Du, meine [Hilde]! Ach, ich werde ja nicht eher wieder ganz ruhig werden, eh Du mir nicht geschrieben hast von Deinem schweren Gang, eh ich nicht wieder bei Dir bin und in Deine lieben Augen schaue. Ach Geliebte, Du, meines Herzens Vertraute und deren ganzes, letztes Vertrauen ich besitze, ich will versuchen, Dir zu sagen, was das Mannerli bewegt darum, und ich weiß, Du wirst mich verstehen, wo die Worte ihren Dienst versagen – so wie ich Dich in allem verstehe, was Du mir dazu schreibst. Ja, Herzlieb, ich verstehe Dein Handeln, verstehe Deinen Entschluß.

Ich selber war es, der Dich an diesen schweren Gang gemahnte – oh, so wie Du, aus Pflicht. Oh Herzlieb, nur aus Pflicht – sonst hätte ich Dich um jeden Preis vor diesem Gange bewahrt. Und so will ich versuchen, gleich das Schwerste zu sagen – und Du wirst mich verstehen – aus Liebe! Du!!!!! Das Liebste, und Schönste und Heimlichste mußt Du dem fremden Manne anvertrauen – oh Geliebte! Es ist mir so schwer wie Dir, daran zu denken. Du hast es mir selbst schon gesagt, wie schwer es Dir fällt. Verstehst Du Dein Mannerli? Du?!!! Geliebte!!!!! Oh, ich will Dir den Gang nicht noch schwerer machen.

Ich will darum beten und wünschen, daß alles gut ist, daß Du gesund bist, und daß Dir der Gang von Segen gewesen sei! Ach Geliebte! Meine und Deine Liebe ist noch so jung und heiß und eigensinnig und so unverständig. Wenn es dann einmal not ist, dann werden wir geschwind nach ihm rufen, dem Helfer, und es können dann Stunden kommen, da wir neben Gott in seine Hand all unser Vertrauen legen – ebenso aus Liebe zueinander, aus Sorge um unsere Liebe – ach Herzlieb, wenn ich daran denke, möchte ich doch gleich ein Arzt sein, aber doch nur für Dich! Aber eben diese Liebe macht uns den Gedanken so schwer jetzt, daß wir uns einem dritten anvertrauen sollen. Ach Herzlieb! Denk, Du wärest das Mannerli – könntest Du anders empfinden? Du!!!!! Ach Herzlieb! Und ich weiß doch sooo gewiß, welch wesentlicher Unterschied ist in zwischen diesem Mat [unleserlich] Anvertrauen und Deinem Schenken ist – oh Geliebte! Geliebte!!!!! Und Du machst es mir doch sooo leicht, weil Du so wie ich empfindest und weil Du einen alten, erfahrenen Arzt aufsuchst. Ich bin sooo dankbar darum. Ach Geliebte! Es ist unendlich viel, was Du dem fremden Manne anvertrauen mußt! Du kennst meine Ansicht: Der Körper ist allenthalben auch Ausdruck der Seele! Ach Herzlieb! Ich könnte jetzt ganz traurig darüber werden! Oh Herzlieb, Geliebte! Ich möchte jetzt doch bei Dir sein, daß Du mich tröstest – daß ich Dich ganz nahe bei mir fühle mit Deiner großen Liebe!

Ach Herzlieb! Und einen Wunsch habe ich: daß wir ihn doch nur ganz selten rufen müßten, diesen Helfer.

Es ließe sich wohl eine ganze Bücherei anfüllen mit Büchern darüber, wie Ärzte ihr das in sie gesetzte Vertrauen mißbrauchten, wie sie die Hilfsbedürftigkeit und Hilflosigkeit der Menschen ausnützten, wie sie über das Maß der amtlichen Vertraulichkeit hinaus sich in das Vertrauen einschlichen zwischen Mann und Weib – die Versuchung ist ja sooo riesengroß – wie auch Frauen zu ihrem Arzte dann größeres Vertrauen gewinnen aus Dankbarkeit oder auch darum, daß sie ihm mehr vertrauten als dem eigenen Manne, daß sie bei ihm mehr Verständnis fanden und Mitgefühl – es gibt ja auch viel rücksichtslose, brutale Männer. Wie der Frau der Gang zum Arzt dann zur Gewohnheit und zum Bedürfnis wird, und der Arzt die Frauen in dem Wahne läßt, daß sie von Zeit zu Zeit sich ihm immer einmal vorstellen müßten. Herzlieb! Das sag ich aber nur Dir ganz leise, daß ich glaube, daß auch meine liebe Mutter so einmal vom Arzte hingehalten wurde. Ich habe es manchmal empfunden, daß ich an Vaters Stelle ganz eifersüchtig geworden wäre!

Ach Du! An all die Gefahren kann ich nicht glauben bei unsrer großen Liebe, soviel an Dir liegt [sic]. Ich bin Dir doch noch am allernächsten, noch näher als der Onkel Doktor. Für Dein Herz, Deine Seele, wirst Du nie einen Arzt brauchen! Oh Geliebte! Wirst nie nach einem Dritten Umschau halten müssen, um Dein Herz auszuschütten, Dich anzuvertrauen. Mein Herz ist so offen und weit und bereit, all Deine Liebe, Dein Vertrauen zu empfangen, oh, auch so närrisch und eifersüchtig wacht es darüber, daß kein Strahl Deiner Liebe verloren gehe.

Oh, ich will Dich so ganz besitzen! Geliebte! Geliebte!!! Du vertraust mir doch noch viel mehr und eher als dem Arzt. Du wirst nie zu ihm gehen, wenn Du nicht gerade seine Hilfe brauchst, nie, wenn es nicht Deine Pflicht gebietet.

