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[OBF-421101-001-02]
Briefkorpus

Sonntag, den 1. Nov. 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine [Hilde]!

Der Tag neigt sich. Und nun komme ich erst dazu, Dein zu denken. Bis jetzt fand ich keine Ruhe weil ich doch Dienst habe. Ich bin heute U.v.D. in Unterkunft I, das ist, wo ich selber wohne. Da ruft es oft an, die Arrestanten müssen herausgelassen werden und beim Arbeiten überwacht. Ich habe freilich den Läufer zu Hilfe, aber eins muß immer zur Stelle sein. Jetzt, gegen 5 Uhr, ist es ruhig. Weiß nicht, ob ich heute zu rechter Sammlung komme. Was wirst Du denn eben treiben? Ach, das schönste um diese Stunde ist doch das Heimkehren – noch durch die Dämmerung gehen, durch den Abendfrieden – vor dem Dunkel und der Kälte der Nacht fliehen ins Heim, ins warme Stübchen, in die Traulichkeit, die die Menschen, der Nacht trotzend sich schufen. In die Traulichkeit Deines Heimes – unseres Heimes, Geliebte, das Du sooo lieb bereitest – oh, da kehrt er sich tausendlieb ein – ach, wenn ich daran denke, überfällt mich doch alle Sehnsucht: Du kehrst mit mir heim – Du teilst mit mir die Traulichkeit – Du lässt mich Deinen Vertrauten, den Vertrautesten sein – Du teilst mit mir alles – alles! Tisch und Kämmerlein –  ach Du! Bettlein und Männelein – Du! Du!!! Oh Du! Geliebtes Weib! Mein liebes Weib! Ach, und viel mehr noch teilst Du mit mir: Leid und Freud, das ganze Leben selber – ach Herzelein! Und viel mehr als ein Teilen ist es – ein Beschenken, Wogen der Liebe, ein Zueinanderdrängen zum Einswerden – oh Geliebte! Geliebte! Mit Dir heimkehren – bei Dir einkehren – Dein Herzgemahl sein – oh, wie bin ich so reich, sooo reich, so glücklich, sooo überglücklich! Wie kannst Du mich so reich beschenken – und wie hast Du mich sooo reich beschenkt schon – und tust es täglich! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Oh Geliebte! Einen Schatz habe ich gefunden – ach Du! Der Reichtum der Liebe ist mir geschenkt durch Dich! Wir Menschen sollen keine Schätze sammeln. Ach Du, Geliebte, es ist auch kein Schatz, über dem wir zum Narren ^werden oder zur Gottvergessenheit kommen – es ist doch ein lebendiger Schatz, ein Weben und Werken und Wogen – ein Wollen zu zweien, zueinander, und miteinander durch dieses Leben – zu Gott – ja, zu Gott hin soll es uns führen, das wollen wir nimmer aus dem Auge lassen! – dann dürfen wir einander auch als den allerliebsten Schatz halten – oh Du! Du bist mein liebster Schatz! Mein Ein und Alles: Wie hab ich Dich so lieb! sooo lieb!!!

