Montag, den 25. Januar 1943
Geliebtes, teures Herz! Meine liebe [Hilde]!
Die Post ist heute nicht gekommen, der Zug hat jedenfalls viel Verspätung. Nun bekomme ich morgen vormittag Deinen Boten – und wenn nicht – ach Du, ich werde nicht irre an Deiner Liebe – oh nein, herzallerliebstes Schätzelein – Du hast mich doch zu lieb! Dein Herze ist doch zu tief, Dein Sinn zu beständig – und so erfüllt bist Du von unsrer Liebe wie Dein Mannerli, so ganz erfüllt vom Glück unsrer Liebe!
Ja, Du, Geliebte mein! Darauf kommt es an: wie tief das Herze ist, wie reich, wie viel Gläubigkeit und Sehnsucht und Streben in ihm wohnen, wie viel Fähigkeit, tief zu erleben, wieviel treuer Sinn und Stolz, ein Eigenes zu sein und zu bleiben, vor allem, wie viel Streben nach gutem und Eigenem. Aber den letzten Halt, die beste Kraft kgibt uns doch der Glaube. Wir sind Arbeiter in Gottes Weinberg. Von ihm kommt unser Leben, ihm gehört es, er waltet es; ihm Gott, sind wir verantwortlich für unsres Lebens Führung – an allen entscheidenden Wendungen unsres Lebens steht Gott ganz nahe. Ja, geliebtes Herz, dieser Glaube besiegelt unseren Willen, unsre Treue – er macht uns des Lebens Stationen und Bezirke heilig. Wem erst nichts mehr heilig ist, dem gebricht es auch an Kraft des Willens und des Treuseins – der kann wählen, der sieht mehrere Möglichkeiten – der erkennt und anerkennt nicht das Schicksal, das zwingend und einmalig ist.
Geliebte mein! Mit Dir gehe ich unseren Weg – es gibt nur den einen – den an Deiner Seite – und wir haben keinen zweiten, und keinen Nebenweg – mit Dir gehe ich geradeaus unseren Weg im Vertrauen auf Gott – was er auch bringt, Freud und Leid – es ist unser Schicksal, ist Gottes Wille – oh Geliebte! und der Glaube und das Vertrauen auf Gott lassen uns den Weg ganz furchtlos, ja ganz froh gehen – ja, ganz froh!!! Geliebte mein!!!!! –
Schnee hing also am Himmel, der heute früh grau sich darbot, und aus dem es seit den Nachmittagsstunden von neuem schneit.
Heute kamen in unsre Geschäftsstelle auch Anweisungen über die Ausgestaltung der 30. Januar, des 10. Jahrestages der Machtübernahme. Am Sonnabend soll Arbeitsruhe sein - am Freitag schon Kundgebungen – drei Tage soll gefeiert werden. Die Propagandamaschine läuft wieder auf Touren – und das ist ja auch nötig, um jedermann diesen Tag als einen Wendepunkt zu einem besseren Dasein erscheinen zu lassen.
Ja, man sagt, der Glaube versetzt Berge – und so sehen wir ein paar Menschen, die sehen ein neues Zeitalter anbrechen, fühlen sich als Vollstrecker dieser Neugeburt, und im Gefühl dieser Berufung haben sie sich zu Führern der Masse aufgeschwungen und sind dabei, im Besitze der Machtmittel, diese ihre Schau in die Wirklichkeit umzusetzen, mit Hilfe der Massen für die Massen, Freiheit und Brot.
In den Stunden einer Geburt liegen Leben und Tod dicht beieinander – der eine spricht vom Untergang des Abendlandes, der andre vom Aufgang.
Ja, Geliebte, wer möchte hier klar zu sehen:
Wir sehen vieles, das ebenso als Zeichen der Unterganges wie als einer Neu geburt [sic] gedeutet werden kann. Ja – und sehen, zusehen sollen wir gar nicht – wir sollen glauben, und sollen glaubend das Werk vorwärtstreiben.
Können wir es?
Gläubig und sieghaft jubelnd dieses Werk vorwärtstragen – dieses Schicksal als einmalig und unabänderlich und gottgewollt bejahen?
Wieviele können es? Herzelein! ich gehöre zu den Menschen, die etwas auch gegen eine Mehrheit vertreten und glauben können. Aber dem, was jetzt geschieht, kann ich nur abwartend gegenüberstehen.
Vielleicht ist mein Blick zu eng und begrenzt – vielleicht bin ich zu konservativ in meinem Wesen – vielleicht bin ich schon zu sehr gewöhnt, von meinem Berufe her alles vom Einzelmenschen und Einzelschicksal zu beziehen – vielleicht bin ich überhaupt zu wenig Massemensch.
