Mittwoch, den 25. November 1942
Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]!
Du wirst nun heim sein von der Schar. Wirst immer noch nicht recht zur Ruhe gekommen sein. Dein Bote ist heute ausgeblieben. Ja, Dein Mannerli ist besser dran – nach 6 Uhr hat es seinen Feierabend, über den es frei verfügt. Und meist ist es allein. Heinrich ist schon wieder aus. Er packt immerzu Päckchen und Pakete und arbeitet mit mancherlei Gefalligkeiten. Da bin ich zu dumm zu und stolz und freigesinnt. Aber wir vertragen uns gut, wenn wir auch sonst wenig uns berühren. Ich weiß noch nicht einmal, was er von Beruf ist. Früher hat er mal in der Textilbranche gearbeitet. Ach, Du kennst mich. Mir kann es passieren, daß ich ein Jahr mit einem Menschen zusammenlebe und von ihm nicht das einfachste weiß. Und kann mich trotzdem dabei wohlfühlen. Alles, was mich bedrängt und was mir am Herzen liegt, bringe ich ja zu meinem Herzlieb, und damit weiß mein Herze sich eng und lieb genug verbunden. Ich muß ja schon lange so leben. Und wie ich jetzt zur Abendstunde Dein denke, so geht das ähnlich ja schon – 5 Jahre – ja Geliebte, 5 Jahre. Und wer das sagen kann so wie ich, der hat vom bösen Krieg noch nicht viel erfahren! Ich mußte all das überdenken, als ich heute meinen Mittagsspaziergang machte. Ja, diesen Spaziergang setz ich jetzt durch, so gut es geht und wenn es die Witterung nur einigermaßen erlaubt. Damit ich meine roten Bäckeln behalte, gelt? Sonst wird das Mannerli doch gar zu einem Stubenhocker und Sesselbohrer. Ach, dazu bin ich doch gar nicht geschaffen – und ich springe wohl zehnmal am Tage treppauf zur Geheimregistratur und hinab zur Kurierstelle – und da geht es nicht Stufe um Stufe (treppauf) — und das gibt mir erst ein erträgliches Gleichgewicht. Steife Knochen mag ich mir noch nicht wachsen lassen. Und einen guten Hunger bringt das Mannerli zu allen Mahlzeiten heim. Ich esse mich immer fein satt, und ein Bauchel krieg ich trotzdem nicht – und das ist doch gut so. Möcht nur wissen, was in meine Haar gefahren ist – sie stehen auf und legen sich nicht meh[r] so fein wie früher. Es ist doch weniger Fettstoff jetzt im Körper, ich merke es auch daran, daß ich jetzt leichter an die [sic] Füße friere.
In meinem Dienstzimmer stehen die Beiner auf einem feinen Teppich. Solltest einmal die Räume sehen im unteren Stockwerk, gleich an unser Dienstzimmer angrenzend – dienen als Offiziersmesse, also Speise- und Aufenthaltsräume für die Offiziere.
Heute hatten wir ein Gespräch von Sofia, hab ich gleich mal nach K. gefragt – er ist wieder nicht beim Lehrgang gewesen, steckt also noch immer in Saloniki. Will in den nächsten Tagen mal versuchen, mit Kamerad H. zu sprechen. Ist verboten, die Fernleitungen mit Privatgesprächen zu belasten. Heinrich hat jetzt abends mit Frau und Kind in Landau gesprochen (Beziehungen, Gefälligkeiten). Ach Herzelein! So schön das ist, so ist es doch auch gleichsam eine Täuschung. Die Nähe, die unmittelbare, wird einem vorgespiegelt. Und nach dem Gespräch ist die Enttäuschung. Mag sein, daß dieses Gefühl wiche, wenn man diese Gelegenheit öfter oder täglich haben könnte. Nein, unsre Boten sind schon verlässigere und ehrlichere Mitttel, sie müssen den ganzen Weg machen, den das Mannerli oder mein Schätzelein selber hätten, wenn sie zueinander wollten.
Jetzt bohren nun schon die ersten Urlauber um Weihnachtsurlaub. Ach, man freut sich mit den Glücklichen, freut sich, daß die Möglichkeit des Urlaubs offensteht. Wilhelm, der Löbauer, hat heute den seinen bewilligt bekommen. Weiß gar nicht noch, wie die Herren hier sich anstellen mit dem Urlaub. Na, bei mir hat es auch noch ein Weilchen Zeit.
Schätzelein! Bist mir bös, wenn ich hier schon aufhöre? Will der Eltern Brief noch fertig schreiben. Liest dort ein bissel mit – ja? – Ach Du! Du!!! Morgen muß aber Dein lieber Bote wiederkommen! Ich warte doch so auf ihn!
Behüt Dich Gott! Er sei mit Dir auf allen Wegen!
Ich denke so voll Liebe und Sehnsucht an die Heimat – ach Geliebte, an alle Orte unsres Beisammenseins, unsres Glückes und Einsseins – Herzlein, denke Dein, Dein, immer!!! Oh, Du lebst in mir – Du wohnst in meinem Herzen – Herzelein, in all den Kämmerlein, zu denen nur Du Zugang hast – ich liebe Dich! ich küsse Dich! –
Ewig
Dein [Roland]
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Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946