Sonnabendabend, den 7. November 1942
Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Dein Mannerli war heute in der Stadt. Zusammen mit dem Kamerad L. Das hatte den Vorteil, daß ich gleich an die wichtigsten Punkte geführt wurde: Schloß, Nationaltheater, in einen schönen Park inmitten der Stadt, durch die Hauptgeschäftsstraßen. Das hatte aber den Nachteil, daß das Mannerli nicht nach seinem Willen alles beschauen und beachten konnte. Er ging mir fiel [sic] zu schnell, das Mannerli zottelte immer hintenach [sic] und blieb hier stehen und da stehen und wollte verweilen. Ich machte ihn mehrmals darauf aufmerksam – aber er ging nicht recht darauf ein, er sah offenbar nicht soviel, wie ich sah. Ich habe doch lange keine Stadt mehr so mit Muße durchbummelt – und das Erlebnis der Stadt drang doch auf mich ein nun wieder. Ich muß schon noch einmal ganz allein gehen, um alles recht zu verdauen und zu beschauen. Nun habe ich aber trotzdem allerlei gesehen. Auch B. ist eine junge Stadt wie S. [sic]. Noch viel deutlicher und krasser ist es hier. Wilder und ungehemmter haben moderne Architekten hier mächtige Häuser in die Höhe getürmt. Zum Teil sind diese modernen Gebäude einzeln gesehen recht schön und eindrucksvoll mit ihren waagerechten und senkrechten Linien, modern, städtisch, richtige Freude kann man empfinden darüber – zum Teil sind sie auch überspannt, und wo sie ganz sichtbar Wohnzwecken dienen, sind es richtige Wohnmaschinen. Im Gesamtbild der Straße aber gibt es ein kunterbuntes Auf-und-Ab: mächtige Bauten mit strengen Linien und großen Flächen neben simplen, ärmlichen Häusern. Das wird nach dem Stadtrande hin immer grotesker, zumal man dort an vielen Stellen dabei ist, alte Häuser abzureißen und Durchbrüche für Straßen zu machen. Das Auge schaut ein stilloses Kunterbunt, wie es für den Balkan typisch ist. Typisch auch, wie hinter der einigermaßen geschlossenen und gepflegten Front einer Hauptstraße gleich die Hinterhöfe und Seite[n]gassen voll Dreck und Durcheinander liegen: Die Kultur des Westens also zu gutem Teil unverdaut noch und angehängt. Sofia zeigt bedeutend mehr Vornehmheit und Geschlossenheit. Es wird viel gebaut. Auffällig die mächtigen, im Bau befindlichen Regierungsbauten, Ministerien, ich besinne mich auf nicht weniger als drei. Um einen Flügel des Schlosses selber läuft ein mächtiges Baugerüst. Ja so vielbeschäftigt war das Auge, daß es auf die Menschen kaum geachtet hat. Dafür aber desto mehr auf die Auslagen in den Geschäften, bei denen es noch aufmerksamer gern verweilt hätte. Ach Herzelein! Unzufrieden könnte man werden, wenn man sieht, was man kaufen könnte, und kann es doch eben nicht. Aber ich habe mir fest vorgenommen, diese törichte Unzufriedenheit und Begehrlichkeit zu bekämpfen. Es kann eben nicht sein. Wenn ich nun in Rußland wäre, da würde einem solche blöde und nichtige Begehrlichkeit und Unzufriedenheit mit einem Male vergehen. Ich will mich zufrieden geben damit, daß ich Euch ab und zu eine Kleinigkeit schicken kann – es können nur Kleinigkeiten sein. Das andere verbietet sich wegen der Preise, es ist unmöglich. Es wird auch hier so sein: eine Schicht reicher Leute kann sich hier buchstäblich noch alles leisten – und die Mehrzahl der Menschen hat Mühe, des Lebens Notdurft zu befriedigen. Und die Raritäten sind eben ausgezeichnet mit Preisen, die nur der Reiche zahlen kann. Ja, was gäbe es hier nicht um vieles Geld ? Schuhe 2 500 – 6000 Lei (40 – 100 ℛℳ), Stoffe, Delikatessen (1 Büchse Ölsardinen 250 Lei = 4 ℛℳ).
Auffällig reich noch das Angebot an Seifen, aber auch fein teuer. An Fettigkeit ist dieses Land überhaupt reicher. Ich will sehen, daß ich einigemale Speck schicken kann – müßte ihn freilich in kleine Portionen zerschneiden – aber das scheint mir trotzdem noch am lohnensten.