Oh Herzelein! Daß die wenigen Tage unsres Zusammenseins es Dir gezeigt haben möchten – ach, daß Du es erlebt haben möchtest so, daß Dir das Warten leicht wird, daß Du froh bist – ach, daß Du es fühlen möchtest! Oh Geliebte! Und wenn es Stunden gab, da ich es Dir nicht recht zeigte – sie mögen Dir gerade Zeugnis sein für solche große Liebe – die sich nicht in der Beredtsamkeit zeigt. Ach Geliebte! Dir bin ich heimgekehrt – ein einzig Drängen zu Dir waren all die Tage, jede Stunde – und Du wirst es mir glauben: in den Stunden, den wenigen, da wir einander trösten mußten, da war es am lautesten, am schmerzlichsten. Oh Geliebte! Ganz, ganz wollte ich Dich haben – und wenn es möglich gewesen wäre – ich wäre mit Dir in eine fremde Einsamkeit geflohen – Du! Ich will so ganz zu Dir! Und all der kleine Unmut, die Wölkchen vor der Sonne – sie rührten von dem Ungestüm solchen Wollens. Ach — mit Dir allein wollte ich in die herrlichen Herbsttage gehen – wollte meine Wege gehen, Dich meine Wege führen – ich weiß: dann hättest du nimmer über Müdigkeit oder über lästige Kleidung geklagt wie dort am Berg bei Zinneberg, dann wäre keinen Augenblick eine Spannung eingetreten. So hatte uns nun die liebe Mutsch eingespannt in ihre nützlichen Wege – oh Geliebte! Ich klage nicht an – Die liebe, gute Mutter! – ich hätte nicht anders gekonnt – und Du nicht – ich erkläre nur, ich will Dir nur deutlich machen! Es ist kein schöneres Gefühl, kein köstlicheres Verbundensein beim Gestirn des Tages als miteinander gehen – gleichen Weges, gleichen Schrittes, Hand in Hand, Seit [sic] an Seit [sic]. Oh Du, Geliebte – das haben wir doch beide schon erlebt zutiefst!

Und meine Traurigkeit, Geliebte, meine Schwermut – ach Du! Je lieber ich Dich gewinne, je heißer mein Wollen zu Dir, je köstlicher und reicher mir das Leben mit Dir erscheint – desto bitterer ist es, wieder umzukehren, desto schwerer; desto ungeduldiger das Herz darüber, immer noch nur an der Schwelle stehen zu müssen.

Oh Geliebte! Diese Schwermut habe ich doch vorgefühlt, ehe ich überhaupt heimkehrte – wieder umkehren müssen! Herzelein! Es lebt in mir ein starkes Wollen – mit Dir will ich leben! Dieses Wollen spendet Kraft, so wie die Liebe, es hat ja seine Wurzeln in der Liebe; dieses Wollen in seinem Ungestüm wird zuweilen aber auch schmerzhaft bewußt. Ach Geliebte! Es hilft uns nichts, daß wir ungeduldig sind – ich selber habe Dich schon manchmal zur Geduld ermahnt – nun ist es mir selber not. Ach Geliebte! Und diese Ungeduld hat sich vor der Ungewißheit noch gesteigert – ach, sie hat mich ein paar Stunden kleingläubig und verzagt gemacht, als ich wieder in der Fremde war.

