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[OBF-420613-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 13. Juni 42

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]!

Noch heißer ist es heute womöglich als gestern. Die Wetteränderung ist nicht eingetreten. Die Schattenaußentemperatur ist soviel wie die Blutwärme, und das fließt nun eins ins andere und der Schweiß rinnt auch im Nichtstun. Das Mannerli hat heute auch noch nicht viel getan. Es war heute noch einmal zum Zahnarzt bestellt. Der hohle Weisheitszahn ist gefüllt worden – mit Zement – das ist eigentlich gar nicht ganz unzeitgemaß, anstatt Weisheit Zement. Lange habe ich beim Zahnarzt warten müssen. Mehrere Offiziere und Helferinnen kamen außer der Reihe dran. So war es gleich Mittag, als ich zurückkam, die Stunde heran, da ich auf des Liebste warte – auch heute nicht vergebens, liebes, treues Weib. Nach dem Essen – Linsen und Gurkensalat sind wir zum Baden gegangen, zum letzten Male vielleicht, waren nachdem auf ein halbes Stündchen erholt und trocken. Nun klebt schon längst wieder der ganze Körper, häßlich, man möchte gleich im Wasser sitzen bleiben.

Herzelein! Geliebte! Vermagst Du mich Dich in die Stimmung meines Herzens zu versetzen jetzt?

Die letzten Tage in Saloniki vielleicht. Ja, vielleicht. Denn bis zuletzt ist ein andrer Bescheid möglich. Also sind wir gespannt – und müssen doch nun auch schon richten für die Abreise. Die hohen Herren kucksen [sic] etwas von unmöglich, telefonieren, Ersatz noch nicht genügend eingearbeitet, sie unternehmen aber auch nichts, sie denken nicht an unsre Abreise – ein seltsamer Schwebezustand und dahinter all der Widerstreit persönlicher Erwägungen und Hoffnungen – soll denn nun Abschied genommen sein von dieser Stadt, von den Hoffnungen des Sommerurlaubs? Sollen wir uns denn ganz schon vertraut machen mit unseren neuen Aufgaben, mit der neuen Umgebung? Geliebte! Zweierlei Bereitschaft ist das – und in den nächsten Tagen, den nächsten Stunden fällt die Entscheidung. Morgen muß ich ernstlich an die Reisevorbereitungen denken.

Herzelein! Dieser Schwebezustand, dieses Stehen zwischen zwei Möglichkeiten erzeugt einen stillen Gleichmut – ach, so wie die Schafe ihn haben müssen unter dem Stecken ihres Hirten oder der Willkür ihres Hundes – der Soldat ist nicht anders wie ein Herdenschaf, er darf in manchen Dingen nicht denken, wollen und sich zu Herzen nehmen. Zu ruhigem Abwarten und Hinnehmen sind wir verurteilt. Ob wir für diesen oder jenen Schritt uns innerlich vorbereiten möchten oder nicht, danach werden wir nicht gefragt. Ob liebe Angehörige auch es möchten, darnach gleich gar nicht. Und dagegen gibt es kein Aufbegehren es machte das Unglück nur noch größer. Ja, Herzelein, dieses Müssen drosselt natürlich auch die Leistungen und den Willen zu Leistungen – je länger es dauert, desto mehr.

Ich mußte das heute vormittag beim Zahnarzt bedenken. Er hat nun eine Beschäftigung wie im Frieden – und wenn er daheim eine gewissenhafter und an der Sache interessierter Arbeiter war, dann könnte er es auch hier sein. Nein, er kann es nicht sein und ist es nicht. Zum ersten und meisten wird ihm die Freude und der Sonnenschein und die Schaffenskraft fehlen, die ihm sein Heim täglich strahlen mit seinem Glück. Zum andern fehlt der sichtbare materielle Gewinn – und noch vieles andere: Interesse an einer treuen Kundschaft. Dazu überfüllte Sprechstunden immer, keine persönlichen Beziehungen zu den Patienten – weißt, wenn die Leistung noch halb so ist wie die daheim, dann ist sie hoch. Und so ist das überall, überall. Der Krieg vergeudet, verschwendet, verschlingt, ein schreckliches Ungeheuer. Und was er auch bringen mag, und wenn er den Sieg bringt – er zehrt am Marke jeden Volkes, er laugt und mergelt es aus.