Herzlieb! Der konservative Sinn sagt: es bleibt die Substanz, es ändert sich nur ihr Zustand – es bleibt der Inhalt, es ändert sich nur die Form – darum nicht soviel Geschrei, darum keine Marktschreierei, es hat noch kein Mensch aus Wasser Wein gemacht, es hat noch keiner Blei in Gold verwandelt – und wenn diese Welt besser werden soll, dann wird sie es nur, wenn die Zahl der Guten mehr wird – aller Wert ruht im Bleibenden, inm der Substanz – ob im Klumpen, ob im kunstvollen Geschmeide – Gold bleibt Gold, Bleib bleibt Blei.
Darum kein Marktschreien, darum keine Propaganda – was hier auf Erden geschieht ist alles Notwendigkeit, Not des Lebens, ist Schicksal, Gottes Wille.
Ja, Geliebte! Der konservative Mensch ist ein unpolitischer Mensch in seinem Wesen, denn ihm ist das wichtige die Substanz, der Inhalt, der Gehalt, die wechselnde Gestalt aber, die Form liegt im Bereich der Politik. Das Volk ist die Substanz und als solche eine feste Größe qualitativ – aber seine Staatenbildung, ob Monarchie, ob Republik, ob Führerstaat, ist die Form, die den Politiker interessiert.
Siehst, Herzelein, überall stoße ich darauf: es ist in mir viel bäuerlicher Sinn – denn der Bauer ist konservativ. Er ist es in seiner Bodengebundenheit und Abhängigkeit vom Himmel notwendig.
Ob der Führer des Reiches Kaiser Wilhelm oder Adolf Hitler heißt, das ist für ihn eine Frage zweiten Ranges – er hat es mit seinem Boden zu tun, und der ist ergiebig oder karg, und mit dem Himmel, und der ist gnädig oder ungnädig unter diesem und jenem Regimente.
Und so schaue ich die Menschen, schaue den Einzelmenschen, und schaue ihn von mir aus. Soviel ein Staat seine Menschen besser und tüchtiger und freier zu machen versteht, soviel ist er besser als sein Vorgänger.
Aber um viel naktere [sic], notvollere Tatsachen geht es wohl in unseren Tagen: es gilt, die Masse der Besitzlosen, der Arbeiter, der Werker (so sagt Wilhelm Stapel in seinem neuen Buch), der Wurzellosen für das Vaterland wieder zu interessieren und zu gewinnen, sie Verführern aus der Hand zu reißen – und es gilt unserem Volke den Lebensraum zu sichern. Das sind zunächst zwei ganz notvolle Tatsachen, deren Lösung und Vollzug noch lange kein neues Zeitalter bedeuten, die noch längst nicht dazu berechtigen, alte Werte und Götter zu stürzen, die auch zunächst keine europäische Frage waren, sondern eine rein innerdeutsche. (Die anderen Völker lebten zufrieden und sich selbst genug).
Ja, Herzelein, wir erkennen nicht, erkennen tatsächlich nicht, wohinaus das führen soll – ich erkenne auch nicht, ob dieser Krieg notwendig war oder nicht – wie ich auch zweifeln muß daran, daß dieser Krieg uns auf die Dauer dem gewünschten Ziele näherbringt: Freiheit unsres Volkes, Grundlage vertrauensvoller europäischer Zusammenarbeit.
Der stärkste Zweifel kommt uns aber wohl von daher: daß man die einigende Kraft, die im Christentum ruht – ganz beiseiteschiebt, als belanglos, ja, daß man dieser Kraft auch für das Leben des Einzelmenschen glaubt eintreten zu können – daß man dafür abergläubisch baut auf die Stimme des Blutes; da ist esie: Bruderkrieg, wie er so haßartig noch nie dawar [sic] – und Absage der besten Verwandten: Schweden (die Niederländer und Schweizer und Norweger wollen wir lieber nicht fragen – die werden auch nicht gefragt).
Und so sind wir auch, daß wir uns umsehen und fragen: wo sind die Neugläubigen, wie sehen sie aus?
Wir sehen die Menschen um uns getrieben, überlastet, gejagt, gehetzt, entleert, verwirrt, eine große Herde – etwa erfüllt von Großem, Neuem? im Innersten entbrannt von einer großen Sendung? – Was können wir den anderen schon Großes, Neues bringen? Vorerst wollen wir ja selbst erst etwas haben.
