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[OBF-411020-001-02]
Briefkorpus

Montag, den 20. Oktober 1941

Mein liebes, teures Weib! Herzensschätzelein. Geliebte Du!!!

Nun komme ich dazu, Deine lieben Boten vorzulassen. Sei nochmals recht herzlich bedankt dafür. Geliebte! Ich sagte dir schon, daß ich mich ganz zu Haus fühle in diesen Zeichen, ganz lieb verstanden und umfangen von meinem Herzlieb! Ob ich erkenne, wie Du Dich mühst? – Geliebte!!! Ich merke gar nichts von der Mühe. Du hast mich ganz verstanden. Wie heiße Liebe Dich treibt, alle Hemmnisse aus dem Weg zu räumen? – Geliebtes Herz!!! Ob ich Dich wiedererkenne hinter diesen Zeichen? Mein liebes, liebes Weib, Du!!!!!

Herzlieb, laß mich nun ganz schlicht sagen, was mich bewegt zu Deinen Gedanken. Wenn ich über unsre Zeit klage, dann weißt Du, es ist kein Jammern und Lamentieren und Kopfhängen in dem üblichen Sinne, mit dem ich Dich traurig machen will. Ich fürchte mich nicht. Ich bin nicht mutlos und hoffnungslos und ich werde an Deiner Seite entschlossen meinen Weg gehen.

Es ist eine Schau, ein Erkennen, Durchschauen unsrer Zeit, aus der wir die rechte Einstellung zu ihr gewinnen wollen. Du sollst nicht denken, daß ich den Mut zu diesem Leben verliere – Gott ist mit uns!

Herzlieb! Klar und fest und rein soll es immer sein zwischen uns – kein Versteckspielen, keine falschen Empfindlichkeiten und Spitzfindigkeiten.

Wenn ich mich sorge um unsre Liebe, um unseren Weg, dann sollst Du es ganz einfach und herzlich nehmen: Einer Burg gleicht unsre Liebe, unser Bund. Noch steht sie erst recht gegründet in unseren Herzen. Sie ist noch nicht sichtbar in Haus und Familie. Es fehlen ihr noch Wall und Graben. Und der Burgherr muß fernab weilen in fremdem Lande. Kriegswetter und Kriegsstürme toben. Ganz allein muß ihnen die Burgfrau wehren. Ist es nicht natürlich, wenn der Burgherr sich sorgt? Wenn er an seine Pflicht denkt, den Frieden der Burg zu sichern, die sonst ihm obliegt? Ist er darum ängstlich und kleingläubig? Mein liebes, liebes Weib! Ich bitte Dich! Lies nicht Mißtrauen aus dieser Sorge! Ich glaube an Deine Liebe! Ich zweifle nicht an ihr.

Ich weiß, wie tapfer und stark und bereit Du bist, sie als Deinen liebsten Schatz zu verteidigen, weiß daß Dein Dir kein Opfer zu groß wäre – du brächtest es unsrer Liebe! Oh, ich bitte Dich! Sieh nicht in mir den Mann, der erst alle Welt kleinmachen und verdächtigen muß, damit er dann als der einzig Unverdächtige, Große und Vertrauenswürdige dasteht!

Geliebte! Laß mich weitersorgen! Es ist ein Ausdruck meiner Liebe! Ergib Dich meinem Schutz! Komm zu mir mit allem, was Dich drückt!

Geliebte! Ich meine, Du hast diesmal zu viel zweifelnde Zeilen gesehen und zu viel hinter meinen Worten gesucht. Es wäre unrecht, ja sogar feige von mir gewesen, all das, was Du herausliest und bedenkst und worüber Du nachgrübelst, hinter meinen Worten zu verstehen und dir die undankbare Aufgabe zu überlassen, es herauszufinden und beim Namen zu nennen.

Herzlieb! Was Siegfried betrifft, so wollte ich Dich nur auf den Verstoß gegen die rechte Form hinweisen und Dir damit sagen: Hab ein Auge darauf! Keineswegs wollte ich Dich unsicher und argwöhnisch machen. Ich fühle mich mit Dir zusammen ihm gegenüber als erwachsener, reifer Mensch und damit gegebenenfalls als Erzieher und Vorbild.

Ich halte Siegfried für einen guten Menschen. Ich habe mich dafür auch einmal verbürgt, als Mutter mit hartem Verdacht hinter ihm her war. Daß er sich in der bekannten Geschichte nie erklärte, bleibt mir rätselhaft. So, wie er sich gegeben hat, als er in Oberfrohna zu Besuch war, kenne ich ihn gar nicht, also so in gewisser Weise ausgelassen und überlegen neckisch wie auch in seinem Briefton.

Herzlieb! Möchte ich doch noch einen Gedanken etwas weiterspinnen, die Form betreffend. Man sagt, daß man jemandem förmlich begegnet. Förmlich steht dann im Gegensatz zu herzlich. Förmlich – herzlich. Wenn ich zu jemandem förmlich bin, dann betone ich die Form, die Grenzen, den Abstand. Lasse mich also titulieren, achte auf eine spürbare Umgangsform und halte mir den andern gleichsam vom Leibe.

