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[OBF-421205-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 4. Dezember 1942

Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Der Zug ist wieder verspätet gekommen, sodaß die Post nicht mehr verteilt worden ist. Er ist zuverlässig, aber doch nicht zuverlässig genug, und nicht so zuverlässig wie unsre Herzen es sind in ihrem Drängen zueinander – oh Geliebte! Wenn nun der Dienst vorbei ist, und wenn tagsüber auch nur einmal Gelegenheit ist, dann tun sich doch sofort Tor und Fenster zu dem auf, was unser Liebstes ist, was da im Herzen ruht und lebt – all unsre Hoffnung, all unser Sehnen, all unser Wollen zur Erfüllung dieses Lebens. Oh Du! Geliebtes Herz! Ein Warten erst, bis wir uns ganz fanden – und ein Warten nun auf den Tag, da wir ans Werk gehen können. Es ist, als ob wir in einem furchtbaren Tunnel gingen, dessen Ende zu – als ob wir uns durch einen Widerstand drängen müßten, durch eine Menschenmasse – eine Ferne überwinden wie früher bei unseren sonntäglichen Begegnungen, ehe wir einander endlich trafen — wie ein Land der Träume, wie ein Land jenseits dieser Wirklichkeit liegt dieses Land unsrer Sehnsucht und Liebe!

Oh Herzelein! Lange warten wir schon – und sehnsüchtig! Und schwer wird uns dieses Warten manchmal, schwer, geduldig zu bleiben – und wir können doch nicht anders, als so aufeinander warten, wir können nicht anders als uns sehnen und hoffen auf die Erfüllung – und wenn wir darüber alt werden müßten – müssen hoffen und harren, solange noch ein Funke Leben in uns (ist) glüht. Und wir wollen doch gar nicht schwach werden darüber, wollen stark bleiben füreinander – oh Geliebte! Und ohne den Glauben und die Zuflucht zu Gott würden wir doch manchmal straucheln und schwach werden.

Ach Geliebte! In tausend Gefahren steht der Mensch immer, ob im Kriege oder Frieden, und wer sie alle bedenken wollte und ihnen vorbeugend steuern, der würde verrückt und wahnsinnig und müßte vor Bangigkeit sterben. Und mehr Gefahren sind in der Fremde, und weniger Hilfe, wen sie nun anfiel. Und es sind wohl Kamer[a]den, die haben schwer zu tragen. Ich denke an einen bei uns, dessen Magen nicht in Ordnung ist. Oh, wie muß es in trüben Stunden bei solchem Menschen aussehen! Nein, froh und zuversichtlich können wir nur bleiben, wenn wir in dem Glauben leben, daß unser Leben in Gottes Hand steht – daß ihm Weg und Ziel gesetzt sind – und daß Gott sie setzt aus dem Reichtum seiner Güte und Gnade zu unserem Besten. Wer so gla[u]ben kann, der kann ganz stille werden, der kann auch nicht traurig sein über Leid und Tod – der kann eigentlich auch nicht sich freuen – in ihm ist alles Frieden und Einklang und Gelassenheit.

Oh Herzelein! So stark ist kaum ein Mensch, so gehorsam und demütig in Gottes Willen. Der Mensch setzt seinen eigenen Willen auf – und in der Erwartung auf die Erfüllung hofft er – und die Erfüllung macht ihn sich freuen, und die Nichterfüllung macht ihn leiden. So ist unser Menschenleben immer eingespannt zwischen Hoffen und Erfüllen – zwischen Begehren und Befriedigen sagt Schopenhauer. Und es gibt keine größere, innigere Bitte an Gott als die, daß er unser Wollen segne. Oh Du, Herzallerliebste mein! Ich kann nicht viel begehren von diesem Leben, es ist darin nicht viel Begehrenswertes – aber in Deiner Liebe möcht ich bleiben, in Deiner Liebe gehen, mit Dir leben – Du, mein Herzblut! – oh Herzelein! Das ist recht nur ein Wunsch – aber ein großer – ach Du! mein größter und innigster, den ich täglich in mein Gebet schließe. Oh Du! Herzallerliebste mein!!!

Strammen Dienst hatte das Mannerli heute, wie Du daheim gewiß auch. Immer alle Hände voll zu tun, bin doch jetzt allein – und heute gab er viel Eingänge. Das wäre alles halb so wild, wenn man in seiner Arbeit nicht dauernd unterbrochen würde durch das Telefon, durch irgendwelche Zwischenfragen, durch das Springen vom Keller zum Boden und umgekehrt – und wenn man alle Schreiben mühelos an den Mann brächte. Aber weißt, wie überall gibt es auch hier Sachen, die einer auf den andern wälzt aus Dummheit oder Bequemlichkeit, die niemand bearbeiten will, und dieser – Mist – suhlt sich dann so herum. Na, deshalb geht die Welt nicht unter – und davon wird der Krieg nicht kürzer.

Heut ist das Mannerli U.v.D. Sitzt unten in seinem Ställchen und zaubert sich heim – an Deine Seite, Schätzelein! Gestern abend war's, daß Heinrich sagte: Nein, das ist aber nun auch kein Leben, jeden Abend daheim hocken. Na, erstens ist das kein Hocken – denn ich bin lieb und wichtig beschäftigt, und bin ganz dabei, wenn ich meinem Herzlieb schreibe – wenn ich mit ihm plaudere – ich weiß nichts Schöneres und Lieberes (das denke ich bei mir, sagen tu ich es nicht)! Und zweitens ist es wirklich wenig verlockend, in der Stockdunkelheit in der Stadt herumzustiefeln oder in irgendeinem verräucherten Lokal herumzusitzen. Ach Du! Tausendmallieber bleib ich dann daheim bei Dir. Er wird zu Essen und Trinken geladen – das ist noch ein anderes. Du weißt, daß ich gewiß auch einen schönen Abend nützte mit einem Spaziergang. Zu allem kenne ich die Stadt noch zu wenig bei Tage. Ach Du! Darin lasse ich mich auch gar nicht irre machen. Wenn ich des abends all meine Lieben um mich versammle, dann ist das eben meinetwegen mein Sport – anderen gibt das Kino mehr. Schätzelein! Ich bin deshalb nicht bescheidener und verzichte nicht auf gute Anregungen. Wo gute Anregungen sind, weiß ich schon.

