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[OBF-430404-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 4. April 1943

Geliebtes, teures Herze! Meine [Hilde]! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Bald ist der Sonntag um mit seinem Programm. Bin schon beim letzten Punkt: Gruß an die Herzallerliebste. Warum es der letzte Punkt im Programm ist? Herzelein! zur Krönung des Tages – Du weißt es, Herzensschätzelein! Ja – und zeitig soll es ins Bettlein gehen, damit das Mannerli schön munter in die neue Woche schaut – oh Herzelein, in die Woche, von der wir soviel Freude erwarten. Ja, Herzelein! Dein Mannerli ist noch immer in Erwartung mit Dir! Ach Du – ganz zuversichtlich doch! Was hilft es noch, wenn ich jetzt lang bettle – Ungewißheit bis zuletzt bleibt so und so – Gewißheit ist erst, wenn ich ganz bei Dir bin, Geliebte! Ich glaube, daß ein ernstliches Hindernis augenblicklich nicht im Wege liegt, keines, daß ich nicht entschlossen beseitigen könnte. Ach Du! Du!!! Ich vertraue mit Dir! Oh Geliebte! Und mein Freuen, mein Jubeln, es ist bereit, es ist bereit – es wartet mit mir – ach Du! bei Dir! bei Dir wird es erst aufbrechen, erlöst vom Banne des Wachens und Wartens und Geduldens! Oh Geliebte! Soviel Freude und Jubel! Gott helfe uns! Nun laß Dir erst einmal von meinem Tag erzählen. Mannerli war doch U.v.D.. Gestern habe ich die Nachmittagstunden genützt, um Taschentücher und Strümpfe zu waschen, Waschfest mit Euch Lieben dahein. Und dann war doch keine rechte Ruhe mehr. Habe mir zum Abendbrot Makkaroni und Kartoffeln gebacken. Und dann begann der Urlauberbetrieb, die Gefangenen zwischendrein, blieb mir eben ein kurzes Stündchen des Deingedenkens. Nachts um 2 Uhr wurde ich aus dem Bett geholt. Ein betrunkener Soldat (Feldwebel) wollte durchaus hinaus. Na, ich erzähle Dir mal. So wurde der kurze Schlaf noch geteilt. Habe auch lieb von meinem Schätzelein geträumt, wie so manchmal von einer Stunde zwischen Windersehen und Abschied – Herzelein! Von diesen kostbarsten Stunden. 3/4 7 Uhr bin ich aufgestanden. ½ 8 Uhr ist Wecken. War das Mannerli schon fein sauber und munter, der munterste Bub in der ganzen Kaserne, wie so nicht alle Tage. ½ 8 Uhr ist doch jetzt die liebe Sonne schon auf den Beinen. Um 9 Uhr saß ich schon beim Dienst im Stabsgebäude. Morgen muß ich einen neuen Befehl herausbringen, habe ich schon ein wenig vorgearbeitet. Du! Du!!! Hat doch nun alles Eile! Wenn der Heinrich etwa morgen schon kommt und Dienstag meinen Dienst übernimmt – huh, da will noch mancherlei getan sein.

