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[OBF-430122-001-02]
Briefkorpus

Freitag, den 22. Januar 1943

Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Da bin ich wieder! Du!!! Feierabend ist. Das Mannerli war auch nach dem Dienst noch einmal spazieren. Zu köstlich war die Luft. Und hell war es heute um 6 Uhr noch – es wird wieder heller und lichter! Die Sonne hat sich noch nicht aus ihrer Ordnung bringen lassen. Heute in den Mittagstunden hat es doch sogar getaut.

Das ist noch zu früh; denn wir haben noch einmal dicken Winter zu erwarten.

Ach daheim taut es nach Deinem Bericht. Ein Finkenmätzl [sic] hast schon gehört? Sissibir [sic] ist aber die Kohlmeise. Als ich am Sonntag ausging habe ich auch nach ein paar Meislein [sic] ausgeschaut, die schon künftige Weisen [Lieder, Melodien] probierten. Habe sie nicht entdecken können.

Du! Sind nicht im Herzen auch kleine Meislein, [sic] die mit ihrem zarten Wispern auf kommende Freude deuten? Oh Du! Du!!! Morgen will unser Feldwebel in Urlaub fahren. Ich glaube, es liegt wieder eine Sperre in der Luft – weiß nicht, ob sie auch uns betrifft.

Der Heeresbericht von heut abend bringt wenig gute Kunde. In Nordafrika wird gleich um Tripolis der Kampf entbrennen – und für die nächsten Tage können wir uns auf die Nachricht vom Verlust Stalingrads gefaßt machen. Gerade dieser Punkt war ein Schlüsselpunkt unsrer Operationen, der Stoß tief ins Herz des russischen Bären. Es hat den Anschein, als ob er ihn ausgehalten habe.

Unterdessen liest man von dem verstärkten Aufmarsch der Alllierten im Iran. Ich zweifle daran, daß wir jemals in den Besitz der Ölquellen kommen im Kaukasus. Der Vorstoß dahin auf dem Landwege ist ein zu langer, leicht abzuschnürender Arm – und zu Wasser von uns gar nicht durchzuführen.

Aber darum werden sich wohl schon andre Strategen den Kopf zerbrochen haben. Ich glaube, solche Strategie erfordert ein kaltes Herz; denn sie vollzieht sich unter rechnerischer Einbeziehung von Opfern an Menschen und Werten – und sie darf nicht sich lähmen lassen von dem menschlichen Schmerz um solches Opfer, von dem Gedanken an die Unersetzlichkeit des Menschen.

Ich habe Dir schon einmal davon geschrieben, wie dieser Krieg einzelnen wohl die Gelegenheit gibt, sich auszuzeichnen, wie das Opfer der Menschen in der Idee wohl geadelt wird zum Heldentod – wie aber in der Vielzahl der Mensch doch nur noch als ein Leib zählt, als ein Stein im Bollwerk des Widerstandes, auf das sich herzlos und brutal die Maschinenwaffen des modernen Krieges richten, wie die Persönlichkeit, das Individuum der Menschen nur noch Wert hat insoweit, als es diesem Bollwerk nutzbar ist. Und dagegen will etwas in mir aufbegehren.

Wo ist der Schmerz um einen Menschen tiefer und wahrer als bei denen, die mit dem Gefallenen durch Bande des Herzens verknüpft waren? Wo hinterläßt der Mensch tiefere Spuren, wo anders füllt er einen festeren Platz aus als in dem engen Kreis der lieben Menschen um ihn, und wo ist die Lücke unersetzlicher?

Ach, was sind alle großen Ehrenmale und Denkmale, alle Gedächtnisfeiern und Ehrungen vor dem Platze, den ein Mensch einnimmt im geliebten Mitmenschen? Leere Form, leerer Pomp – Formsache, bestenfalls noch ein Erziehungsmittel.

Ja so will in uns der Einzelmensch aufbegehren und sich wehren gegen den großen Strudel der Gemeinschaft, in den der Krieg ihn zwingt und mitreißt. Vor dem Einzelmenschen ist der Krieg ein großes Unglück, eine Wertminderung – vor der Gemeinschaft vielleicht ein Wert, ein Gewinn.

Ja, Herzelein, und in diesem Widerstreit gibt es keinen Mittler wie vor der Wirklichkeit der Tatsachen: hier das Herzeleid und die Schmerzen, die ins Herze schneiden – dort große Strategie und Planen mit Einsatz von Menschenopfern. Hier die Bewertung des Krieges als eines Unglücks, als einer Kulturschande – dort als des großen Erneuerers, als des Vaters aller Dinge.

Und wahr ist beides: Es ist nicht viel zu einem Menschen, der nichts Eigenes hat, in dem nicht der Wille zur Persönlichkeit lebt, der untergeht in der Masse Mensch – und es mangelt dem an Liebe, der schrankenlos sein Ich durchsetzen will, der nicht auch ein Auge hat für die Bezogenheit und Verbundenheit mit den Menschen um uns, mit unserem Volke auch.

