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Briefkorpus

Freitag, den 26. Februar

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Herzallerliebstes Schätzelein! Geliebte mein! Meine liebe [Hilde]!

Die Stunde zwischen 8 und 10 Uhr nütze ich, um zu Dir zu kommen. ½ 9 Uhr ist es schon. Die Gefangenen haben mich aufgehalten – es werden immer mehr – ich verstehe das auch nicht. Freitag U.v.D.– da bleiben mir Sonnabend und Sonntag, das ist Dein.

Bist so lieb zu mir gekommen heute in Deinen Boten vom Sonntag und Montag. Ja, der liebe Montagbote ist auch schon bei mir. Ja – mein Schätzelein ist wieder um die Sonntagsmuße gekommen. Laß mich dazu gleich zuerst etwas sagen, denn es liegt mir obenauf.

Herzelein, Du lebst nicht gesund, Du lebst in der Hast. Das erkenne ich aus Deinen Berichten – das verrätst Du auch mit Deiner Bemerkung, daß Du keinen Abend fast 2 Stunden vor Mitternacht zum Schlafen kommst. Und was da nun neben der Hauswirtschaft an Geschäften ist: ich brauche es wohl nicht erst aufzuzählen – und das alles meine ich, wenn ich sage, daß Du in der Hast, daß Du nicht gesund lebst. Und wenn Du mir das selber zugestehen mußt, dann bleibt meiner Erachtens nur die Pflicht, Abhilfe zu schaffen – aber wie.

Herzelein! Daß die Frage der Abhilfe nicht leicht ist, zumal Du nicht allein regierst, sondern auch die Eltern ihr Recht beanspruchen, das weiß ich. Aber das darf uns nicht hindern, doch alles zu versuchen. Herzlieb! Das hat auch eine ganz erste Seite.

Wenn Du so Dein Leben einrichten willst wie jetzt, dann kannst Du unser Kindlein nicht recht versorgen. Ja dann! – wirst Du abwehren wollen – nun, so kannst Du dann nicht einfach alles ändern, ohne so über kurz oder lang.

Herzelein! Mein Alltag im Frieden war ja auch überreich besetzt, und meine Schularbeit macht ja auch nervös, die Nervosität, die ich bewußt an mir bekämpft habe – mit Erfolg. Ich konnte meine Arbeit nur tun unter straffester Organisation und bei solch pedantischem Leben, wie ich es führte. Die Schularbeit verläuft ja nun auch genau nach Plan. Aber auch die nebenschulische Arbeit und meine Freizeit waren gerechnet.

Ja, und das konnte ich leicht durchsetzen, weil ich eben ganz mein eigener Herr war.

Und ein wenig Plan mußt Du nun auch in Deinen Tag bringen, sonst kommst Du nicht aus, sonst erkennst Du auch nicht, wieviel Dir gegen Deinen Plan geht.

Ich glaube, daß sich ein wenig Abhilfe dadurch schaffen läßt.

Die 3 Stunden vom Sonnabend habe ich Dir ja schon vorgerechnet. Es darf eben auch nicht sein, daß das Mittagessen am Sonntag um 1 Stunde verschoben wird, das verdirbt den ganzen Sonntag. Da müssen eben auch die Eltern mal folgen. Ach, ich sehe, wie schwer das ist, bei Vaters unregelmäßigem Leben und Dienst – aber Du mußt doch auch sagen, daß wir es so nicht können gehen lassen.

Und wenn Du Deinen Plan Dir machst, dann kann es auch nicht geschehen, daß Ihr Euch leichterhand einfach aus Eurem Sonnabend und Sonntag bringen laßt wie neulich.

Herzelein! Ich denke auch ein klein wenig an mich dabei – wenn wir nicht zeitig genug auf Abhilfe sinnen, dann wird sie eines Tages mir noch möglich sein damit, daß ich sage, Du sollst mir weniger und weniger oft schreiben.

Ich glaube beinahe, soweit wäre es jetzt schon, wenn ich darauf bestünde, daß Du um 10 Uhr Dich schlafen legst, so, wie es für Dich gesund ist. Ist das nicht eigentlich schon weit schlimm? weit schlimm?

So darf das nicht weitergehen. Und ich sage noch einmal, daß Ihr auch in Euren Hauswesen, ein paar Abstriche machen müßt – Gänge zusammenlegen.