Um 11 Uhr wieder zurück zur Kompanie – der Dienst geht ja bis 1 Uhr mittags. Tag der Wehrmacht heute. Wenn Du jetzt nur eben mal bei mir im Zimmer sein könntest – wie das umgeht über mir! Ein Poltern, Balgen, Quieken – nein, weißt Du. Die Luftwaffe hat richtig ein größeres öffentliches Programm, das schon seit Tagen in den Zeitungen abgedruckt wird. Bei uns wurde nichts geplant. Heute zu mittag hieß es plötzlich, daß auch Bekannte, Volksdeutsche zum Mittagessen eingeladen werden könnten. Das ist gewiß so die Praxis aus den Vorjahren. Etwa 3 fremde Gesichter sah ich zum Essen. Aber als ich vorhin vom Spaziergang heim kam, da tönte ein ganzer Schwall weiblicher Stimmen aus der Kantine herüber – ja, sagte einer vorhin, zum Tage der Wehrmacht sind wenigstens mal Weiber in der Kaserne. Nun, Herzelein, ich muß eben an die Weihnachtsfeier denken – und wundere mich nun nicht über den Tag der Wehrmacht. Ich habe damit nichts, rein nichts zu tun. Nach dem Mittagessen – Kartoffelsuppe und Pudding, – war ich endlich frei und konnte mein eigenes Programm abwickeln und das war ganz unsonntäglich reich besetzt – mit lauter Rüsten, Herzelein! Erst mal – eingefeuert. Es ist heute frisch bei uns, Regenschauer mit dunklen Wolken ziehen am Himmel, wie der April sie bringt. Und dann die Wohnung zur Übergabe an Heinrich sauber gemacht: Fenster geputzt, die beiden Kämmerchen gewischt, Waschbecken und Brille wieder mal gesäubert – will mich nicht lumpen lassen. Und dann zwei Paar Hosen gebügelt – die zum Ausgehen und die — zum Reisen, Herzelein! Damit war ich gegen 4 Uhr am Ende. Und nun zog es mich erst mal an die frische Luft. Oh, daheim wird sie noch frischer, würziger sein! Wie freu ich mich darauf! Auf die Luft schon – Schätzelein – wie dann erst auf Dich!!! Stadtwärts bin ich gegangen! Ein letztes Inspizieren und Kundschaften, Herzelein, immer mit dem Gedanken: ob Du dann am nächsten Sonntag Deine Schritte durch heimatliche Gefilde tun kannst – ob Du denn am Sonntag an der Seite eines geliebten Menschen gehen kannst, wie so viele hier – oh, viel, viel glücklicher noch als all diese hier – mit meinem liebsten Herzensschätzelein?!!!

Was ist das für eine Welt, auch dies betrachtet. Der Mensch binnen wenigen Stunden verpflanzt auf einen anderen Boden, in eine andere Welt! Ach nein, nicht gepflanzt, nur eben versetzt, verrückt. Ja, Geliebte! Wahrhaft eine verrückte Welt – oh Herzelein, eine Welt gar nicht nach unserem treuen, steten Sinn. Dein [Roland] läßt sich so leicht nicht verpflanzen, er läßt sich überhaupt nicht verpflanzen, weil er zu tief und fest in der Heimat wurzelt, und weil er sich festhält an diesen "starken Wurzeln seiner Kraft". Und Du, geliebtes Weib, hilfst mir dabei – Du hilfst mir die Heimat halten, oh Geliebte, die durch Dich und mit Dir noch viel fester und tiefer gegründet wurde. Oh Geliebte! Wenn meine Augen glücklich der Heimat Breiten und Weiten umschließen, es ist ein Liebumfangen, mit allen Sinnen auch – aber dies Glück der Weite, des Einklanges mit der großen Heimat, es drängt sehnend nach seinem Gegenpol, dem Glück der innigsten Traute, zum Brennpunkt der Herzensliebe, zum Einklang mit einem Menschenherzen – oh Herzelein, drängt zum eigenen Nest, zum Teilhaben an der geliebten Heimat! Oh, ich glaube, Du kannst all das mit mir empfinden, Du liebst die weite Heimat so wie ich, und bist so erfüllt von dem Sehnen, in dieser Heimat zu wurzeln und mit mir unser Glück zu gründen – Geliebte! Geliebte!!! Herzelein! Dein [Roland] läßt sich nicht verrücken von der verrückten Welt – oh Du! ich wollte mich wehren mit der letzten Kraft, die Heimat, das Herzensglück zu halten! Weil ich um die Kräfte der Heimat weiß.

Herzelein! Viele, denen das Urlaubfahren nun schon beinahe nur ein Verrücken ist – sie sind hier und da zu Hause – sie haben sich auch in der Fremde häuslich eingerichtet – Deinem Mannerli aber bedeutet es ein wahres, tiefes, glückhaftes Heimkehren! oh Geliebte!!! zu den Wurzeln aller Kraft, zu den Banden, den heiligen Banden aller Liebe, zu den Gründen seines Wesens. Heimat – Heimat – Geliebte! Schoß der Mutter, Elternhaus, Räume ersten Erlebens, Werdens und Wachsens, eigenen Schaffens – und Herz der Geliebten ! Meiner [Hilde]! Meiner lieben [Hilde]! und wieder ein heiliger Schoß! Oh Du! Du!!! Geliebte! Du bist meine Heimat! Heimat, der ich lebe – oh Herrgott im Himmel, laß Du mich ihr noch lange leben! – Heimat der ich gehöre bis zum letzten Atemzuge – Ich liebe Dich. Ich halte Dich fest in treuer Liebe! Oh, ich umfange Dich tiefglücklichen Herzens – mein Glück, Reichtum, Herzensschatz, mein Alles, Du!!! Dein! Dein, ewig Dein!!! – Mein, mein, mein – Du!!! Gott wird uns erkennen – er wird uns helfen zu letztem, tiefem Beheimatetsein.