Man sagt: er spornt es an und steigert es auch zu größten Anstrengungen und Höchstleistungen. Der Krieg der Massen heute reißt wohl mehr nieder, als er aufbaut. Aber was hilft uns all diese Einsicht? Geliebte, Du! Uns bleibt nichts als der Weg zu Gott – und das ist ja alles, alles! Wir wissen diesen Weg. Wir wissen um die Kraft der Gnade Gottes. Und wir haben unsre Liebe! Soldat muß Dein Mannerli sein. Muß fremdem Befehl sich unterstellen und fügen. Man trennt uns. Unser persönliches Recht aufeinander wird hinfällig vor dem unpersönlichen des Staates. Unser persönliches Leben wird für diese Zeit ungültig, wird unterbrochen der Mann muß sich einreihen in die Masse des Heeres, mit denen Führende Schicksal gestalten wollen. Herzelein! Wüßten wir Gott nicht im Regimente und seine Gerechtigkeit, wüßten wir nicht, daß er den Oberbefehl hat über alle, daß seine Führung, allmächtig, allweise, allgütig, im Weltenschicksal auch das Einzelschicksal bedenkt und einfügt, daß wir diesem obersten Befehlshaber auch unsre persönlichsten Anliegen vorbringen können – wir könnten nicht froh werden mehr. Ob wir im Kriege stehen oder im Frieden, ob wir frei sind oder gebunden an fremden Befehl – Gottes Plan mit jedem einzelnen bleibt in Kraft und Geltung. Und ob der Mensch im Kampfe fällt oder daheim stirbt – es erfüllt sich sein Schicksal.

Geliebte! Wir können nicht anders glauben: Gott sieht die Völker und ihre Schicksale, er sieht auch den Einzelmenschen und sein Schicksal. Wenn wir das nicht glauben könnten, kämen wir letzlich [sic] zur Sinnlosigkeit dieses Lebens. Nein: so wahr jeder Mensch und jedes Menschenpaar ein Eigenes darstellt, so ist jeder auch eingefügt als Glied in den göttlichen Plan des Ablaufs dieses Weltenschicksals. Herzelein! Wenn wir auch nur ein Staubkorn sind in dieser Welt – Jesus Christus lehrte uns zu unserem Vater im Himmel beten, er wandte sich an jeden einzelnen Menschen, Gottes Sohn!, er wandte sich am Kreuze noch zu jedem der beiden Übeltäter ganz persönlich!!! Oh Geliebte! diesen Trost, diese Freude unsres Glaubens laß uns festhalten! Herzelein! Herzelein! Du weißt es: Seit Du an meiner Hand gehst, bete ich zu Gott für zwei, die nun eines sind! Und Du betest für mich! – Und wir haben unsre Liebe! Die wohnt im Herzen! Niemand kann sie uns rauben! Niemand kann uns die Hoffnung rauben auf ein Leben in Liebe umeinander.

Oh Geliebte! Und wenn dieser unselige Krieg ein Ende hat, dann, will's Gott, gehören wir ganz einander, dann überwiegt unser persönliches Leben, das wir so schön gestalten möchten. Oh Geliebte! Es ist schon in uns alles bereitet, es ist schon da, nur noch nicht sichtbar wie das Kindlein im Mutterschoße – all unser Sinnen und Trachten, unsre Herzenskraft und Liebe ist darauf gerichtet in sehnsüchtigem, kaum noch zu stillendem Verlangen. [Ge]richtet ist unser Wille und unsre liebsten und heimlichsten Gedanken umkreisen und nähren dieses Wollen zueinander, zu Eigenem, zu gemeinsamem Leben – und solange noch ein Lebenshauch in uns ist müssen wir darauf hoffen und warten – aus Liebe zueinander!

Oh Herzelein! Wir haben noch ein persönliches Leben, wir haben auch noch persönliche Freiheit, wir können doch miteinander Leben! [sic]

All unsre Freiheit, die uns bleibt, wir zögern keinen Augenblick, sie unsrer Liebe zu bringen, einander lieb zu denken, einander ganz innig zu umfangen und über alle Ferne hinweg miteinander zu gehen und zusammenzustimmen im Herzen.

Oh Herzelein! Geliebte!!!

Daß ich weiß, wem ich mich zuwenden kann in dieser Freiheit – daß ich mit Dir ein ganz persönliches Leben führen darf hier in der kalten Fremde, die mir nicht einmal den Trost einer lieben Arbeit ließe – daß ich lieben darf in der Lieblosigkeit der Fremde und des Krieges – das ist eine ganz große Gnade Gottes – geliebtes Weib! Du! Meine [Hilde]!!! Oh Du! Ich darf Dich lieben, Du! Du!!!!! !!!!! !!!