Heute früh gab es Glatteis – und in den Nachmittagstunden begann es zu schneien, naß, und nun sind Straßen und Steige wieder mal ein Brei.

Badetag ist heute. Das Mannerli wird morgen od. am Sonntag unter die Dusche gehen. Im Wännlein ist’s schon feiner! Muß mich gelegentlich mal nach einem umsehen.

Herzelein! Die Pflicht ruft wieder: Abendrunde. Ist auch bei Dir alles fein sauber? Kein Staub auf der Gardinenstange und kein Fliegenbubs am Fenster? Ob ich’s so genau nehme? Ach Du! Bei solchen Lächerlichkeiten und Nichtigkeiten, wenn man es nur genau nimmt dort, wo es daraufankommt – daß es im Herzen fein sauber ist – und daß man sich selber grad ins Gesicht schauen kann.

Oh Herzensschätzelein, wie gerne blieb ich noch bei Dir! Und wie viel lieber käm ich jetzt gleich selber zu Dir – ach Du! Du!!! Mein Herze sehnt sich, bei Dir zu sein, bei Dir zur Ruhe zu kommen? Ach Du! Meine Seele ruft nach ihrem liebsten Geschwister.

Nun will auch ich mich niederlegen – darf mich gar nicht ganz ausziehen als U.v.D. Aber deshalb schlafe ich auch – und ich wünsche mir, daß mein Herzelein in meinen Traum kommt – nur daß ich es sehe, daß ich mit ihm rede. Willst Du kommen? Du!!! Gutnacht! Schätzelein! Schlaf gut! Und Gott im Himmel halte schützend seine Hand über Dir! Du! Du! Mein Liebstes! Mein Alles! Mein Leben!!! Ich bin immer bei Dir! Ich habe Dich so lieb, sooo lieb!!! Ich halte Dich so fest! Gott helfe uns!

Ewig Dein [Roland].

Dein glückliches Mannerli!

Herzelein! "Reise, reise – –" Ist dir’s noch ein bissel früh? Du liebs liebs Schläfelschäfelbäfel [sic]! Ist’s fein warm im Bettlein? Ruht sich’s drinnen fein weich? Ach Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Lang kann ich Dir nicht zusehen beim Schlafen – dann muß ich Dich küssen – und muß meiner Herzensfreude kundtun – Du! Du!!! Daß dies liebe Menschenkind das Eine ist, das Meine! Herzelein! Geliebte Du!!! Ach Du! Du!!! Magst denn nur von Deinem Mannerli so geliebt sein? Bist Du denn die Meine? Ganz die Meine? – Oh Du! Du! Du bist’s, Du bist’s! Ich fühl es doch, wie ich Dich lieben muß! Wie ich in dem Banne stehe unsrer Liebe! Oh Schätzelein, Herzensschätzelein! Wie könnt ich Dir denn meine Liebe noch zeigen – ach Du! Du!!! am besten doch nur mit meiner Herzensfreude, mit der ich an Deinem Bettlein stehe. Wie könnt ich Dich denn so recht zum liebsten, kostbaren Schatz erheben? – Ach Du! Ich mag nichts weiter, als daß ich in Deinem Herzen wohnen darf – das ist mir der teuerste aller Wünsche und seine Erfüllung das höchste Glück. Willst Du es auch? Oh Du! Du!!! Du erfüllst doch mein Herze so ganz, sooo ganz!!! Oh Du! Du!!! Ich will nur noch von Dir geliebt sein – und will Dich lieben – dann ist dieses Leben so schön, und gut, und reich, dann ist es ganz erfüllt.

Herzensschätzelein! Nun will ich an des neuen Tags Geschäfte gehen. Ach, wenn ich Dein denke, immer ganz froh, ganz froh! Dein geliebtes Bild steht in meinem Herzen! Und von nichts und keinem mag ich es mir trüben und verwischen lassen. Oh Du! Ich werd doch gar nicht müde, dies liebe Bild zu schauen – werd doch gar nicht fertig damit – und finde daran letztes Genüge. Ganz ganz blank ist das Fensterlein und herzweit offen die Tür zum Lande der Liebe, unsrer Liebe! Oh komm, wann Du willst, Geliebte! Ich bin bereit – immer bereit – und das ist meine Freiheit, das ist mein Glück, das ist die Brücke zur Heimat – oh Geliebte, der Weg zum künftigen Leben mit Dir! – Deine Liebe, Deine Liebe allein, unsre Liebe ist der Weg zum künftigen Leben! Ich schau immerzu aus nach diesem Weg!

Nach dem Weg zu Dir! Zu unserem Einssein!

Herzelein! Meine [Hilde]! Ich habe Dich lieb, sooo lieb!

Sei tausendlieb geküßt von Deinem Mannerli – denk Dir das Liebste und Schönste – ich will es mit Dir – will nur lieben, Dich recht von ganzem Herzen lieben – ist’s das Schönste?

Oh Du! Du!!! Das will ich – das muß ich! Ganz Dein bin ich!

Ewig

Dein [Roland]!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.421205-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946