Ach Schätzelein! Du mußt ja auch Dich gedulden damit, mir alles Liebe zu erweisen und alles zuliebe zu tun – so muß ich es eben auch. Einmal muß dieser Krieg ja zu Ende gehen – und bevor Ihr daheim nichts mehr zu kleiden habt, ist er bestimmt zu Ende, so oder so. Ach Du! Du!!! Wir wollen doch so froh und dankbar miteinander sein! So recht von Herzen froh und dankbar unserm Herrgott, der uns so reich gesegnet und beschenkt hat, so recht und von Herzen froh unsrer Liebe, die nächst dem Glauben unser höchstes Gut ist. Und das bin ich doch, das sind wir doch, oh von ganzem, tiefstem Herzen! Ach Herzelein! Wenn Du mir nur bleibst, wenn ich Dir nur heimkehren darf, dann bin ich reicher als jeder König, und wenn ich sonst bettelarm bin. Was sind all die kleinen Sorgen und Lüste und Unzufriedenheiten neben unserem Glück, unsrer Liebe – null und nichtig sind sie. Oh Herzelein! Und wenn wir an äußeren Gütern alles noch verlören, wir wollten doch froh ganz von vorn beginnen, wenn uns nur Gesundheit geschenkt ist. Ach Du! Ich mach' mir auch keine dummen Gedanken mehr um die Weihnachtsgeschenke. Hätte ich etwas Großes, ich brächte es nicht weg – – – ach Du! alles unnütze Sorgen, Nichtigkeiten vor der Freude, das Fest gläubigen Herzens begehen zu dürfen im Wissen um Deine Liebe – im Wissen nur? – ach Schätzelein, im Glauben, im unerschütterlichen, an Deine Liebe – in der Geborgenheit und lebendigen Gegenwart Deiner Liebe! Und so sollst auch Du denken. So sollst auch Du Dich zufrieden geben.
Herzelein! Ich bin nun bissel müde. Ich habe Lust, mich noch bissel lang zu strecken auf mein Bettlein und zu Dir hin zu träumen in den stillen Abend. Den Schluß zum Boten schreibe ich morgen. Herzelein! Ich wünsch Dir eine gute Nacht! Ich habe Dich sooo lieb – sooooooooooooo lieb! Bei Dir ist doch mein Platz, an Deiner Seite — und des nachts? - auch an Deiner Seite – mein Bettlein neben dem Deinen – und der Platz ist doch ganz frei für mich, Du hältst ihn mir frei – und wenn ich jetzt käme? – frei, immer, für mich! Oh Herlein! Wie sehnt sich mein Herz, an Deiner Seite zu gehen – wie sehne ich mich, den Platz einzunehmen, den Platz höchster Gunst, neben meinem einzigen, geliebten Weibe – oh Schätzelein, Herzelein! Du! Mein Alles!
Ich liebe Dich! Ich küsse Dich vieltausendlieb! Gut Nacht!
Herzelein! Geliebte!
Guten Morgen! Guten Morgen! (Weißt, was das bedeutet?) Ein Küßchen nur? Nein, nein – mehr – Du! Du!!! Ganz lieb und fest drück ich Dich an mich – Geliebte, meine [Hilde]! Am lieben Morgen kann ich doch dem lieben Herzen ganz ganz nahe sein, weil es noch nicht eingesperrt ist – Du! Du!!!
Hast auch so lang gelegen wie das Mannerli? Bis ¾ 8 Uhr (OEZ) – Regentag doch heute – noch jetzt, zu mittag regnet es. Wenn es ein wenig nachläßt, werde ich ein Bummelchen machen durch die Stadt — und sonst? – Mit meinem Goldherzlein plauschen! Du! Was tät ich lieber! Ich hab schon wieder manches. Wird heute auch noch ein lieber Bote kommen – der Sonnenschein in diesen [sic] grauen Tag. Ach, er ist doch schon jetzt ganz mächtig in meinem Hezen, der Sonnenschein Deiner Liebe! Oh Du! Geliebte, Geliebte! Wie streck ich mich nach ihm! Wie verlangt mein Herz nach Deinem Sonnenschein, nach Deinem!, nach Deiner Liebe, Deiner großen Liebe, oh Du! Du!!! Herzelein! Ich liebe Dich so sehr – über alle Maßen!
Behüt Dich Gott!
Dein [Roland]!
Dein glückliches Mannerli!
Bald komm ich doch wieder! Wann soll ich denn kommen? Zur Mittags[stund]e – oder, zum Kaffee? – oder zum Abendbrot. oder – – – ach, mein Schätzelein solls sagen! Du!!!!!!!!!!! Ich küsse Dich vieltausendlieb !!! Kannst sie noch sehen, die Küssel??[*]
[* seitlich am Rand der letzten Seite des Briefs von oben nach unten]
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Rosemarie Köhler
[Bukarest] Roland geht mit Kamerad L. die Stadt erkunden: riesige Wohnmaschinen sind dort gebaut worden. Ministerien sind im Bau mit strengen Linien und Regierungsbauten. Ärmliche Häuser gibt es aber auch dazwischen. Die vielen Auslagen in den Geschäften sind verlockend, aber der Sold reicht nicht dafür. Wenn er in Russland Soldat wäre, würde ihm die blöde Begehrlichkeit schon vergehen. Er schickt sich in die Zufriedenheit. Schuhe kosten 2500 bis 6000 Lei (840-100 RM). 1 Büchse Ölsardinen kostet 250 Lei. Er will Hilde Speck schicken in kleinen Portionen. – Ihre Liebe ist doch das Höchste, Bettlein neben das ihre. Am nächsten Morgen schreibt er weiter und begrüßt sie im Brief und sehnt sich nach seinem einzigen Weibe.