Bitte warten...

[OBF-411008-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 8. Okt. 1941

Mein liebes, teures Herz! Holde, Geliebte mein!

Nun hebt die Zeit an, da die Finsternis und die Eisriesen wieder die Oberhand gewinnen. Halb Licht, halb Schatten, das ist das Los von uns Erdenkindern allen. Und dem langen Licht im Sommer entspricht die lange Nacht im Winter. Die aber dort wohnen, wo die Sonne immer steil am Himmel steht, sie kennen nicht die spät verglühenden Sommertage und die prächtigen Wintertage, die das aufgehende Licht gebären. Ach Herzlieb! Mitten über der Arbeit oft und sonst auch habe ich die Heimatlandschaften vor Augen, und die Herbstlandschaften sind es, die am wärmsten und tiefsten aufleuchten. Am deutlichsten die von Rechenberg-Bienenmühle. Nachdem ich 6 Wochen dort gearbeitet hatte, mußte ich nach Nassau auf 8 Wochen. Und weil ich dort keine mir zusagende Wohnung fand, bin ich täglich nach Nassau gelaufen und in Rechenberg-Bienenmühle wohnen geblieben. Rechenberg im engen Tale der Freiberger Mulde, etwa 500 m hoch – Nassau auf luftiger Höhe ¾ Stunde Weges davon. Von Oktober bis November dauerte meine Vertretung. Herrliche Aufstiege in den Herbstmorgen, aber auch Sturmregen und mehrmals kniehoher Schnee gaben mir das Geleite. Im Tale Regen, Schnee auf der Höhe, Ruhe unten, droben Sturm. Beim Aufstehen morgens ein Blick aus dem Fenster – und ich wußte, auf welches Wetter ich mich einzustellen hatte. Das Schönste aber: die Rückkehr, die Heimkehr. Aus dem Dorfe leicht ansteigend über die Höhe, der Weg von sturmzerzausten Vogelbeerbäumen gesäumt, und dann der Abstieg, durch den Hochwald, und wenn der sich öffnete, dann lag da unten das Nest mit heimlichen Lichtern und rauchenden Schornsteinen, das Bähnle [sic] bimmelte herauf und der Lärm der Kinder – und da hinab ließ ich mich fallen, heimwärts, meiner schönen warmen Stube zu. Oh Geliebte! So habe ich das Heimkehren noch nie zuvor erlebt! Und auf der Höhe, da suchte ich die Weite, meine geliebte Weite. Und bei sichtigem Wetter konnte ich Fichtelbergberg u. Keilberg sehen. Oft bin ich in meinen freien Nachmittagen noch einmal hinaufgestiegen, um nach ihnen zu schauen. Den Eckpfeiler der Fernsicht aber bildete die Aaugustusburg, sie war nur ganz selten zu sehen. Oh Geliebte! Geliebte!! Du, mein Weib!!! Wie oft ist da die Sehnsucht aufgestiegen, Sehnsucht in die Weite, Sehnsucht ins Ungewisse, oh, ich fühle es noch jetzt, Sehnsucht der Seele, des Herzens – Sehnsucht nach der Heimat, nicht ins Elternhaus, nach der Heimat, der ungewissen. Sehnsucht nach einem Seelengeschwister, Sehnsucht nach dem, was Du mir nun bist, und Sehnsucht noch weiter, ich weiß nicht wohin. Herzlieb, an Deiner Hand durch dieses herbstliche Land gehen und stille werden und mit Dir in die dämmernde Weite schauen – Du weißt es, wie ich das liebe! Nach der Augustusburg habe ich geschaut damals als dem fernesten Eckpfeiler – und wenn es möglich gewesen wäre, so hätte mein Blick wohl gerade auch Oberfrohna getroffen, an das ich damals noch gar nicht denken konnte, und wäre Dir begegnet, meiner Seelenschwester, meinem Weltengeschwister – Du! Du!!!!!

Oh Geliebte! Nun hat all dies ferne, feine Sehnen ein Ziel gefunden – ist Dir begegnet – hat Dich angesprochen – wir haben einander gefunden. Oh Herzlieb, Du! meines Herzens Königin! all [sic] die feinen Fäden dieser fernen, feinen, zarten, guten, hohen Sehnsucht, sie weben nun um Dein Haupt eine Krone, die Krone meiner Herzenskönigin.

Bei Dir fand ich eine Heimat – und wenn ich ihrer Traute und Wärme denke, dann ist mir so wie damals ums Herz. Oh Geliebte! Und wenn es erst einmal auch sichtbare Gestalt wird angenommen haben, dann wird nichts Schöneres sein, als heimzukehren, heim zu Dir!!!

Augustusburg. Herzlieb! Denkst Du noch daran? Herbst war es auch. Und wir gingen miteinander durch den Herbst – aufgeschlossen waren unsre Herzen – und wir fühlten wohl zum ersten Male tiefer, wie eines dem anderen Heimat und Geborgenheit sein könnte. Geliebte! Vor den Türen standen wir damals noch, und wir ahnten und spürten die Heimlichkeit und Traute], die dahinter wohnte, die Wärme der Liebe.

Und abends, auf dem Wege zum Bahnhof, da gingen wir Hand in Hand im dunklen, tiefen Grunde. Und ein Jahr später, Herzlieb, da waren wir einander ganz gewiß. Oh Herzlieb! Es war doch eine gesegnete Zeit auch, die des Hoffens und Sehnens und Prüfens.

Und warum ich daran erinnere heute, des Sehnens all mich erinnere? Nicht weil ich ihm nachtrauere als einem verlorenen Paradies. Oh nein Geliebte! Das Beste dieses Sehnens, es ist noch in unsrer Liebe, und es bleibt darin, solange ich Dich liebe, solange ich lebe! Und mit der Dämmerzeit des Herbstes erwacht es immer aufs neue. Dämmerzeit, Kerzenzeit ist Herzenszeit, Seelenzeit. Eitelkeit und Farbenpracht verschlingt die Dämmerung. Aber desto schöner und heller leuchten dann die Herzen und Seelen. Herzlieb, Du! Geliebtes Wesen, geliebte Seele!

Ich denke an die Dämmerzeit und Kerzenzeit vor einem Jahre, da Du mich besuchtest in Barkelsby, Geliebte! Und ich denke an Dein liebes Antlitz beim Abschied, wie es leuchtete im Dämmerschein, Dein Herz, Deine Seele, mein Herz, meine Seele!!!

Sehnend immer wird sich meine Seele nach der Deinen strecken und mit der Deinen zu dem Meer der Seelen, – es ist wohl bei Gott.

Herzallerliebste! Ich habe Dich sooo lieb, habe Dich so lieb! „Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!“

Ich möchte bei Dir sein, und mit Dir gehen durch die Dämmerzeit, durch die Seelenzeit. Oh Geliebte! Gott wird es uns schenken, dieses Leben Hand in Hand. Ich glaube es.

Ach Du! Ich möchte Dir all meine Liebe u[n]d Verehrung zeigen!

Gott behüte Dich! Er sei mit Dir auf allen Wegen.

Ich träume mich Dir gegenüber, Aug‘ ruht in Aug‘, Wang lehnt an Wang, und Deine liebe Hand ist in der meinen. Mein Herz Du! Meine Seele! Geliebtes Wesen!

Ich liebe Dich! Ich bin ganz Dein!

Dein [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

Schlagworte