Oh Geliebte! keinen anderen Grund hatte der Unmut, keine andre Ursache hatten die Wölkchen. Ich war wieder ganz zu Hause – bei Dir – oh Herzlein, in innigster Herzens- u. Lebensgemeinschaft mit Dir! je länger, desto mehr. Oh Herzgeliebte! Und ich bin geschieden mit reichem Glück im Herzen, mit dem hertigen [unklar] Vermächtnis Deiner Liebe, ach Du, mit der Gewißheit der Unverbrüchlichkeit unsrer Liebe – wie hätte es anders sein können? Oh Geliebte! Und bin darum doch schwer geschieden von all dem reichen Glück! Oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Oh Geliebte! wenn es ein Mittel gäbe, daß all die köstlichen Stunden unvergänglich machte – oh Herzlein! das die Ferne ganz überbrückte. Aber sie sind auch nicht vergangen, und die Ferne kann unsre Liebe nicht niederhalten – auslöschen gar nimmer. Oh Geliebte! Denk Dir den Schwur, den heiligsten – denk Dir ein Versprechen, das höchste, – ach Herzelein, ich habe ihn sie Dir gegeben und erneuert – und ich habe ihn sie von Dir empfangen – oh Du, nicht in Worten, nicht in Vorsätzen — in Wahrheit, in Liebe, im letzten Schenken der Liebe! Du bist mein! Ganz mein! Mein liebes, einziges Weib! – Und ich bin Dein [Roland]. Ich gehöre Dir ganz. Unsre Liebe lebt! Ein lebendiges Feuer – sie brennt in unseren Herzen – sie durchglüht unser ganzes Wesen – wir können nimmer davon los! Oh Geliebte! Wie machst Du mich glücklich in Deinem Bekennen! „Liebe, unendliche, große, gute und tiefe, echte Liebe verbindet uns! Ich bin Dein Weib, und ich lebe nur so, bin immer und überall ganz Dein Weib!" Oh Geliebte! Fürchte nicht, daß ich Dich je verkenne! Aber sei gewiß, daß Dir mein Herz in Dankbarkeit und Verehrung schlägt mein Lebenlang! Oh Geliebte! Wer könnte Dir das besser bezeugen als Dein Geliebter selbst: daß Du mit unendlicher Liebe, mit Verständnis und liebender Einsicht zu mir kommst – immer, Herzelein! Oh Du! Du!!! Wie wäre anders solche Herzensgemeinschaft zwischen uns? über den Unterschied der Jahre. Oh Herzelein – Dein Bild – das kann ich Dir doch gar nicht sagen, ausdrücken – nein, ich kann es nicht – Geliebte! Du lebst in mir – Du fü[ll]st mein Herze ganz! Du bist meines Herzens Königin – oh Du! Du!!!!! !!!!! !!! Oh Geliebte – darin sollst Du nie im geringsten zweifeln, daß ich Dich erkenne – daß ich Dich lieb und wert halte — oh Herzelein! ich weiß, welch liebes Weib ich zu Eigen habe – das liebste, das Eine – Du! Du!!! Ich erkenne Dich – ich liebe Dich! ich liebe Dich! Oh Geliebte! Ich glaube, daß wir einander ganz nahe sind – daß wir einander festhalten, unv[er]lierbar, daß nichts und niemand uns voneinanderreißen kann. Zu tief liegen die Wurzeln unsrer Liebe – springen ihre Quellen – in des Herzens Tiefe, zu der nur zwei Liebende, wie wir es sind, gelangenkönnen [sic] – in des Herzens Tiefe, die Menschen nur einmal in ihrem Leben erreichen im Drange erster, reiner, heiliger Liebe. Oh Geliebte! Heilig ist sie uns, Gottgegeben! Das Höchste, Schönste, Köstlichste im Leben ist uns unsre Liebe – unsres Lebens Blüte und Frucht – unsres Lebens Inhalt und Sinn und Aufgabe – unser Weg zu einem gutemn, edlemn Menschentum – unser Weg zu Gott! Und wäre es nicht so, und denkt die Welt darüber anders – wir beide, Du und ich, wir wollen unsre Liebe zu solcher Hoheit und Ganzheit erheben. Aber die gute Liebe ist in Erde und Himmel verankert. Irdisch und an den Ort gebunden sind ihre Zeichen – aber schon wie ein geflügelter Himmelsbote webt die Sehnsucht zwischen Liebenden. Himmelsgabe und Himmelsmacht ist die gute und wahre Liebe – oh Du, wir erfahren es immer neu! – ihr Abbild und Gleichnis findet sie nur im Wandel der Gestirne, die da wandeln unter den Gesetzen der Liebe Urgewalt.

Oh Herzelein! Geliebte! In diesem Bekenntnis, in diesem Glauben und Lieben sind wir ganz eins! – schon immer!

Oh Geliebte! Du hast all diese Empfindungen und Gefühle wiederaufgerufen mit Deinen lieben Boten. Du hast mit Deiner Herzensfröhligkeit [sic] alles Licht um uns entdeckt – Du! Du!!! Geliebte!

Behüt Dich Gott!

Herzallerliebste! Ich bin doch so glücklich wie Du! Ich fühle Deine Liebe immer ganz um mich – am meisten aber doch darin, wie ich Dich wieder lieben muß. Zu Dir! zu Dir!!! Immer nur zu Dir – so schlägt mein Herz! so ruft meine Sehnsucht, so streckt sich meine Seele zu der Deinen – zum Seelengeschwister – zum geliebten Weib – zum Lebensgefährten – zu der Einen, der Einzigen! zu Dir! zu meiner lieben [Hilde]! Oh Du!!!!! !!!!! !!!

Ewig

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946