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Briefkorpus

Dienstag, den 12. Mai 42

Meine Liebe, liebste [Hilde]! Goldherzelein, Geliebte mein!

„Abend ist es wieder über Wald und Feld säuselt Frieden nieder, und es ruht die Welt.“ Kennst doch auch das innige Liedlein. Stammt noch aus einer Zeit, da die Welt des nachts wirklich ruhte, nicht nur in den entlegenen Nestern wie heute. Da die Menschen wohl auch schon ihre Mühsal hatten, aber doch wenigstens einen Abendfrieden ohne grelle Lichter und Scheinwerfer, ohne das Kreischen von Rädern und Knirschen von Bremsen. Sollen wir uns diese Zeiten zurückwünschen? Soviel wir sie wünschten, sie kehren nie wieder. Und es liegt in diesem Niewieder eine Tragik, ein entschwundenes Glück, eine versperrte Möglichkeit – und wir sehen, wie die Zeit, die Vergänglichkeit brutaler, unerbittlicher sich zeigt in der Hast, in der Atemlosigkeit, Nervosität und Überreiztheit modernen Lebens. Und einmal werden vernünftige Menschen in ihrem Privatleben, einmal vielleicht auch ein ganzes Staatswesen vor der Notwenigkeit stehen, diesen gefährlichen Schoß [sic] zurückzuschneiden, den Lärm [z]u drosseln, die Hatz zu mildern, weil die Menschen in der Nervosität zugrunde gehen, weil sie zerrieben werden in diesem überorganisierten Getriebe von Arbeit, Vergnügung.

Lautsprecher kreischen durcheinander, recht hinhören tut keiner, sonst müßte ihm zuerst auffallen, wieviel zu laut eingestellt ist. Es ist doch etwas Furchtbares eigentlich, sich so vollstopfen zu lassen und tausenderlei unverdaut hereinzuschlingen mit Auge und Ohr. Überfüttert wird die Menschheit, träge wird sie davon, dazu urteilslos und bescheiden und immer schwerhöriger und verständnisloser, denn man musiziert und schafft nicht mehr selbst.

Siehst, eben bin ich aufgestanden, und habe den schlimmsten Schreihals unter den Lautsprechern abgestellt – es war überhaupt niemand im Zimmer. Um 8 Uhr wird es finster bei uns. Und jetzt, kurz vor 9 Uhr, ist eben erst der Kinderlärm verstummt auf dem großen Platz vor unserem Hause. In Deutschland sperrt man die Kinder früher ins Bettlein. Dienstag ist heute. Der Kursus ist vorerst einmal zu Ende, und ich denke mir, mein Herzelein wird eben zur selben Stunde mein denken. Hoffentlich erreicht Dich der Bote bald, der Dir sagt, daß Du weiterhin an die alte Nummer schreiben sollst. Herzelein! Ich muß so lieb und sehnsüchtig Dein denken! Meine Liebe ist doch nun erlöst und befreit durch Dich, sie hat ein Bett, sie mündet in Deinem Herzen – und nun ist sie doch nicht ganz frei, weil wir einander fern sein müssen. Herzelein! Du!!! Ich muß mich sehnen nach Dir, nach Deiner Nähe. Und ich weiß es, Du sehnst Dich, wie ich mich sehne. Und ist doch nichts, daßs  dieses Sehnen stillen könnte, das unsere Herzen befrieden könnte als unser Nahesein und Einssein – Du und ich, Geliebte! Geliebte!!!

Wenn es auch ein wenig bedrückt, das unerfüllte Sehnen, viel mehr noch macht es uns doch glücklich bewußt der Kostbarkeit und Innigkeit unserer Liebe! Oh Geliebte! Dieses glückhafte Bewußtsein, dieses Einander-ganz-Besitzen [sic] und -Innesein läßt in uns auch nicht einen Gedanken an Abwege aufkommen. Du! Herzelein! Jedes einzelne der tausend lieben Bande müßte uns zurückreißen! Oh Du! Der Glanz, die Sonne unseres wahren, reinen Glückes entlarvt alle Vorspiegelungen und Gespenster, als kümmerliche Schatten, als ärmliche Dürftigkeit. Oh Herzelein! Der Gedanke an Dich, er ruft in mir allen Sonnenschein, alles Glück, alles echte, wahre Glücksempfinden, Du! Du!!!