War es denn nötig, daß Du Dir die Elternunterschriften zusammenholst? Wer macht denn das heute noch? Wer kann das heute noch verlangen? Schätzelein! Ich will Dir auch noch einmal nahelegen, daß das Mannerli einen viel leichteren und regelmäßigeren Tag hat. Daß die Mädchen hier bei uns einen geradezu bevorzugten Tag leben, gemessen an dem Deinen. Ich war gerade heute Zeuge eines Gespräches. Die annähernd 12 Mädchen hier (nicht alle in unsrer Dienststelle), es werden ins Ganze etwa 16 werden, haben nun auch eine Heimleiterin bekommen und werden nächstens in ihr neues Heim einziehen. Sie hatten heute dafür eingekauft – Einrichtungsgegenstände – gar nicht schlecht!! Sie werden in der Woche auch Gelegenheit bekommen, ihre Besorgungen zu machen und den Friseur aufzusuchen. Ich sage nichts dagegen – ich bleibe auch dabei, daß als diese kleinen “ Annehmlichkeiten” den Verzicht auf das Elternhaus bei weitem nicht aufwiegen, niemals aufwiegen – ich berichte davon nur, daß Du erkennst, wie manche sich zu schönen Gelegenheit haben – während andere sich abplagen. Und so gegensätzlich muß es nicht hergehen. Herzlein! Äußere Dich einmal zu dem, was ich hier sage. Ich möchte Dir gerne raten und helfen – es muß ein wenig anders werden – ich möchte Dich ein wenig freier sehen. Du wirst mich gewiß verstehen.

Und ich mag nicht denken, daß Deine lieber Bote zwischen Tag und Nacht geschrieben ist, daß die Zeit dazu von Deinem Schlaf, von Deiner Gesundheit abgeht – dann kann ich mich nicht mehr recht über ihn freuen.

Schätzelein! Ich habe so oft von unsrer Freiheit geschrieben – und nun ist es schon so weit, daß wir darum kämpfen müssen.

Ach, wirst nun denken – so dankt er mir mein Liebgedenken? Du! Du!!! Herzelein! Ich sage all das, weil ich es sagen muß, weil ich mich dazu verpflichtet und verantwortlich fühle – und weil ich Dich liebhabe – und zuerst, weil ich Dich liebhabe.

Schätzelein! Laß uns ankämpfen gegen die Hast! Unser Tag kann angefüllt sein von Pflichten – und wenn wir sie erfüllen, dann wird uns das starker und reicher machen. Er kann aber auch angefüllt sein von Hast und unnötigem Betrieb, dann wird er uns schwächen und unzufrieden lassen. Ach Herzelein! Was habe ich nun da gestern abend wieder geschrieben! Oh Geliebte! Denk nicht, daß ich Zank und Unfrieden suche - ach Herzelein – den tiefsten Frieden unsres Einsseins ersehne ich, der wird sein in unserem Heim, in unserem Zusammenleben.

In meinem Dienst gab es wieder einen Zwischenfall gestern. Zwei junge Soldaten wurden von der Feldgendarmerie eingebracht, sie hatten sich in der Trunkenheit mit Rumänen geschlagen.

Herzelein – da leuchtete es mit einem Male wieder auf: ein Chaos ist die Welt – ein unüberschaubares Chaos ist sie zumal jetzt. Und die einzige Ordnung in diesem Chaos ist die Gewalt, das pflügende Schwert – sonst keine Ordnung – und wehe, wehe, wenn dieses Schwert erst stumpf wird! – Herzelein, dann stehen wir in einer Hölle, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, dann ist eine Sprachverwirrung ohnegleichen – dann hört keiner den andren, dann ist die einzige Regung noch die Gewalt des Hasses.

Die großen Ordnungsmächte völkischer Einheit oder des Christentums sind entthront, sind viel zu schwach – und die neue Ordnungsmacht der gleichen Art, der Klasse soll erst durchgesetzt werden. Viel stärker als die Macht dieser Idee sind der Haß gegen uns, der Grimm und Schmerz über Verlorenes, über das gegenwärtige Erdulden.

Oh Herzelein! Und Chaos bricht ein auch in das persönliche Leben heute durch die Not, durch die Schläge der Schicksals, durch die Schwachheit der Menschen. Und dem gilt es sich zu erwehren mit allen Anstrengungen.

Oh Herzelein! Geliebte mein! Du! Du!!! Ich habe Dich unendlich lieb! Immer und ewig!

Dir lebe ich! Mein Leben ist Dein Leben! Deine Freude, Dein Leid sind die meinen! Bist mein Liebstes! Mein All und Einziges Oh Du! Mit Deinem Herzen schlägt das meine bis in den Tod. Ich will Dir helfen!

Ich vertraue mit Dir und glaube fest, daß Gott uns gnädig zusammenführt. Ich bin sooo ganz Dein! Behüt Dich Gott! Bleib mir froh und gesund!

Ich küsse Dich ganz lieb! Und halte Dich so fest, sooo fest!

Dein [Roland]!

Bald komm ich wieder zu Dir – ganz lieb – ganz lieb! Oh Du weißt es, wie gut ich es mit Dir meine: Du! – Du!!! Mein liebstes, einziges Weib! Dich mußt ich sooooooooooooo liebhaben? Du!!! Du!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946