Bitte warten...

[OBF-421216-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 16. Dezember 1942.

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebste [Hilde]!

Heute ist noch einmal enge Zeit. Aber schon heut abend will ich ganz still und lieb und lange bei Dir sein! Ich freu mich schon drauf. Dein lieber Freitagbote ist bei mir. Ist gar keine Lücke entstanden, das Mannerli hat gar nicht zu warten brauchen – und es wartet doch auch einmal – wartet ganz geduldig und gerne, weil es weiß, daß Du mich nimmer vergißt, daß Du dann desto lieber zu mir kommst, weil ich auch ganz gewiß bin, daß nie Lustlosigkeit, oder Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit der Grund dafür sind, wenn Du einmal nicht schreiben kannst.

Auf eine kleine Inkonsequenz Deines Empfindens will ich Dich aufmerksam machen aus einem Grunde, den ich Dir zuletzt sagen werde. Kamst ½ 11 Uhr aus der Singstunde, wolltest mir noch schreiben. Da aber Mutsch sich noch zu schaffen machte, fandest Du nicht die Andacht, die Du brauchst und Du fühltest Dich getrieben, noch mit Hand anzulegen, damit die liebe Mutsch auch einmal zur Ruhe kommt.

1. Dein Gefühl verstehe ich ganz, es ginge mir ebenso wie Dir. Bei uns daheim erlebten wir oft dasselbe: Es gibt nichts Schönres, als das Mittagessen zu einem Plauderchen, zu einer Unterhaltung auszudehnen, es gibt nichts Schönres. Als wir 3 Buben noch daheim waren, kam es oft zu solch schönen Unterhaltungen. Großmutter aber, von Unruhe getrieben, machte sich ans Aufwaschen. Meine Mutter hätte so gern noch immer ein Weilchen mit gesessen und bat oft: “bleib doch nur noch ein Weilchen sitzen!"– aber umsonst, und so flog die schöne Runde auf.

2. So spät abends sollst Du mir nicht schreiben.

3. So spät abends würde ich aber auch Mutter lieb und energisch Feierabend gebieten, und keinesfalls ^mich aber mehr zu einer Mitarbeit genötigt fühlen, wenn es nicht ganz Not am Mann ist. (Ich weiß, die liebe Mutsch ist ein ruheloser Treiber.)

4. Als Du am Nachmittage zum Dienst gehen mußtest und Mutsch allein lassen mußtest – hattest Du das Empfinden aber nicht. Am Nachmittage war angesetzter Dienst – der schien Dich vor Mutsch zu rechtfertigen. Am Abend das Schreiben ans Mannerli – war Dir nicht Grund genug zur Rechtfertigung? Herzelein – Du! Nun hör fein lieb zu. Am Ende Deines lieben Boten schreibst Du, daß Du drei Scharen nicht allein nehmen willst. Nur mit diesem einen Satz berührst Du es. Und so kann ich mir zweierlei drausnehmen, nämlich auch: daß Du nun auch, mit Helferinnen, die dritte Schar übernehmen willst. Das sind 2 reine Stunden Dienst in der Woche dazu – das bedeutet, einen neuen Nachmittag teilen. Das sind mit der innerlichen Einstellung, mit dem Umziehen, mit dem Wegelaufen, mit den Nebenarbeiten mindestens 5 Stunden wirklicher Dienst und Dienstbereitschaft. Daraus folgt natürlich ein unerbittlicher Kreislauf: je öfter Du Dienst hast, je öfter Du aus dem Haus bist, je öfter Mutter allein ist mit ihrer Arbeit, desto weniger fertig findest Du daheim dann alles fertig vor und die liebe Mutsch in Ruhe.

In einem Deiner letzten Boten schriebst Du: "nun werden wohl manche sehen, daß ich auch zu tun habe, wenn sich die Veranstaltungen überschneiden." Herzlieb, wenn ich nicht Einhalt gebieten würde manchmal, Du würdest Deinen Tag verstunden ( nicht verpfunden,) aber so ähnlich). Wenn Du das vorhast noch, darf ich auch ein Pfund, darf ich nur auch eine Stunde wünschen? – Nein, Herzelein – warum ich Dich auf all das aufmerksam mache, auch auf die kleine Inkonsequenz Deines Empfindens: damit Du unsre Freiheit im Auge behältst. Schätzelein, wenn Du aus diesen Zeilen etwas Böses nehmen wolltest, dann nur das: Daß ich mich zu Dir dränge – daß ich mich zu Dir dränge! Du!!! Ich habe nicht den leisesten Grund zu einer Klage – Du kommst so lieb und treu und lang immer zu mir. Aber ich will Dich auf die Gefahr aufmerksam machen, die unsrer Freiheit droht, ehe es zu spät ist. Ich tat es schon so oft – und tat es widerwillig. Aber nun nicht mehr. Ich kann Dir alles sagen – und Du verstehst mich lieb. Herzelein — und die Gefahr ist dort, wo Du Dir Deinen Tag immer mehr verstunden und verdiensten läßt – dort ist sie.