Ich glaube, Deutschland kann gar nicht größer werden, als es bis jetzt schon war: da alle Menschen und Herzen, die es zu des Lebens Werten drängt, sich um die großen Deutschen scharen, und sich von ihnen erheben lassen – das ist kein Dienen nur – das ist auch ein Herrschen, das ist eine Herrschaft über die Herzen.
Nein, wir können nicht nur äußerlich, sichtbar, mächtiger werden - ob es unserem Volke liegt und gegeben ist, so wie die Engländer ein großes Reich zu beherrschen und zusammenzuhalten, ob das recht unsre Berufung ist, ob uns das nicht abzieht von der viel schöneren Berufung, geistig zu herrschen - ach, das sind alles offene Fragen, das sind Gedanken, die uns nicht in einen Tagesjubel einstimmen lassen. Ernst ist unsre Zeit – ob sie groß ist, das werden unsre Nachfahren beurteilen können.
Für uns persönlich aber? Die Parolen, denen wir folgen?
Uns an das Bleibende halten! Uns an Gott halten! Unsre Pflicht tun! Unser Recht behaupten!
Ob wir darin rechte, gute Deutsche sein können? Ich glaube schon! Vielleicht, daß wir keine Musterbürger sind, so wie man es jetzt wünscht – aber schlecht dünken wir uns keinesfalls.
Herzelein! Das sind keine neuen Parolen, das sind alte, aber noch immer gültige Parolen, gültig dort, wo etwas geleistet werden soll, wo es gilt, mit seiner Person einzustehen und einzutreten, verantwortlich, und selbstverantwortlich. Wir wollen unseren Weg schon gehen und finden! Gott ist mit uns! Und Du gehst mit mir! Geliebtes Weib!
Ja, Herzlieb diese Gedanken lagen mir heute zu oberst [sic] auf. Und Du sollst sie wissen. Wir sind nun so geschaffen, daß wir ein wenig mitdenken, „mitregieren" müssen, daß wir uns auseinandersetzen müssen mit dem, was um uns geschieht, daß wir nicht nur andre für uns denken und regieren und über uns bestimmen lassen mögen.
Wozu wir ja sagen, das müssen wir auch von Herzen bejahen - und ich glaube, daß Dich diese Gedanken auch interessieren, daß sie Dich ebenso berühren und angehen. Sie greifen bis in den Alltag – und wenn wir erst miteinander leben, werden wir ihnen noch oft begegnen, werden uns mit ihnen noch ganz auseinandersetzen müssen in Fragen der Erziehung – der Kinder in der Schule – und unsrer eigenen Kinder, wenn Gott sie uns schenkt.
Und es setzen sich auch andre damit aus einander. Die Welt ist nicht so, wie sie in der Zeitung steht – heute gleich gar nicht.
Und das ist unser Glaube, unsre Hoffnung: Daß im Frieden dann auch ein Platz für uns sein wird, an dem wir froh unsre Kräfte ansetzen können, daß soviel Freiheit ist, daß wir darin atmen und leben können – daß es doch leztlich [sic] auf das Sein ankommt, und nicht auf das Scheinen. Aber wie auch immer - wir werden unseren Weg finden und gehen – und Gott wird mit uns sein!
Teures, geliebtes Herz! Du weißt, daß Du mir auch ganz nahe bist, wenn ich solche Gedanken bewege – das bist Du doch in allem, was mein Herze bewegt. Nun hab ich Dir doch noch gar nicht gesagt, wie lieb ich Dich noch habe – Du! Du!!! Sooo lieb, daß ich es gar nicht sagen und schreiben kann – daß ich zu Dir selber eilen möchte – und es Dir sagen – sagen? – Oh Geliebte mein! Wenn wir uns am liebsten haben, dann ist es doch ein Ergeben, ein Selbstvergessen, ein Aneinander–verlieren – ein Auftun und Verströmen – Einssein – Einssein – Geliebte!!! Ob ich das möchte, ob ich so Dich liebhabe? Ja – ja – ja!!! Du!!!!! !!!!! !!!
Behüt Dich Gott! Er sei mit Dir auf allen Wegen!
Ach Du! Denke immer ganz froh an Dein Mannerli! Dein ist es - ganz Dein! – Dir gehört es – Dir ganz allein! Du hast allein ein Recht an mir! Aber fester noch als all dies Recht und dieser Besitz ist doch die quellende lebendige Liebe – Herzelein – oh Du! Die Quelle versiegt nicht – Deine Liebe nährt sie wundersam – und in Deinem Herzen mündet diese Quelle – Du! Du!!! Ich liebe Dich! Und küsse Dich herzinnig!
Dein glückliches Mannerli
Dein [Roland]! Mein!!! Du!!!
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Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946