Oh Gott im Himmel! Beschütze mir meine [Hilde]! Bleib uns gnädig!

Oh Herzelein! Wer hat es noch so erfahren wie wir, wie köstlich solches Leben in Liebe zueinander ist?!!! Wie es Freude und Sonnenschein bringt und Kraft zum Durchhalten. Oh Geliebte! Einzig die Gewißheit unsres Glaubens und unsrer Liebe können mich so stille und geduldig werden lassen.

Oh Herzelein! Ich will mich nicht beugen und erdrücken ^lassen vom Schmerz um unsrer Liebe willen, um Deinetwillen.

Herzelein! Geliebte! Du weißt von dem großen, tiefen Aufatmen dann – aber jetzt heißt es 
den Atem anhalten.

Geliebtes Weib! Meine [Hilde]!

Komm zu mir! Flüchte Dich an mein Herz mit Deiner Traurigkeit, mit Deinem Schmerz, mit Deiner Sehnsucht – so wie Du zu mir gekommen bist heute mit dem Jubeln und Glückstrahlen Deiner unendlichen Liebe! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Ich bin stark, ich kann sie alle tragen! Komm zu mir, geliebtes Herz! Gott im Himmel stehe Dir bei! Oh Du! Könnte ich bei Dir sein, ganz nahe bei Dir, lieb Dich zu trösten! Oh Herzelein! Ganz fest und lieb will ich Dein denken, daß Dir mein Trost und meine Liebe auch über alle Ferne fühlbar werden.

Oh Geliebte! Warte mein! Warte mein! Ich will doch zu Dir kommen! Will eines Tages Dir ganz zurückkehren! Oh, Bleibe mir! Bleibe stark und gesund! Halt aus mit mir, Geliebte!!! Laß hinter den Wölkchen der Traurigkeit und Enttäuschung die Gewißheit unsrer ^Liebe strahlen, unsre Sonne, die immer scheint!

Oh Herzelein! Sie kann nimmermehr verdunkelt werden, sie wird nur desto strahlen der obsiegen!

Geliebtes, teures Herz! Voll heißer Dankbarkeit schließe ich alle Freude, all Deine innige Liebe ein, die Du mir heute gebracht hast! Ich danke Dir, Geliebte! Mein Herz schlägt Dir in ewiger Liebe, Treue und Dankbarkeit! Ich bin doch so ganz Dein! Dir gehöre ich mit meinem Herzen! Dein ist mein Leben!

Oh Geliebte!!!

Herrgott im Himmel! Gib Du!, daß wir unsre Leben recht bald in Liebe umeinander schließen können – führe Du uns gnädig zusammen! Schenke uns Kraft und Geduld zu getreulichem Ausharren.

Oh Geliebte! Meine [Hilde]! Du behältst Deinen [Roland]! Es bleibt Dir! Er bleibt Dir wie bisher! Nein! Er wird Dir noch immer näher kommen, 
Dich noch immer lieber gewinnen! Oh Herzelein! Ich bleibe bei Dir mit all meinen Gedanken, mit meiner Herzenskraft, die alle Ferne zu überwinden vermag. Ich halte Dich ganz fest. Und mein Herz steht all Deinem Lieben und Sehnen offen, ganz weit – oh Geliebte! Wir werden aushalten, wir werden durchhalten, und Gott wird uns helfen! Und meine Liebe wird nicht so nachlassen, Dich zu suchen, Dich zu finden, Dein Sehnen zu stillen, Dein Herze zu überfüllen! Herzelein! Ich lasse Dich nicht!

Wir werden einander nicht verlieren!

Oh Herzelein, Geliebte! Bald komm ich wieder zu Dir! Und in Gedanken bleibe ich doch bei Dir! Ich habe Dich doch so lieb, sooooooooooooo lieb! Du! Du!!!

Ich habe doch nur Dich! Ich mag doch nur Deine Liebe!

Oh Herzelein! Wir behalten einander lieb – und Gott wird unsre Liebe segnen!

Ich streiche ganz lieb über Dein Köpfchen! Oh Geliebte!

Ich küsse Dich ganz lind und leis und lieb! Dir Gehört mein Herz! Dir allein!

Ich bin Dein [Roland],

Dein Mannerli,

Dein Hezensbub!

Ich bin so glücklich in Deiner Liebe! Sooo glücklich!!! 

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Kommentare

Eine von Rolands typischen Bemerkungen, trocken und hintergründig. Klar aber, dass er sich auf die Handelnden im Irrsinn des Kriegsgeschehens bezieht.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946