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[OBF-421226-001-01]
Briefkorpus

Zweiter Weihnachtsfeiertag 1942

Herzelein! Geliebte! Meine Sonne Du! Meine [Hilde]!

'Heimgekehrt' ist das Mannerli von seinem Spaziergang. Habe nach dem Mittag mich ein wenig langgestreckt. Um 3 Uhr bin ich losgelaufen, mal stadtwärts, randwärts, [sic] aufs Geratewohl und hab mich zwei Stunden ausgelaufen. Das Himmelsgrau hing heute ein paar Meter höher, und die Luft war schon trocken. In der vergangenen Nacht hat es eine Spur geschneit. Einen feinen Kaffeeappetit habe ich mir angelaufen – und den feinen Stollen noch einmal richtig gekostet – bis er alle war – ihn recht gewürdigt, gelt? Ach, seid von Herzen bedankt für Eure liebe Gabe – für Deine liebe Gabe (Herzelein, es war doch Deiner, den ich heute verschnabuliert habe), ich habe doch auch geschmeckt, daß Du mein dabei ganz lieb gedacht hast. Ach Du! Du!!! Willst mir nur Liebe und Freude bringen – oh Herzelein! Schätzelein! Sie dringt zu mir, zu meinem Herzen! Meine einzige, meine ganze Freude, Du! Du!!! Sonne meiner Tage, ach Herzelein, Du!, die so trübe, so traurig wären ohne Deine Sonne – ach Du! gar nicht auszudenken. Oh Geliebte! Du mußt es wissen und fühlen immer, daß Du mir alles bist, alles! Herzelein! Daß wir hier auf Erden irgend wie notwendig sind, einen Platz haben, eine Aufgabe erfüllen, daß etwas uns bei diesem Leben hält und es wert macht, das macht unser Glück und unseren Lebenswillen aus.

Oh Geliebte! Ich sehe keine andere und sehe keine liebere und größere, als daß ich Dich geleiten soll durch dieses Leben. [*] Alles Liebe, alle Herzens- und Willenskraft, alles Herzblut geht in diese Aufgabe. Dir will ich mich erhalten, Dir will ich heimkehren und leben! – Dein will ich sein! Und diese Aufgabe will ich erfüllen, so gut ich eine Aufgabe überhaupt erfüllen kann. Sie soll meine Lebensaufgabe, meine Lebensleistung sein. Und soviel ich mich dieser Aufgabe widme, soviel ich von mir darangebe, soviel Halt, soviel Lust und Liebe kommen mir davon zurück und wachsen mir zu.

Oh Herzallerliebste mein! Und so lebst Du mir! So hast Du mir Dein Leben geweiht. So gehen wir Hand in Hand und finden aneinander Halt – und haben einander lieb und wollen miteinander dieses Leben erfüllen. Oh Geliebte mein! Mit Dir! welch herrlicher Weg, welch kostbares Ziel!!! Mit Dir!!! Oh Herzelein! Dein Mannerli hat dieses Ziel ins Auge gefaßt, er hat es mit dem Herzen erfaßt – und hat es erfaßt in seiner ganzen Weite, in seiner Bedeutung, in seinem Ernst, in seiner Kostbarkeit – ich hab es ins Auge gefaßt – und verliere es nicht, und halte darauf zu mit meiner ganzen Willenskraft, und Zähigkeit, und Treue. Geliebte mein! Geliebtes Weib! Um Dich! Um unser Glück! Aus tiefer Liebe zu Dir!

Was gilt es, wenn Jahre uns schwinden und verstreichen – deshalb das Lebensziel aufgeben? ihm untreu werden? Schlechter Steuermann. Wankelmut.

Oh Geliebte! Nur wenige Tage noch im alten Jahre. Ein Einschnitt wieder, der uns innehalten und besinnen läßt.

Meine [Hilde]! Meine liebe [Hilde]! Wenn Gott uns das Leben schenkt, – mit seiner Hilfe stehen wir am Ende dieses neuen Jahres nicht anders als am Schlusse des alten! Unsre Liebe wird blühen! Oh Du! Wir halten, was wir haben! Wir bleiben treu dem, der uns die Treue hielt. An das Bleibende halten wir uns, wo alles um uns wankt und fällt. Gott bleibt! Und unsre Liebe bleibt!