Herzlieb! Ich glaube ich habe Dir noch nicht einmal gedankt für die lieben Päckchen, die zu mir gekommen sind, schon am Sonntag. Haben doch fein geschmeckt, die Plätzchen – und noch immer so süß, weil ein viellieber Gruß dabei lag! Ihr sollt euch daheim doch nichts mehr abknapsen. Aber wenn Du mir eben mal etwas schicken willst und mußt, dann lieber solche Plätzchen als aufgeschnittenen Kuchen, der wird zu trocken. Ich freue mich doch, daß auch meine Päckchen angekommen sind, just am Waschtage zu einer kleinen Atzung. Ich weiß doch nun auch, wo bei meinem lieben Frauchen das Lindenblättlein sitzt, die schwache Seite, Du! Ist ein Leckermäulchen! Aber das Mannerli hat gar keine schwache Seite – ist unbestechlich, gelt?!!! Natürlich nicht gelt. Mein Frauchen sieht gewiß eine, die das Mannerli selber gar nicht sehen kann, so wie es seinen weißen Haarfleck nicht sehen kann. Ach Du! Du!!! Schätzelein! Zu einer bekenne ich mich doch: „Solang ich leb auf Erden, muß ich Dein Trimpele – Trampele sein“ – muß ich Dich liebhaben – sooo liebhaben! Und wenn Du mir böse bist? Dann bist Du mir doch bald wieder gut, Du!!! Weil wir uns doch gar nicht böse sein können – weil wir uns doch immer gutsein müssen! Ach Herzelein! Wenn ich jetzt bei Dir wäre, dann triebe es mich doch, mit Dir noch ein Stück zu gehen. Ganz finster ist es, keine Mondeguckel [sic] scheint draußen – und ich müßte mein Schätzelein doch ganz lieb und fest umfassen, damit ich es nicht verliere – und so im Dunkel der Welt, der Nacht, da würden wir doch ganz tief inne [sic], daß wir zwei Weltenwanderer sind, einander die nächsten auf der ganzen weiten Welt – einander die liebsten, Halt, Heimat, – ein Paar wie droben die Sternenpaare, Gott im Himmel muß uns sehen und kennen!

Herzelein! Du! Ich möchte doch heute bei Dir sein! Möchte Dir all meine Liebe bringen – gar nicht mit der Feder – zu Dir drängt mein Herz, daß es zusammenschlage mit dem Deinen vor Glück und Freude! Oh Du! Du!!! Geliebte! Mein Weib! Meine [Hilde]! Wo bist Du denn? Daß ich Dich glücklich umfasse – Dich küsse – dich ganz lieb habe – ach Du! Du!!! Daß wir einander haben und halten, so wie es sein muß zwischen uns!

Heute ist kein Bote zu mir gekommen. Aber morgen wird mich wieder einer beglücken, Du!

Schätzelein! Laß mich heut abend schlafen gehen. Ich bin noch ein bissel übernächtig von gestern. Morgen früh komme ich gleich zu Dir noch einmal und erzähl Dir den Traum, wenn ich einen hatte. Von wem ich träumen möchte? Vom lieben Dornröschen droben im Turmstübchen, dort wo es ganz still ist und einsam ist. Dort wartet es so schön und lieb – eine Sehnsucht im Herzen – wartet auf den Prinzen, auf den rechten – oh Du! Hält ihm soooviel Liebe bereit – soooooooooooooviel Liebe! – Und nun kommt er doch auch – Geliebte! – oh Herzelein! Wie drängt es ihn zu dem Schloß zum Turmstübchen, zu seinem Dornröschen, zu, zu Dir! Ganz nahe zu Dir! Oh Geliebte, und was ihn bedrängt: Liebe, Liebe, soooooooooooooviel Liebe!

[Hilde], Du! [Hilde]! Geliebte! Ich habe Dich so lieb, sooooooooooooo lieb!

Du! Du!!! Gut Nacht! Behüt Dich Gott! Und träume süß! Und laß mich in Deinem Traum sein! Was ich am liebsten wäre? – Du! Dein Prinz! Dein Geliebter, Dein Mannerli! Dein! Dein!!! Ganz Dein! Dein Gefangener! Dein Glück und Sonnenschein! Dein Sonnenstrahl! Oh Du! Du!!! Liebes, liebes Weib! Ich durfte es doch schon sein! Und darf es wieder, wenn ich zu Dir komme, Dir heim kehre! Oh Herzelein! Ich weiß einen ganz lieben Ort! Eine ganz liebe Heimat! Weiß ein trautes Herz voll heißer Liebe! Oh Du! Du!!! Meine Heimat! Mein Herz! Mein Leben!!! Du! Du!!! Du allein! Immer und ewig!!!!!

Oh Geliebte! Warte mein! Ich will Dir doch heim kehren!

Gott walte es in Gnaden! Er segne unseren Bund! Er behüte mich Dir auf allen Wegen! Und Dich mir auch, Du!

Herzelein! Geliebte! Meine [Hilde]! Ich küsse Dich! Sooo lieb! Du!!!

Ich bin Dir immer ganz nahe und behalte Dich ewig lieb!

Dein [Roland]

Dein glückliches Mannerli!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946