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[OBF-430206-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 5. Februar 1943

Herzallerliebste mein! Du, meine liebste [Hilde]!

½ 10 Uhr ist es am Abend, da ich zum Schreiben komme. Es gab heute viel Arbeit, sodaß ich bis um 7 Uhr zu tun hatte. Es scheint, daß auch im Papierkrieg eine Offensive sei. Nach dem Dienst mußte ich erst noch ein Stück gehen, um frische Luft zu schöpfen und mit mir ins Reine zu kommen.

Wunderbarer Sternenhimmel wölbte sich über uns heute. Am Tage über war es heiter und frühlingshaft warm. Seit 3 Tagen haben wir nun schon solch mildes Wetter. Ein ganz abnormer Winter wieder einmal. Dein lieber Bote vom Sonntag ist bei mir. Ach Du! Geliebte mein! Das Herz möchte mir schwer werden von Sehnsucht und von Traurigkeit, daß wir unsre Liebe nicht leben können noch, so wie wir es uns wünschen. Aber Sehnsucht und Traurigkeit müssen wir jetzt von uns weisen. Dazu ist jetzt nicht die rechte Zeit. Ach Du, Geliebte mein!

Siehst Du denn auch wie es ernster ist, als man uns es vorhergesagt hat? Wie man es vor Monaten noch nicht eingestanden hätte? Ja, Du sprichst von meinem Montagboten heute. Ich weiß nicht mehr, was ich im einzelnen geschrieben habe. Aber ich besinne mich, daß ich es mitschrieb unter dem Eindruck von einigen Kameradenerzählungen, Geliebte, von schier unglaublichen Erzählungen, die Dir nur das eine auf die Lippen bringen konnten: Wer so säht, der kann nichts Gutes ernten. Aber es ist nicht nur das. Und ich kann es nur wiedersagen: Ich kann nicht glauben. Ich mag nicht – prophezeien, das wäre vermessen – aber glauben kann ich nicht. Geliebte! Ich habe all das geschrieben nicht etwa, um Dein Pflichtgefühl zu verdächtigen oder Dich von Deiner Pflicht abzuhalten. Ich tue hier meine Pflicht, so wie ich sie erkenne und wie ich glaube, sie vor Gott verantworten zu müssen. Und wenn das Letzte von mir gefordert würde – ich tat meine Pflicht dann, gehorsam dem Schicksal, Gottes Willen – aber nicht aus jenem Glauben – nicht aus jenem Glauben.

Herzelein! Ich mag davon nicht mehr reden heute. Ich bin müde auch. Will heute mal früher schlafen gehen. Es ist jetzt immer später geworden. Habe hinter Deinem Boten lange gesessen – und bin abends meist nicht fertig geworden.

Du sagst mir doch so viel unendlich Liebes heute – ach Du! daß mir mir sooo überfroh und weh zugleich ums Herze werden könnte.

Geliebte! Du sollst nicht denken mehr, daß ich an Deiner Liebe zweifle. Auch daran nicht, daß Du sie bewahren und darum kämpfen würdest: Ich zweifle nicht. Ich glaube an Deine Liebe.

Und wenn ich daran nicht mehr glauben könnte, dann könnte ich Dich ja auch nimmer liebhaben – dann wäre ich ja leer und nutzlos.

Herzelein! Laß mich heute schlafengehen. Sei Du Gott befohlen! Sei ihm unsre Liebe befohlen. Unser Herze auch. Daß es stark bleibe, treu und rein! Schenke Gott uns rechte Kraft des Glaubens, den rechten Herzensfrieden und die rechte Herzensfröhlichkeit.

“Abend wird auch dann sein, Stille – und Geborgenheit wird uns das Herz erfüllen, Liebe! Ach, wann wird es so sein? Wie wir uns es in Tausend Wünschen und Träumen malen? Einmal wird die Zeit anbrechen, da wir nur noch miteinander und füreinander leben! Daran glaube ich felsenfest." Herzelein!! Ich will Deinen Boten noch einmal lesen. Ich will mich in Deine Liebe ergeben. Ich will mich in Deine Liebe bergen.

Melodien aus „Butterfly” klingen herüber. Geliebte! In diesen Klängen ist etwas von dem Wissen um das Tiefmenschliche, ist etwas von dem Verlangen nach Erlösung, von dem Ringen um Gottes Gnade, um Erbarmen – ist etwas von der Jahreszeit unseres Zeitalters eingefangen, mit dieser Musik ist Millionen aus der Seele gesprochen, wie nicht leicht mit einem anderen Wort - Geliebte! In dieser Musik ist innere Wahrhaftigkeit, wie sie uns immer seltener wird. Und ich habe gelesen, daß Puccini auch als Mensch so war. Verkrampfte Welt ringsher! Oh, daß Gott sich unsrer erbarme! Daß er sich unsrer erbarme! Gut nacht! Ich bin Dein Mannerli! Ich muß Dir ferne sein! Aber ich behalte Dich lieb. Ich warte Dein!

Oh, Du Mußt mir bleiben!

ewig Dein [Roland]!

Dein Herzensmannerli.

Herzelein! So viel zu tun auch heute, daß ich nicht 10 Minuten freihatte für Dich. Und heute am Nachmittag muß ich noch einmal zur Dienststelle. Fräulein Sch. kann mir nur wenig abnehmen. Ein neuer Befehl muß geschrieben werden. Aber erst mach ich meinen Spaziergang – es ist schöne Luft draußen. Magst Du mit mir gehen? Ich nehm doch nur Dich mit.

Oh Du! Geliebte mein! Ich denke Dein mit aller Liebe und Sehnsucht und mit der Bitte zu Gott, daß er Dir immer beistehen möge, daß er unsre Liebe segne. Bald kommt Dein lieber Bote. Und bald komm ich wieder zu Dir – oh Du! Du!!!

Ich bleibe in ewiger Liebe und Treue

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946