Ach Herzelein! Nur zu Deinem Glücke sage ich es Dir: Dein [Roland] suchte schon immer nach dem Bleibenden, nach Halt, nach Ordnung, nach Gültigem, nach Gott auch – und nach einem Freund, nach einem Gefährten, sehnte sich danach; Treue um Treue zu bewähren, oh Geliebte, jemandem anzuhängen mit dem Herzen, mit dem ganzen Herzen – Du weißt es.

Bist Du auch so wie Dein Mannerli? Mußt auch Dein Herze ganz verschenken?

Oh Geliebte mein! Du! Du!!! Liebstes, treuestes Weib! Ich habe Dich erkannt! Du hast meine ganze Liebe und Treue! Zum ersten Male im Leben gestillt meine Sehnsucht: ich kann Treue bewähren, ich kann lieben, lieben! Oh Du! Du!!! Herzelein! Es ist wenig Bleibendes in der Welt, und das Bleibende ist wenig geachtet, in unsrer Zeit zumal. Aber wir erkennen es, unbeirrbar: Gott ist und bleibt getreu über alles menschliche Maß. Unsre Eltern sind treu! Und Du bist mir treu! Du bist mir treu!!! Oh Geliebte! Geliebte!!! Du! Du!!! Ich bin so glücklich! Sooo glücklich!!! Elterntreue ist mit im Blute begründet. Aber Deine Treue gründet allein in der Liebe! und in unsrer Wesensverwandtschaft – ach Du! in der Liebe Allgewalt! Oh Herzelein! Entbrannt sind unsre Herzen in Liebe zueinander, entbrannt sind sie aus wundersamer Liebe.

Wilhelm Stapel schreibt im neuen Buche, das Du mir schenktest, so schön von der Treue. Ach Herzelein, Gedanken, die auch wir schon all berührten, und manches doch auch glückhaft aufhellen. Ich kann nur das Wichtigste Dir jetzt aufschreiben. "Jeder der drei Stände, Bauer, Bürger und Werker, hat seine Haupt- und Herzenstugend. Die innerste Seelenkraft der Bauernwelt ist die Treue. Das Wort Treue bedeutete früher zugleich Frieden. Wo Friede herrscht, herrscht Treue. Treue ist eine personenhafte Tugend. Man kann einem Menschen, oder einem Kreis von Menschen, man kann Gott, man kann auch einem Tier treu sein, aber nicht einem Gedanken, einer Idee. Treue ist immer gegenseitig. Sie bindet immer zwei. In der Treue sind beide Teile einander gleichgestellt (im Gegensatz zu dem Verhältnis Befehlen – Gehorchen). Wird der eine Teil untreu, so ist das Band zerschnitten, und der andere Teil ist der Treupflicht entbunden.

Treue ist eine Haltung des Gemütes, eine beseelte, eine warme Tugend. Schon im Klang des Wortes liegt das Warme, Gemütvolle, Zarte und doch Starke dieser Kraft. Treue ist wohl die allertiefste, und innigste Bindekraft. Sie ist die eine der drei großen Urtugenden unseres Volkes: Treue, Lauterkeit, Tapferkeit. (Ihnen entsprechen die drei Urlaster: Wankelmut, Neid, feige Schwäche). Die Treue ist unter den dreien das, was die Menschen von Gemüt zu Gemüt bindet.

Treue ist Verläßlichkeit. Treue und Vertrauen hängen sprachlich und seelisch miteinander zusammen. Die Treue ist in der verworrenen und wandelbaren Welt das Feste und Haltbare: mein Freund, mein Gemahl, mein Gott, auf Dich verlasse ich mich, was immer geschehen mag, bei Dir habe ich Frieden in friedlosen Tagen.

Der treue Mensch ist in bestimmten Lagen zugleich der dumme Mensch. Der Treulose kann die Verläßlichkeit des Treuen mißbrauchen. Die Treue hat ihren Grund im Religiösen.

Treue ist Frieden, und mehr als Frieden – ist Hilfe. Wer dem andern treu ist, fühlt sich ihm zu tätigem Beistand verpflichtet. Das Leben des andern wird dem Getreuen wie das eigne Leben.

Weil Treue der innerste und zarteste Saft des Lebens ist, weil Treue Herzenstreue ist, darum ist sie leicht verletzlich.

Untreue kann nicht bestraft werden, sie kann nur gerächt werden. Untreue zertrümmert eine Welt. Sie führt zu einem unheilbaren Bruch.

Darum, weil die Treue das Zarteste, Empfindlichste, Verletzlichste des Herzens ist, folgt dem Treubruch der furchtbarste Haß."