Also beschwert sich ein Vater in der Schule. Ich bin bereit, den Fall zu klären. Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – aber der Vater brüllt, wird ausfällig – und ich mache von meinem Hausrecht Gebrauch und stecke ihn hinaus. Herzlich begann die Debatte, förmlich endete sie. Alle Geselligkeit vollzieht sich in einer gewissen Form (Knigge). Wenn diese Formen überbetont werden, wirken sie lächerlich, hohl und mit einem gewissen Recht setzen sich alle freien Menschen über solch feste Formen hinweg. Aber besser noch immer diese hohle Form als Formlosigkeit. Jeder Mensch mit einem Form- od. Taktgefühl setzt sich Grenzen im Verkehr mit seinem Mitmenschen und bemißt danach den Grad seiner Herzlichkeit, ganz unbewußt. Und im Gespräch kann es geschehen, daß wir plötzlich fühlen, jetzt überschreitet der Partner seine Grenzen. Ich denke an den Urlaub. Fräulein Sch. war wohl da zu Besuch. Das Gespräch kam auf die Kinder und es kam zu der Zudringlichkeit, die formlos und taktlos ist. Du weißt, wie ich das quittiere. Es ist immer peinlich und man sollte eigentlich ein solches Gespräch abbrechen. Wer die Form verletzt, beleidigt.

Ich denke auch an Dein Erlebnis mit dem Urlauber auf der Bahnfahrt nach Wittgensdorf. Du schenktest ihm im ganz bestimmten Rahmen Herzlichkeit – und er verletzte die Grenzen, daß Du förmlich werden mußtest.

Form und Herzlichkeit schließen einander nicht aus. Ich kann in einer bestimmten Form herzlich sein. Nach Form und Herzlichkeit regelt sich bewußt oder unbewußt auch das Verhältnis zu den Anverwandten, ja sogar zu Vater und Mutter.

O Und ohne jede Form ist auch das Leben zweier Liebenden nicht. Ich denke an mein Verhältnis zur Schwägerin Elfriede. Es war von allem Anfang [an] durch gewisse Empfindlichkeiten scharf umgrenzt. Ich habe die Grenzen jederzeit überpeinlich geachtet. In dem Augenblick, da Hellmuth sie bei uns einführte, war eine Wirklichkeit geschaffen, die ich nicht anzutasten gewagt hätte. Immer sicherer sind seitdem die Grenzen, und innerhalb dieser Grenzen ist doch auch eine Herzlichkeit möglich, wie Du sie kennst. Das Gef[ühl] für die rechte Form ist größer bei meiner Mutter als bei meinem Vater. Auch in den schwierigsten Jahren der Beziehung hat meine Mutter es verstanden, unser Vertrauen sich zu erhalten und ich weiß, ebensosehr durch verständnisvolles Eingreifen wie durch geduldvolles Warten und Zurückhalten. Ich fand meist mehr Taktgefühl bei einfacheren Menschen und damit auch schneller ein herzlicheres Verhältnis zu ihnen als bei sogenannten Gebildeten. Ich denke an den Nachbar N., an H.s, an D.s – und nun auch an Deine lieben Eltern. Ich habe so schnell zu ihnen ein herzliches Verhältnis gewonnen. Ich habe noch nicht eine Entgleisung erlebt – wohl aber Du schon in meinem Elternhaus.

Formlos und damit auch ungebildet ist, was wir von G.'s erfahren.

Also mögen wir es wahrhaben wollen oder nicht. Es ist schon so, daß wir mit unsrer Herzlichkeit haushalten und rechnen, dem einen davon mehr vergönnen als dem anderen. Der uns am vertrautesten ist, das ist aber fast gleich bedeutend mit gleichen Sinnes, gleichen Formgefühls, begegnen wir mit der größten Herzlichkeit, geben wir uns so, wie wir sind.

Mit Betrügern und Falschspielern ist schlecht Kartenspielen. Ein Spiel ohne Spielregeln oder ohne Spieler, die sich an die Regeln halten, artet aus.

Geliebtes Herz! Zwischen uns ist dieses restlose Vertrauen. Einer gibt sich dem andern. Kein Menschenkind besitzt so wie Du mein ganzes Vertrauen und so wie ich das Deine. Und darum ist zwischen uns nur Herzlichkeit und größtes Vertrauen.

Geliebte! Du machst mich so glücklich mit Deinem Bekenntnis! Du liebst mich über alle Maßen, über alle Zweifel erhaben.

Ich bitte Dich herzinniglich: zweifle nicht an meiner Liebe! Zweifle nicht an meinem Vertrauen. Weit verdammen wollen wir allen Zweifel. Wenn wir aneinander zweifeln, lassen wir einander fallen. Und ich will Dich doch ganz festhalten, nimmer Dich lassen! Oh halt auch Du mich allzeit fest! Du!!! Du!!!!!

Gott behüte Dich! Er segne unseren Bund und schenke uns gute, tapfere Herzen!

Ich bin allzeit ganz Dein! Ich liebe Dich sooooooooooooo sehr! Ich bin sooo glücklich in Deiner  Liebe!

Ich grüße Dich herzinniglich!

Ewig Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946