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[OBF-430222-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 22. Februar 1 9 4 3

Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Die Post geht unregelmäßig. Heute blieb Dein lieber Bote wieder aus. Dafür kam ein andre seltner Gast: Hellmuth schreibt vom 6. Februar. Er hat seinen Humor noch nicht verloren. Fährt noch auf seinem Panzerzug. Er klagt über die Verständnislosigkeit seiner Kameraden. “Es mangelt jeder Einfühlungsvermögen – Ich bin der festen Überzeugung, daß der Krieg sich in seinem endlichen Verlauf demnächst entscheiden wird und es sich immer klarer herausstellen wird, wer schließlich die Oberhand behalten wird! – Es ist jetzt mein 4. Jahr. Es gibt noch Längerdienende, aber ich bin auch schon so vollauf zufrieden. Mein Blick richtet sich mehr denn je auf anderes, ganz anderes. Die Bornierung des heutigen Gesichtsfeldes, in welcher Hinsicht auch immer, ist für mich eine längst überwundene Geschichte, und ich glaube auch heute in Bezug auf die kosmische Entwicklung der Völker nichts mehr Zutreffendes. Wir stehen am Beginn einer ganz neuen Zeit, bewirkt durch Mächte und Personen, welche diese Entwicklung zunächst gar nicht ins Auge gefaßt haben: Werkzeuge Gottes. Deutschland kann nur gerettet werden, wenn die geistigen Menschen wieder Oberhand gewinnen über die sich überall breitmachenden Wegelagerer.”

Herzelein – die Mißachtung und Nichtachtung fremden Volkstums und fremder Volksseele habe ich ja auch zur Genüge kennengelernt. Sie beweist nur, wie die Menge sich einer deutschen Sendung überhaupt nicht bewußt ist, geschweige denn einer europäischen Mission.

Herzlieb – und man erlebt es an sich selbst wie das Herausgelöstsein und geistige Kaltgestelltsein schon stumpf macht – wieviel mehr und früher den, der nie ein eignes Urteil hatte oder sich bilden konnte, der nie sich auch die Mühe oder Unbequemlichkeit einer Kritik oder gar Opposition machte, wenn er sie als zurecht erkannte. So kann man ein Volk tatsächlich einschläfern und eine Einmütigkeit erzielen, aber einen schwachen, leblosen Einmütigkeit. Schätzelein! Magst es verstehen, wie wir gegenüber solcher Einmütigkeit mißtrauisch sind, gegenüber allen Einflüsterungen und Vergröberungen, die diese Zeit als problemlos hinstellen, oder die diese Probleme alle auf einen Nenner oder eine Entscheidung bringen wollen.

So einfach ist die Welt nicht. Und darüber darf man sich nicht täuschen: was um uns laut wird ist Propaganda, ist Schwarz–Weiß–Malerei, ist Vergröberung, ist Fiktion, Überredung.

Fiktion sind all die Schlagworte, die wir täglich in den Zeitungen lesen. Tatsachen sind der Haß, Wille zu Macht und Herrschaft, der Kampf der Völker gegeneinander, Haß wegen andrer Einstellung, die wiederum aus der Eigenart und der Lage der Völker bestimmt sind.

Wenn wir Europa wirklich einmal beherrschen wollen, dann ist es nicht getan mit Autobahnen und einem Wirtschaftssystem – Vertrauen ist dazu die erste Bedingung, und das gewinnen wir nur in einer wirklichen Überlegenheit in Geist und Haltung und weise waltender Gerechtigkeit.

Herzlieb! Wenn auch unser Blick für die Dinge um uns her ^jetzt begrenzt ist, für die großen Dinge – desto wachsamer und kritischer betrachten wir, was in unserem Gesichtskreis geschieht. Und es begegnet uns hier dasselbe: da ist vieles, das zu wünschen übrig läßt, das man nur mit Mißtrauen hinnehmen kann, ja, das man verurteilen muß – und nur wenige, die das erkennen, die es der Mühe wert halten, innerlich zu protestieren und davon Abstand zu nehmen. Herzelein! Und dabei sind Dinge, über deren Gut oder Böse gar kein Debattieren ist.

Und wir lassen uns da keineswegs beirren oder einschläfern – wenn wir weiß sehen, dann werden wir nie schwarz sehen, aus Bequemlichkeit oder Gefälligkeit oder Feigheit etwa. Sondern wir lassen uns leiten von unserem Verantwortungsbewußtsein, von der Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit. Und verlassen uns lieber auf unsere eigenen Wahrnehmungen als auf eine weitverbreitete fremde Meinung.

Oh Herzelein! Wie glücklich bin ich, in Dir den Weggefährten gefunden zu haben, der auch darin ganz meinen Weg geht, tapfer und mutig.

