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[OBF-411009-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 9. Okt. 1941

Mein liebes, teures Weib! Herzallerliebste mein!

Zwei Tage ließ Dein Bote auf sich warten – heute ist er nun wieder zu mir gekommen und bringt mir soviel Freude und Liebe in Wort und Bild – ach, Geliebte, und auch Sehnsucht, die Sehnsucht weckt – und nun sind es heute doch erst 14 Tage, daß ein unerbittliches Schicksal [mich] von Deiner Seite entführte, 2 Wochen erst, und ich meinte doch auch fast, es wären schon bald Monate! Sei für Dein liebes Gedenken viellieb bedankt!

Ist Dein Leben daheim fast bewegter als meines hier in der Fremde. Das meine läuft wieder in seiner bekannten, geregelten Folge ab. Wecken noch immer morgens 6 Uhr. Dämmergrau ist es dann noch, hinter den Fensterläden sogar finster. Aber bald erwacht dann der Tag und am Morgenkaffeetisch merkt man schon, daß es licht werden will. Um 8 Uhr, nach der Morgentoilette, der eigenen und unsrer Behausung, beginnt dann der Dienst. Noch immer halten die laufenden Geschäfte mich in Atem, und ich bin kaum noch zu einer ordnenden Übersicht gekommen. Um 11 Uhr rüste ich dann zum Mittagessen. Ziemlich genau gegen 12 Uhr bin ich im Hafen und kann dann mit Kamerad K. gemeinsam die Mahlzeit einnehmen, er sein Dienst geht ja bis 12 Uhr. Nach einem kleineren oder größeren Umweg durch das Geschäftsviertel, je nach Laune oder Kaufkraft, landen wir gegen 13 Uhr im Quartier. Mittagsschläfchen haben wir bisher nicht gehalten, sondern das Tageslicht genützt, unsre Briefe zu schreiben. Heut abend aber sind 60 Kerzen an unserem Stubenhimmel aufgezogen, und diese Tatsache könnte sich auf die Mittagsstunde auswirken, mal abwarten. Um 15 Uhr also wieder Dienst. Gegen 18 Uhr rutscht die Sonne hinunter dann wird es rasch finster. Und weil die Beleuchtung unsrer Schreibstube noch nicht auf der Höhe ist, so versickert unser Arbeitsfluß allmählich – bis der Hauptfeldwebel gegen 18 ½ [Uhr] Schluß gebietet. Dann sieht uns der Feierabend wieder zur Abendmahlzeit und beim Heimdenken in unsre Häuslichkeit zurückgezogen. Mehr und mehr lockt dann der Bettzipfel, einen Teil der Zeit des Wartens auf den Frieden zu verschlafen.

Mit Kamerad K. gemeinsam hielt ich freien Nachmittag. Nachdem es gestern ziemlich kühl gewesen war bis in den heutigen Morgen, zog es sich gegen Mittag auf und es gab einen schönen Spätsommertag. Ich mußte daran denken, wie auch wir beide früher so Glück hatten mit dem Wetter. Wir hatten eine Partie vor: unsre Bergkette zu queren und zu einer größeren Ansiedlung zu gelangen, die sich dahinter in einem Tale ausbreitet. Wir durchfuhren sie seinerzeit mit dem Auto. Wir rechneten mit 2 Stunden Hinweg. ½ 3 Uhr brachen wir auf. Zunächst ging es auf bekannten Wegen bis an den Fuß des Gebirges. Dann sahen wir uns um nach einem Querpfad, der in der Richtung lief, in der wir die Ansiedlung vermuteten. Wir fanden uns ganz richtig und hatten auch mit der Zeit richtig geschätzt. Bergan schraubte und wand sich der Pfad auf den Rücken der Hänge, die Schluchten links und rechts meidend. Rückblickend das bekannte Bild der Bucht mit der Stadt, das immer mehr zu einer Landkarte wurde. Maultiere zogen mit uns den Weg und begegneten uns. Kahl und baumlos und braun die Hänge, trist, trostlos. Aber wanderfroh schritten wir aus – und die Luft, die frische beflügelte unsre Schritte. Endlich erreichten wir die Höhe, den Kamm, und wir sahen unser Ziel in tiefem Tal, an eine neue Bergwelle gelehnt eine Menge sauber weiß leuchtende Häuser, dazwischen viel grüne Bäume, überhaupt war der Anblick etwas erfreulich lebendiger. Nun ging es rüstig bergab. Die engen Gassen nahmen uns auf, wenige Menschen nur zu sehen, die Häuschen romantisch-malerisch anzuschauen, aber sonst wenig einladend. Ich mußte vergleichen. Unsre kleinen Muldenstädtchen, wie schmuck und lebendig dagegen: Waldenburg, Wolkenburg, Penig! Wir suchten den Marktplatz – es gibt keinen, ein schönes Gasthaus – keines. Aber ein wenig niedersitzen wollten wir doch – und so gingen wir in das sauberste Gasthaus und tranken eine Flasche guten Wein. Zurück wollten wir auf der schönen Straße laufen, die immerzu fallend nach Saloniki führt. ½ 6 Uhr schlug die Wanduhr, die mit ihrem Westminstergongschlag recht dienstlich anmutete, als wir zum Rückmarsch aufbrachen. Der Wein hatte uns aufgemuntert, und frohgestimmt schritten wir aus. Wie lange bin ich nicht mehr so recht nach meinem Schritt eine Landstraße marschiert. Es machte uns beiden richtige Freude, und mir zogen viel, viele Erinnerungen vorüber daran, wie ich noch heimatliche Straßen ging – Du, Herzlieb, weißt es, nun recht zur eigenen Bestimmung u. zum Gleichgewicht zu kommen [sic]. Den Abendhimmel hatten wir vor uns – die ersten Sterne zogen auf, der Abendstern und im Osten der große, rötliche Und als wir in die Stadt einmarschierten war es Nacht, ¼ 8 Uhr. So wohl getan hat mir der Marsch – und Du siehst, ich bin noch gar nicht sehr müde, ich kann Dir noch alles erzählen.

