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Briefkorpus

Freitag den 1.Mai 1942

Herzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]! Holde mein!

Im wunderschönen Monat Mai – so fängt wohl ein Lied an. Es ist der wonnigste unter den Monaten, in dem der Streit mit dem Winter endgültig entschieden ist. Er ist aber auch der letzte volle Monat schon wieder vor dem Juni, der uns das absteigende Licht bringt. Es ist der Jahreskreis auch ein ewig Verrinnen – es gibt kein glücklich Verweilen, kein Ruhen – es ist ein wenig Gehen und Vergehen, ein Ringen des Lichtes mit dem Schatten, des Lebens mit dem Tode – in unsren heimischen Breiten, muss man dazusetzen. Aber es ist in den anderen Breiten nicht länger Licht.

Ach Herzelein! Wenn wir nur erst beisammen sein können, dann strahlt uns die beständige Sonne unsrer Liebe – ob Sommer oder Winter, ob Tag und Nacht. Tage und Monate müssen verrinnen – und wir müssen einander ferne sein – wir müssen, es ist der Spruch des Schicksals so – es ist uns so der Weg vorgezeichnet, unser Weg, unser gemeinsamer Weg; denn unser gemeinsamer Weg ist es schon – ja Herzelein! unser Weg, unser Schicksal – zusammengekettet sind unsre Wege und Schicksale nun – aneinandergegeben unsre Leben, – vor Gott, vor Gott! – ein Paar sind wir, ein Paar auch vor ihm!

Herzlieb! Nicht unser Wille ist es, daß wir so getrennt leben müssen, ach nein! Du! oh Du!!! Beieinander wollten wir sein! Ein höherer, mächtigerer Wille fügt es anders. Wenn wir manchmal es auch verkennen: ein gütiger und weiserer Wille auch. Geliebte! Dieser Glaube, diese Einsicht erst kann uns still machen und froh trotz aller Trennung – er läßt uns erkennen, was diese Zeit uns sagen und bringen will – ach Du! Geliebte! Nimmst mit mir dieses Schicksal aus Gottes Hand. Gehst mit mir den Weg auch über Trennung und Ferne, so lieb und treu mir verbunden und an mich gelehnt – oh Du Liebe, Liebste, Goldherzelein mein! – bist mein lieber Lebensgefährte, der liebste und treueste, den ich finden konnte. Oh Herzelein! Ich weiß und ermesse, welch kostbares Glück uns geschenkt wurde! Oh Geliebte! Welch seltenes Glück auch! Ach Geliebte! Wir müssen so lieben! Wenn wir einander nahe sind. Und nun, über die Ferne, können wir ebenfalls nicht anders. Die Liebe ist uns ein hohes Schicksal wie alles andere. Und Schicksal – das ist dieses Leben gesehen im Blick auf ein Ziel, auf Gott. Wir können das Leben nicht nehmen, wie viele andere Menschen es nehmen: als eine Folge von Gelegenheiten, die man nutzen müsse zu Wohlleben und Genuß. Das ist nicht viel anders, wie auch die Tiere ihren Tag leben – ohne Richtung, ohne Ziel, ohne Streben.

Oh Herzelein, wir müssen dieses Leben ausrichten, müssen es Gott weihen und seiner Gnade anbefehlen, müssen es dem Segensstrom des Himmels öffnen.

Herzelein! Bald wird es sich wieder jähren, daß unsre Wege sich fanden für immer, daß unsre Herzen sich verstanden zu ewiger Liebe. Herzlieb! Als Dein Bote zu mir kam, der erste – da war es doch wieder so, dieses eigene Gefühl, wie damals, als Du meine Hand so fest hieltes[t], oder als Du mich abwartetest – ach so dunkel, so mächtig, so schicksalsmächtig faßte es mich an – und dem ich auf die Nähe auswich, auf die Ferne hielt ich ihm stille. Ich ahnte mit tiefer Gewißheit im Herzen, was Du mir sagen wolltest. Ach Du! Ich ahnte nur nicht, daß Du so ganz frei und leidenschaftlich Dich zu mir bekennen würdest – aber heute erkenne ich doch, wie Du nur so mir Deine unendliche Liebe gestehen konntest, Herzlein! Du, meine [Hilde]! Oh Du! Ich ahnte es! Und mein Herze schlug so laut, so hoch – Geliebte – so, wie es schlägt, wenn es um Großes geht, ach Herzelein, um das Größte bisher, wenn ein großes Schicksal, eine wichtige Entscheidung an uns herantritt. Und, Du hast es gewiß gespürt aus all meinen Worten, Geliebte, wie dahinter höchste Erwartung steht – und die Bereitschaft, dem Schicksal zu willfahren, was es auch bringe. Oh Geliebte! Welche Tage, Stunden, ach Monate brachen nun an! – dieser Augenblick des ersten Begegnens – und ist es nur im Briefe: – alles, alles drängt und stürmt auf uns ein, schwellende Knospe, was nun sich allmählich entfaltet in Wochen und Monaten. Oh Herzelein! Warum ergriff ich nicht die dargebotene Hand ohne Zögern? Warum eilte ich Dir nicht entgegen voll Ungeduld, so wie ich heute tun würde, im Augenblick, wenn ich freikäme? Geliebte! Warum war unser Glück nicht von Anbeginn so groß, so groß? Nicht, daß ich Antwort haben will auf dieses Warum. Wir wissen und erkennen es heute beide: Wie die Rose sich entfaltet und auftut, so ist unsre Liebe erblüht. Oh Herzelein! Es sind nicht die geringsten Rosen, die so zögernd und langsam erblühen, die so lange in Knospe stehen. Geliebte! Geliebte!!! So viele Herzfasern wollten verbunden sein! So viele Würzelein wollten sich in unsre  Herzen senken, um sie für immer miteinander zu verbinden, tief, unlösbar! Oh Herzelein! So viele Seligkeiten mussten sich uns erschließen in ihrer ganzen Tiefe, so viele Türen sich öffnen bis zur letzten Traute. Oh Herzelein. Wir sind beide so glücklich und dankbar, wenn wir an unsren Weg denken.