Ich glaube, daß Du die Bedeutung dieser unsrer Freiheit noch nicht immer hoch genug einschätzt. Und ich fühle es doch auch daran, daß ich eben doch immer wieder einmal mahnen muß. Tu ich es aus Eigennutz? Oh Geliebt[e]! Du! Nein! Nein! Ich tu es für unsre Liebe, für unser Glück.

Herzelein! Wenn Du findest, daß ich ein wenig recht habe mit meiner Einsicht, dann mach es Dir zu eigen und verhilf ihm zur Anerkennung. Wie lange wird dieser Krieg noch dauern, wie lange werden wir noch getrennt sein müssen? Wir wissen es nicht. Wie lange werden wir, uns wirst Du Dich zumal Deiner Freiheit noch freuen können? Auch das wissen wir nicht.

Herzelein! L uns diese Freiheit festhalten, solange es noch angeht – wenn es geht, bis zu unserem Wiedersehen für immer!

Daß wir täglich lieb zueinander kommen können, es ist uns der liebste, der wichtigste und vornehmste Dienst – auch der Deine – ach Du, das weiß ich ganz ganz gewiß, Du Liebe, Liebste, Herzallerliebste!!! – Und wir haben ein besonderes Recht darauf, auch

Aber ich will Dich auf die [*]

dieses Recht zu vertreten, die wir überhaupt noch nicht Gelegenheit hatten, miteinander richtig zusammenzuleben. Uns ist es höchster Liebesdienst und vornehmste Liebespflicht – der wir, wenn es gilt, auch nach außen Anerkennung verschaffen müssen – und sei es drum, daß wir nicht verstanden werden.

Herzensschätzelein! Du!!! Das drängte es mich zu sagen. Und was mich drängt, das muß zu Dir, zu Dir zuerst – zu Dir drängt alles – oh Du! Du! Du!!! drängt alles aus Liebe, aus dem Wollen zu unserem Glück. Ich hab Dich doch so lieb! Und Du hast mich so lieb – und es kann gar nimmer anders sein – und das ist unser Glück!

Gott sei mit Dir! Heut abend komme ich schon wieder zu Dir! Leb wohl. Ich hab Dich so lieb!

Ewig Dein [Roland],

Dein Herzensmannerli.

[*= für Roland fängt hier eine neue Seite an. Dieser abgebrochene Satz ist derselbe wie auf der Seite davor. Wir denken, dass Roland hier ein neues Blatt Papier begonnen hat und dann bemerkt hat, dass die Rückseite des vorherigen noch unbeschrieben ist (auf der Vorderseite sind die Löcher links, auf der Rückseite rechts). Er hat auf der Rückseite des vorherigen Blattes weitergeschrieben und dann auf der anderen Seite von dem, auf dem dieser abgebrochene Satz steht.]

Karte
Kommentare

Auf eine kleine Inkonsequenz will er Hilde aufmerksam machen: Hilde kam um ½ 11 abends von der Singstunde und wollte an ihn schreiben. Da Mutsch nach im Haushalt arbeitete, fühlte sich Hilde verpflichtet zu helfen und kam erst ganz spät zum Schreiben. – Aber als Roland da war, hatte Hilde einen Dienst und ging einfach weg. Dabei hatte sie nicht das Empfinden, auf Mutsch Rücksicht nehmen zu müssen. – Aber so spät abends soll Hilde nicht mehr an ihn schreiben. Er warnt immer wieder, dass sie sich nicht übernehmen soll. Wenn sie nun noch die 3. Kinderschar übernimmt, sind das 2 reine Stunden Dienst in der Woche und Dienstbereitschaft. Dadurch ergibt sich, dass Hilde immer weniger Hilfe für Mutsch sein kann. Wenn Roland nicht Einhalt gebieten würde manchmal, würde sie sich verstunden (verplanen).

„Du solltest unsre Freiheit im Auge behalten,” schreibt Roland. (Sonst hätte sie zu wenig Zeit zum Schreiben.) Auf die Gefahr will Roland sie aufmerksam machen ihre Zeit zu sehr zu verdiensten. Diese Freiheit soll sie sich nicht nehmen lassen. Es ist ihrer beide Freiheit, die ihnen zusteht, da sie ja noch nicht einmal zusammen leben konnten bisher. Das wäre ihr Recht, was sie verteidigen müssen. Ihnen ist das Schreiben ein Liebesdienst und Liebespflicht! Roland verabschiedet sich als ihr Herzensmannerli!

Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946