Ach Herzelein! Dein geliebtes Bild steht vor mir – die Festtage doch all, solange ich allein bin – und was mir daraus leuchtet ist lauter Lieb und Treue, lauter Lieb und Treue!!! Sie gehört zu Deinem Wesen wie zu dem meinen, die Treue, diese bäuerliche Tugend, dies schwere Bl[u]t, ach Geliebte! wie erkenne ich das sooo glücklich! sooo glücklich! Ich muß Dich sooo liebhaben drum! Und Du bist mir darin so lieb gefolgt: das Mannerli möchte dieses Wesen auch äußerlich sich dargestellt sehen, indem Du auf alle Flatterhaftigkeit und Spielerei der Mode, die ja Ausdruck ist einer Flatterhaftigkeit der Gesinnung ist, verzichtest. Ach Geliebte! Geliebte!!! Soviel ich Dich liebe, soviel muß ich Dir treu sein.

Ach Geliebte! Treu sein wollt ich einem Menschenkinde – Dir bin ich’s! Dir bin ich’s, Geliebte!!! Herzenskönigin! Oh Du! Wie halt ich Dich lieb und wert - mein Alles, Du!!!

Ganz frei traten wir einander gegenüber, Geliebte! Ganz frei stehen wir einander gegenüber – Vertrauen, Liebe und Treue aber verbinden uns – oh Geliebte! Ich glaube, sooo fest! Ich fühle es – wie ich Dir ganz gehöre – und ich weiß glücklich, wie ganz Du die Meine bist!

Und nach dem Lohn solcher Treue fragen wir doch gar nicht – wir müssen einander lieben und treu sein – aber wir erfahren es an uns, an unseren Herzen: der Treue Lohn ist die Krone der Lebens – die Treue allein adelt dieses Leben! Die Treue macht es lebenswert! Und die gute Liebe ist die wahre Herzenssonne!!!

Herzelein! Geliebte! Wir gehen in das neue Jahr in mancher Hinsicht mit geschmälerten Hoffnungen – aber mit der Fürbitte für unsres Volkes Schicksal – oh Geliebte! mit gewisser Zuversicht in die Weisheit und Güte der Führung Gottes. – Herzelein! mit dem reichen Schatz unsrer Liebe im Herzen – und mit dem Glauben, daß Gott uns beisteht und segnet zu treuem, standhaftem Ausharren.

Und wir werden einander beistehen!

Oh Herzelein! Werden miteinander gehen und leben wie all die Zeit unsrer Liebe daher, werden einander nur lieber gewinnen. Die Saat der guten Liebe in uns wird wieder so reiche Frucht tragen. Die Liebe allein wird all unser Handeln bestimmen – in der Liebe werden wir Frieden finden auch in den friedlosesten Tagen – Sonne auch in den trübesten Stunden.

Oh Geliebte! Wie will ich Dich lieb geleiten immer – wie sehne ich mich, Dir Liebes zu tun und Dir zu leben – und daß ich Dir treu bleibe in meinem äußeren Wandel, das ist ja das mindeste, das geringste, das ist ja so selbstredend – ach Du! wo ich Dir doch viel, viel Lieberes tun möchte!!!

Ach Du! So glücklich sind wir – und so reich – vor vielen, vielen anderen Menschen – und das wollen wir nimmer vergessen, Gott zu danken. Ach, und wenn er uns nun noch zusammenführte - ein Wunder müßte geschehen, wenn es im kommenden Jahre sich erfüllen soll – aber bei Gott ist kein Ding unmög[li]ch, und voller Wunder ist seine Führung – und darum dürfen wir auch hoffen – oh Du, meine [Hilde] – laß uns Gott dienen in nimmermüder Treue – laß uns Kinder sein dieses mächtigen, gütigen Vaters.

Oh, gib mir Deine Hand – und nimm die meine – ewige Lieb und Treue! Gott helfe uns dazu! So gehen wir miteinander! Ich lasse Dich nicht! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!!! Und lasse Dich nicht!!! Meine [Hilde]! Meine liebe, liebe [Hilde]!!! Mein – Dein! Ganz mein – ganz Dein! Oh Du! Du!!! Von Herzen alles Gute!

Dein [Roland]!

Dein glückliches Mannerli!

Und ich küsse Dich doch – viellausendlieb!

Geliebte mein!!!

 

 

[*] Alle in diesem Brief unterstrichenen ganzen Sätze sind mit einem roten Marker (eventuell später und nicht von Roland) hinzugefügt worden.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.421226-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946