Ach Herzlieb! Was bin ich so unruhig heute darüber und traurig! Und es muß doch sein! Und andre Frauen müssen ihn auch aufsuchen. Ach Herzlieb! Ich wünsche mir so heiß, daß Du gesund bist, daß er Dich nicht wieder und wieder bestellt. Geliebte!!!!! Und wo Du spürst, er hält Dich hin, er mißbraucht Dein Vertrauen, da wirst Du ihn nie wiederaufsuchen [sic], dessen bin ich ja ganz gewiß. Ach Herzlieb! Ich wußte ja schon im voraus, daß es mir auch so schwer werden würde, und deshalb wollte ich Dich begleiten, nur bis an das Haus, nein, am liebsten wollte ich mit hineingehen, nicht ins Wartezimmer, ins Arztzimmer – ach, wie ich es mir gedacht hatte, wollte mit Dir stark zu ihm treten wie ein ganzes Paar, daß er sähe, es sei unser beider Sorge, und daß ich das Vertrauen längst besitze, in das Du ihn ziehen wolltest, um seinen Rat einzuholen – könntest Du Dir das so denken? Ach, ich weiß, daß die Welt das schief beurteilt; aber was kümmerte mich das? Herzlieb! Und wenn ich schon nicht mit oben gewesen wäre, so wollte ich Dich doch unten gleich wieder ganz ganz ganz lieb in Empfang nehmen, mein Eigen, mein liebes Weib, Geliebte, Geliebte!!!!! mein Eigen, Dich gleich wieder einhüllen in den Mantel meiner Liebe, oh, so fest, so warm, sooooooooooooo lieb! Du!!! Du!!!!!

Nun bist Du allein gegangen – nicht, weil Du meine Hilfe verschmähtest, nicht, weil Dich Du mich von Deiner Seite verdrängen willst – ach Geliebte!!! – „Es wird im Leben wohl noch oft Wege geben, die ich allein gehen muß – “ Geliebte! Geliebte!!!!! Ich möchte doch jetzt bei Dir sein! Oh Du!!! Du!!!!! Ich muß doch all die Zeilen wieder und wieder lesen.

Verstehst Du mich denn noch? Habe Geduld mit mir! Bin ich undankbar? Oh, Du läßt mich Dir sooo nahe sein immer – nichts hältst Du mir verborgen – ich habe Dein ganzes Vertrauen wie kein Mensch sonst hier auf der Erde – wir haben einander doch sooo lieb!!!!! Du bist mir zu Eigen, wie kein anderes Weib seinem Manne zu Eigen ist auf dieser Erde. Du hast Dich mich mir hingegeben wie kein anderes Weib so lieb und ganz sich hingibt einem Manne. Herzlieb! Geliebte!! Das muß ich mir alles sagen wieder und wieder. Du wirst mir alles sagen, nichts verheimlichen, wirst es mir zuerst sagen, wirst es mir so sagen wie Deinem Allervertrautesten. Herzlieb! Geliebte!

Die schwersten und schlimmsten Krankheiten haben eine körperliche und seelische Wurzel. Die allerschwerste ist die Gemütskrankheit, die dann allerlei körperliche Krankheiten im Gefolge hat. Und von den beiden Wurzeln der schweren Krankheiten ist die seelische die zäheste und hartnäckigste – und der beste Arzt dagegen – – – die Liebe! Oh Herzlieb! Wie will ich Dich lieben! Wie will ich Dich glücklich machen! Wie will ich allzeit lieb und warm Dich einhüllen, daß Du mir gar nie krank wirst! Dein bester Arzt werde ich sein, ich muß es ja sein, weil ich Dich am allermeisten liebe!!! Dein bester Arzt werde ich sein, wenn mir Dein Herz weit und offen bleibt für meine Liebe – und daran kann ich nimmermehr zweifeln. Oh Geliebte! Schau mich an. Eine Schwalbe ist mein Herz, will zu ihrem Neste fliegen, das scheue wortlose Schwälbchen will heimkehren, will ruhen in seinem warmen, trauten, heimlichen Nest, dem wärmsten und trautesten und heimlichsten unter den Nestern – Dein liebes Herz ist dieses Nest, in das das Schwälbchen sich flüchtet. Und heute hängt nun ein Strohhalm vor der Öffnung – und nun flattert es so ängstlich und verstört und wagt sich nicht hinein – und ist doch nur ein Strohhalm davor. Geliebte! Behalte es lieb, Dein Mannerli mit dem scheuen, zarten Schwalbenherzen! Hast Du die Schwalben lieb, die rastlosen, himmelsstürmenden, die kaum einmal zur Erde sich niederlassen? Und doch das himmlische Nest bauen? Oh halt['] es mir offen, dieses liebe[,] traute, heimliche Nest tiefster Geborgenheit! Geliebte!!!!! Du wirst auch den Strohhalm wegnehmen.

Mein liebes, teures Herz! Gott behüte Dich mir! Er schenke Dir Kraft und Gesundheit allezeit. Er schenke mir Kraft, Dich recht zu lieben allezeit! Er segne unseren Bund und führe uns bald für immer zueinander! Oh, daß ich doch bald, bald, bald immer um Dich sein könnte!!! Ich habe Dich so lieb!!!!! !!!!! !!! Ich kann ohne Dich nicht mehr sein, Geliebte!

In Ewigkeit, bleibe ich mit meiner ganzen Herzensliebe

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946