Ach Herzlieb! Ich habe so oft auch Dein denken müssen, was Du wohl eben treibst, habe unsrer Ausflüge denken müssen im Urlaub, und habe auch vorausgeschaut – Geliebte! Herzlieb! Du, mein liebes Weib! Ich bin immer bei Dir! Und immerzu bist Du mein Begleiter.

Berichtest mir in Deinem Boten von der peinlichen Schlüsselgeschichte. Du hast recht gehandelt. Der Schlüssel wird sich wiederfinden, denke auch ich, und so ist den empfindlichen Hausleuten und Euch viel Ärger und Aufruhr erspart – und nur um derwillen [sic] bist Du doch nicht bei der Wahrheit geblieben. Unnötiger Alarm war also auch die Geschichte um Tante Marthel.

Zum Kursus beim Roten Kreuz hast Du Dich gemeldet. Befrage Dich, tu Dich genau um vorher, daß man Dich nicht fängt in einem Verein und zwängt in eine Uniform! Ich nahm doch auch an einem teil – auch, um nur eben kennenzulernen – und war der einzige meiner Art, der sich also nicht zum Beitritt in die Organisation meldete. Man erwartete das stillschweigend, denn der Kursus kostete nichts. Und damals war noch Frieden! Man wird bestimmt etwas erwarten jetzt! Tu Dich vorher genau um!

Über die Bilder habe ich mich doch recht sehr gefreut. Nun erkenne ich doch mein Herzlieb wieder! Auch die Eltern sind einigemal recht hübsch getroffen. Nun muß noch eine Sendung kommen, rechne ich.

Ach Herzlieb! Diese Urlaubstage werden mir doch unvergessen bleiben! Wir waren so froh darin miteinander! So froh und so glücklich! Und sie waren doch nur wieder ein Vorgeschmack von dem, das wir erhoffen, von unserem Leben, von dem Leben an Deiner Seite. Oh Herzlieb! Einmal bei Dir sein und gar nimmermehr die Stunden und Tage zählen müssen bis zum Abschied, zur Trennung – und daß dann alles Erleben und Feiern ausschwingen kann – und von der Stille sich aufschwingen zu neuem Erleben – oh Geliebte, mit Dir gleichen Schrittes durch dieses Leben gehen, auch durch den Alltag, mit Dir alles teilen, mit Dir schaffen, schaffen! Gott schenke es uns in Gnaden!

Ich habe Dich so lieb! Ich möchte doch immerzu um Dich sein, daß auch kein Sonnenstrahl, kein Liebesgruß Deines Wesens verloren ginge. Ach Geliebte! Mein Herzelein! Mußt Dich schon wieder so sehnen! Halt aus mit mir! Du wirst mit mir getreulich ausharren, ich bin dessen gewiß, und wenn es auch schwerfällt.

Herzlieb! Wann ich werde wiederkehren dürfen zu Dir? Die Aussichten werden im allgemeinen sehr optimistisch beurteilt. Ich bin vorsichtig. Immerhin[,] wenn der Urlauberverkehr nicht ins Stocken kommt, sind wir hier bald durch – dann kann bald die Reihe von vorn beginnen Kamerad K. rechnet mit Weihnachten, dann könnten wir beide gut mit Februar rechnen. Aber diesen Trost heben wir uns noch eine Weile auf – ja? Du! Geliebtes Wesen! Oh Herzlieb! Wie es Dich nach mir verlangt, so zieht es mich zu Dir mit allen Fasern meines Wesens.

Gott sei mit Dir auf allen Wegen!

Morgen schon wieder darf ich mit Dir reden. O Geliebte! Wir wollen uns der Gnade unseres Geschickes wieder und wieder dankbar erinnern zu Trost und Willen zum Durchhalten!

Ich bin Dein Mannerli, Dein Dickerle, Dein [Roland]! Bin ganz der Deine für dieses Leben! Ich liebe Dich! Geliebtes Wesen! Du! Mein liebes, teures Weib!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern!
 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946