In dem lieben, so lieben Dienstagboten, der heute zu mir gekommen ist, erzählst mir von den vielen Obdachlosen. Wohin man blickt: überall verpflanzte Menschen – Elend, bitteres Elend – was ist das für eine Zeit, was für eine Heimsuchung! Ich werde es mit eigenen Augen sehen, wie sich daheim vieles geändert hat – geändert, nicht im Zeichen des Siegens!, sondern schweren Ringens und Kämpfens. Wenn man das recht bedenkt: Lange kann das so nicht weitergehen, irgendwie muß hier Licht werden. Aber diese Not kann uns das Liebste nicht entreißen: Solange wir noch leben und ein Herzschlag in uns ist, bleiben wir der Heimat treu, halten wir uns an das Bleibende. Herzlieb! Das wichtigste Ereignis und Geschehnis während der lesten Zeitspanne war doch, daß Du Deine Stellung daheim gehalten und gefestigt hast. Ach Du! Du!!! Wie bin ich soo froh darum! Wie bin ich Dir sooo dankbar! Daß ich nun wieder so ganz gerade auf das Ziel der Heimat zusteuern kann! Daß ich Dich daheim weiß! Daß Du mein wartest! Oh Herzelein! Daß zur Ungewißheit meines Urlaubs nicht noch die Deine kommt! Und wir könnten uns doch das Liebste gar nicht wünschen und schenken – oh Du! Du!!! Du!!!!

Oh, daß doch all diese Not, diese Heimatlosigkeit, dieses allenthalben aus Ordnung und Bahn geratene Leben ein Ende nähme! Es ist doch wahrhaftig ein Höllenwirbel, ein Höllentanz mit dem Pesthauch des Unterganges und Verderbens! Oh fahre Gott darein mit seinem Erbarmen! Bereite er die Menschenherzen zum Frieden! Behüte er Dich immer vor allem Übel und Herzeleid!! Oh Geliebte! Laß uns wachsam sein! Sei Du zumal wachsam daheim! Ich glaube, es ist daheim nicht weniger Gefahr als hier draußen.

Oh Gott, wohin sind wir geraten! Ein Leben langt nicht, um all das wieder gutzumachen ! Ach Herzelein! Was soll ich zu Deinem lieben Boten sagen? Du! Du!!! Will's Gott, kann ich Dir ganz selber die Antwort bringen – ganz bald! Du!!! Oh Du! Darum darf ich gar nicht zu sehr denken – Du! Du!!!

Ich schaue Deine große Sehnsucht – Deine tiefe Herzensfreude – Deine treue Liebe! “Ach, daß ich Dir bald, bald selber wieder einmal sagen und zeigen könnte, wie treu ich Dir bin und wie ich Dich sooo liebe!” Oh Herzelein! Das ist doch unser beider Sehnen, unsere Ungeduld, unsres Herzens heißes Verlangen! Einander ganz gehören! Einander ganz leben! Einander ganz vermählen! Zueinander bekennen! Oh helfe uns Gott! Schenke er uns ein Kindlein, daß dieses Sehnen sich erfülle zu einem Teil!

Herzelein! Nun ist die Zeit, die ich mir gesetzt habe. Will mich nun niederlegen – damit ich fein ausschlafe – für Dich! Ach Geliebte! Alles für Dich! Für Dich!!! Bist doch meines Lebens Mittelpunkt! Auch daheim ist es ja so spät. Und mein Herzlieb wird nicht lang mehr warten. Wird auch müde sein von der großen Wäsche.

Behüt Dich Gott!

Grüße doch auch die lieben Eltern. Ich werde kaum noch einmal zum Schreiben kommen! Ach Du! Frag und bitte für mich, daß sie mich auch aufnehmen und einlassen! Ich freue mich doch auf die lieben Elternhäuser!

Am allerallermeisten aber doch auf meine liebe [Hilde]! Oh Du! Du!!! Herzelein! Mein liebe Frau! Geliebtes Weib! Mein Reichtum! Meine Welt! Ich küsse Dich – herzinnig – und bleibe

in ewiger Liebe und Treue

Dein glücklicher [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946