Bei der Betrachtung der Neujahrsansprache der Nuntius vor dem rumänischen König kommt Dir die Frage: ob unseren Führer denn auch wohl solche Gedanken bewegen?

Herzelein! Darüber müssen wir uns einmal unterhalten. Denk einmal mit dran, wenn wir wieder beisammen sind.

Ach Du! Möchten wir uns wohl bald nun ein Notizzettelchen anlegen, auf dem wir die Punkte unsrer Unterhaltung dann vermerken, daß nicht etwa eine Pause eintritt, eine Leere – Du!!!

Solch Zettelchen hat das Mannerli sich doch tatsächlich einmal angelegt – vor unsrer ersten Begegnung, Du! Lachst mich nun aus?

Ja – soviel bange war das Mannerli vor der Begegnung mit einem solchen Wesen – ach Du! Du!!! Bange ist doch nicht das rechte Wort – es war doch ein ganz besonderes, ein ganz großes, einmaliges Erlebnis – Geliebte mein!!! Dies erste rechte Begegnen – mit dem Blick soweit voraus – mit der kaum zu verbergenden Ahnung und Hoffnung auf großes Glück – mit dem zitternden Ahnen von der Tiefe des Glückes, einander einmal ganz zu gehören und zu schenken und zu vermählen!!! Oh Geliebte! Ein ganz besonderes Erlebnis – Du! Du!!! Weißt, fühlst Du es noch?

Oh Du! Meine [Hilde]! Wenn ich jetzt Dich im großen Bahnhof erwarten und empfangen könnte, mein Herze bebte nicht anders als damals bei meinem ersten Warten – bebte von dem tiefen Glück, von der Bereitschaft des Herzens, einen Menschen ganz lieb zu empfangen und aufzunehmen – aber jetzt müßte ich Dich in die Arme schließen und herzen und küssen, denn die ich da empfange, ist die Herzallerliebste, die ich im tiefsten erkannte als die Eine, die Einzige, der dies Herze ganz sich öffnet zum liebsten Empfang.

Damals, Geliebte, dasselbe Erleben und Erzittern, dieselbe Bereitschaft zum Empfang – bei jedem Erwarten wieder! – und dann doch dämpfend zwischen uns noch die Fremde, die Türen zum letzten Herzkämmerlein, zum Empfangssaal.

Oh Geliebte! Du! Du!!!

Bedenk es doch recht glücklich mit mir: wie lieb und tief wir einander im Herzen tragen, wie wir nun einander täglich empfangen, ausund eingehen im Herzen des Geliebten! Und bedenk es mit mir ganz froh und glücklich:

unser reiches Herzensglück ist die Frucht tiefen Erkennens nach reiflichem Prüfen, ist die Frucht tiefen Liebhabens und Liebhaltens von Herzen! wir sind einander nicht zugeflogen – wir haben einander nicht an des Herzens Tür oder im Vorsaal empfangen – oh Du, Geliebte, dann wäre unsre Liebe nur ein Strohfeuer, ein kleines Glück – Du! Du!!! Im liebsten, feinsten Herzenssaal haben wir einander empfangen – Du! dem Geliebten eigens bereitet – eigens bereitet für die Hochzeit des Lebens – oh Herzelein, nur für den Empfang der Herzallerliebsten bestimmt! Ja, Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! So ist es! Oh Geliebte! Ein Thron war doch bereitet in meinem Herzen – und auch in Deinem – und nun nimmst Du ihn ein! Und ich bin so glücklich!

Und Du empfängst mich im Festsaal Deines Herzens – Du! Du!!! Du!!!!! Geliebte mein! Oh Du! meine [Hilde]! Meine liebe, liebste, herzallerliebste [Hilde]! Dein liebes, geliebtes Herze – ich laß es nie und nimmer!!! oh Du! Ich halt es selig und glücklich – ach Du! Du!!! Sooo glücklich – und voll Dank zu Gott – mein! mein!!! Du! Ewig mein!!!!! !!!!! !!! Oh Du! Du!!! Ich fühl so beseligt, wie es zum meinen sich fügt – ganz ganz lieb, und tief und innig – oh Geliebte! fühle die tausend Herzfäserchen der Sehnsucht und des Suchens nach dem geliebten Wesen sich um Dein Herze schlingen - oh Geliebte! fühle, wie ein Puls, ein Blut, eine Flut ist zwischen unseren Herzen! Du bist meine liebe [Hilde]! Mein einziges – geliebtes Weib!

Oh, segne Gott unsre Liebe! Behüte er Dich auf allen Wegen!

Oh Herzelein! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich! Meine [Hilde]! Gut Nacht nun! Herzelein! Bist wohl schon im Bettlein? – Du!!! Ich komme doch gleich nach – und küsse Dich! und leg mein Herze an das Deine – oh Du! Ziel all meiner Sehnsucht – mein Herz an Deinem Herzen!!! an Deinem geliebten Herzen!

Oh Herrgott! Hilf uns! Amen!

Ich bleibe ewig Dein [Roland]!

Dein glückliches Mannerli!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946