Oh Geliebte! Wie leuchtend stand in mir das Ziel: Dich ganz zu Eigen zu haben! Wie zitterte es in mir vor Freude und Glück! Oh Herzlein! Dieses Zueigensein [sic] ist zutiefst ein Fluten von mir zu Dir, von Dir zu mir, dieses zueigensein [sic] ist ein Schenken und Beschenktwerden – es hat zur Bedingung Gleichklang der Herzen, gleiche Bereitschaft und gleiches Aufgeschlossensein. Herzelein! Stufe um Stufe, Schritt um Schritt sind wir zu diesem Ziele gelangt.

Oh Herzlein! Herzelein! Nun hat sich alles so herrlich erfüllt! Worum wir bangten, worauf wir hofften sooo sehnsüchtig, worum wir beteten: es hat sich so herrlich erfüllt! Oh Du! Du!!! Wir sind ein Paar! Ein glücklich Paar! Sind eines nun, ganz eins! Oh Herzelein! Wie lieb, wie sooo unendlich lieb haben wir einander gewonnen! Oh Herzelein! Du! Du!!! Mein Alles! Mein Alles! Mein Leben! Ganz unersetzlich bist Du mir, mein Herzschlag, mein Odem! Meine Sonne!!! Geliebte! Lieb gewonnen haben wir einander – oh, sooo lieb!!! Was uns ganz lieb sein soll – wir müssen es lieb gewinnen – es muss wachsen, Würzelchen treiben, verankern in unserem Herzen. Ach Geliebte! Du! Du!! Vor vier Jahren hob sie an, die Zeit des Wachsens, die won[ni]ge, selige Zeit – sooo reich an Freude – und nicht ohne Schmerzen – ach Herzelein, unsre Thränen [sic], sie waren doch der Regen für die Blume unsrer Liebe – und, Herzelein, aufs ganze gesehen doch eine Zeit des Drängens, der Unruhe, des Aufruhrs in Blut und Herzen, des Treibens zur Blüte – oh Du, wie es in der Blume ist, bis sie endlich blüht. Oh Herzelein! Geliebte! Nun ist ein herrlich Blühen und Prangen, ist feste Gewißheit in unseren Herzen: Ich bin Dein – Du bist mein, für dieses ganze Leben! Und nun ist nur noch eine letzte Maikühle [sic] die das Blühen aufhält, die es verzögert, unsre Trennung. Oh Geliebte! Geliebte! Ich halte mit Dir glücklich und selig umfangen das Glück unsrer Liebe. Oh Herzelein! Die Blume unsrer Liebe, sie wurzelt in unser beider Herzen, sie wird genährt von unserem Herzblut! Oh Du, Du!!! Sie ist unsres Lebens Blüte und Krönung, unsres Lebens Sinn u. Erfüllung! oh Herzelein! Wie gut und schön wollen wir es krönen! Wie sooo reich möchten wir es erfüllen! Schenke Gott uns dazu seinen Segen!

Oh! Behüte er Dich auf allen Wegen!

Oh Geliebte, Geliebte! Du aber magst es wissen und beseligt fühlen, daß Du mir sooo ans Herz gewachsen bist, ach Herzelein, daß Du darin beschlossen bist wie mein eigen Leben und mehr! Ich liebe, liebe Dich sooooooooooooo sehr Du! Du!!! Geliebte! Mein Leben! Meine Sonne!!!!!

Ewig Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli!

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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