Oh Herzelein! Glücklich auch darum, mit Dir das Glück guter Liebe gefunden zu haben, die all unser Denken und Trachten jetzt sooo ganz einnimmt, die beinahe für nichts anderes mehr Raum läßt – Geliebte, die uns ganz an die Tiefe, Traute und Zweisamkeit der Herzen weist, und in dieser engsten Zweisamkeit uns aber die Geheimnisse der Welt in ihren größten Zusammenhängen erkennen läßt, die uns zu den kostbarsten Schätzen irdischen Lebens führt und den Blick hinwendet auf alles Treue, Beständige, Bleibende – auf die größte Wahrheit und das Licht des Heils in der Gottesbotschaft des Christentums unseren Blick richtet.

Ja, Geliebte! Darin liegt recht der Segen unsrer Liebe: Daß sie uns entschiedener als alles Andere an das Bleibende weist: an die Treue zu uns selbst und zueinander. Oh Herzelein! Über alles Unglück und Schicksal und Leid dieser Jahre schenkt sie uns die Hoffnung auf das Leben, und diese Hoffnung trägt uns über die Abgründe der Verzweiflung. Oh Geliebte! In allem Wechsel und Chaos, in aller Flüchtigkeit und Vergänglichkeit menschlichen Wirkens und Lebens strahlt es in unseren Herzen sieghaft golden von treuer Liebe. Abglanz der ewigen Gottesliebe – wird in uns der Wille lebendig zu Beständigkeit – Treue und bleibendem Wesen.

Großer Segen ist das.

Herzelein! Und dieser Liebe müssen wir jetzt folgen, sie gebietet über uns – und wir dürfen ihr gerne folgen, sie führt uns gut und recht – und wir glauben, daß sie dazu uns von Gott geschenkt wurde.

Oh Geliebte! Sie beherrscht mich doch ganz – sie hat in mir ein ganz neues Gefühl hervorgerufen: das des Besitzes, des Festhalten- und Behaltenwollens, des Eigentums – ganz neu ist dieses Gefühl in meinem Leben – Schätzelein – Du bist mein Besitz, mein Eigen, Dich muß ich so festhalten – oh Geliebte! sooo festhalten – sooo lieb, sooo innig, sooo mit allen Herz- und Lebensfasern – und nun, da die Trennung ist zwischen uns, da dieser Krieg über dieser Welt als ein raubendes Ungeheuer schnaubt, da sind alle Lebensgeister nur bei diesem Wollen: festhalten das Liebste, ach Du! das Einzige! Mein Alles, Du!!! – und dieses Wollen macht mich so, daß ich mir manchmal richtig engstirnig und engherzig vorkomme – ach Herzelein! Die Liebe macht blind – und doch kommt aus diesem Gefühl des Besitzes, des Eigentums, kommt aus dieser Liebe alle Kraft zum Leben, zu Glaube und Hoffnung. Ach Du! Wenn Du nicht mehr mein Eigen wärest, wenn ich nicht mehr lieben könnte – was wollte ich dann noch. Die Liebe läßt uns dieses Leben lieben – sie weist uns einen Platz an in dieser Welt, sie ist ein Halt in dem reißenden Lebensstrom – sie ist gesteigertes Leben, das uns die Erde lieben läßt und auch den Himmel suchen.

Oh Herzelein! Sie schenkt uns alle Kraft, durch diese trüben Jahre doch frohen, gläubigen Herzens zu schreiten – sie macht unser Herz ganz reich!

Oh Du! Meine Hanna! Daß ich Dich habe! Daß Du mir zur Seite gehst!!! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Kannst Du denn ahnen, was Du mir bist? Ach Du! Geliebte! In meinem Lebensschicksal ist Dein Lieben, unsre Liebe, das Bedeutendste und Einschneidendste – nun geh ich mit Dir! nicht mehr allein. Nun hab ich Dich! Bist Du mein Eigen? Mein Ureigen? Bist Du's, Geliebte – Geliebte!!!!! Oh ja, ja!!! Und darum bin ich sooo glücklich! Darum mag ich leben!!

Behüt Dich Gott! Er segne unsre Liebe!

Oh bleib mir!

Oh bleib mir!!! Herzelein – Herzelein — und Du bist nicht allein – hast einen Herzens buben – Deinen [Roland]! Den kann Dir niemand rauben – der hängt, der lebt mit Dir, in Dir – oh Du mit allen Herzfäserlein – mit allen Lebensgeistern – Dein! Ewig Dein!!!

Ist nur noch Platz zum Liebhaben, Schätzelein – 1000 liebe Küsse!!!

Dein glückliches Mannerli, Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946