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[OBF-400313-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 13. März 1940.
Am Montag.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Der erste Tag ist zu Ende gegangen.  Regnerisch und grau hub er an am Morgen, änderte sich auch nicht bis zur Stunde.  Meine Arbeit heute war öde und langweilig — und doch . . . . .

Du!  Mein Liebster, Du!  Ich spüre ja alles Trübe um mich her kaum, wenn ich an Dich denke!  Die Sonne unseres Glückes überstrahlt alles, alles.  Du hast mich wieder so sehr glücklich gemacht mit Deinem Besuch, so reich an innerer Freude bin ich, ach, so froh, Du!  Was schadete das lange Warten, voll Ungeduld vorher?  Es lehrte uns doch nur die Stunden, die wir uns gehören dürfen erst recht schätzen.

Du!  Ich ward unserer Liebe wieder so froh und dankbar bewuβt.  Ach, Liebster!  wir wollen recht dankbar sein.

Wie unbekümmert dürfen wir das Glück  unsrer Liebe erleben, während andere ihr Liebstes fern der Heimat in drohender Gefahr wissen.  Zu dieser Erkenntnis brachte mich ein kleines Geschehnis am Sonntagabend, kurz nach Deiner Abreise.

Wir kamen zur Autobushaltestelle, dicht neben uns stand ein Paar — ein Flieger und ein junges Mädel.  Er reiste zurück zu seiner Staffel.  Die Türen des Autos schlugen zu, sie und ich standen noch, bis es anfuhr.  Ich konnte Dich nicht sehen.  Sie hob den Arm — der Bus fuhr vorüber — und wie ein hilfloses Kind lieβ sie ihren Arm sinken, ging an mir vorüber der Stadt zu.  Ich hörte, daβ sie weinte.  Sie war mir fremd und doch hatte ich Mitleid mit ihr.

Ich war in dieser Stunde so dankbar, daβ ich Dich auf einen sicheren Hafen zusteuern sah.

Ich muβ mich mit der Tatsache vertraut machen, daβ auch Du eines Tages im Dienste des Vaterlandes stehen muβt — wohl jedes Mädchen bangt davor.  Aber Liebster, dieses Los trifft ja nicht mich allein.  Ich wollte ganz tapfer sein, damit Du Dir nicht das Herz schwer machen müβtest um mich.  Ich werde es auch sein können, weil ich fest daran glaube, wir stehen alle in Gottes Ha[n]d, immer, wo wir uns auch befinden.  Es wäre töricht,  zu glauben, nur im Kampfe, drauβen im Felde könnte Dir etwas zustoβen — kann uns der Tod und das Unglück nicht auch am geborgensten Orte erreichen?  Gottes Wille wird an jedem Orte, zu jeder Stunde an uns offenbar, und wie er will, müssen wir tun, und wir erkennen, daβ alles einen Sinn hat,  daβ es zuletzt nur zum Guten geschah.  Liebster!  Wir dürfen unser Leben, auch unser gemeinsames Leben vertrauensvoll und gläubig in seine Hande [sic] legen, er führt uns den rechten Weg.  Freude und Dankbarkeit bewegt uns, blicken wir zurück auf das Vergangene — unser geheimstes Hoffen und Wünschen ward Erfüllung.  Und dieses wunderbare Gefühl der Geborgenheit, das uns doch immer wieder umfängt, wenn wir seine Liebe und Güte erkennen, läβt mich darum unsrer groβen innigen Liebe zueinander so recht froh bewuβt werden.

Ich glaube, daβ uns Gott nicht umsonst zusammengeführt hat, daβ unser gemeinsames Leben einen Sinn erhalten soll — und so wird er auch immer mit uns sein, damit wir miteinander an diesem Leben bauen können, ihm zur Freude und zur Ehre.

Liebster!  Mein Liebster!  Und läge die ganze Welt zwischen Dir und mir, ich wollte Dich lieben, solange Leben in mir ist.  Ich lasse nie mehr von Dir, mag kommen, was will.

Ich bin Dein!  Du!  So jubelt und klingt es in mir.  Und wie Du mich liebst, Du!  Ich habe es dich so sehr gefühlt, als Du bei mir warst.  Ich bin so glücklich!  Ich hab Dich so sehr lieb!  Das ist es, was ich Dir heute unzählige Male sagen könnte.  Gute Nacht Liebster!  Behüt Dich Gott!

Denke auch Du an Deine [Hilde].

A[m] Mittwoch.

Herzallerliebster!  Heute ist Dein Tag.  Wirst auch mal meiner gedacht haben, trotz der vielen Arbeit?  Dein Brief soll heute fertig werden, es ist der letzte freie Tag für mich, zu lang darf ich Dich doch auch nicht warten lassen!!  Gestern erhielten wir Deine liebe Karte, wir danken Dir schön!  Ich möchte nicht wissen, wie rot Herr P. geworden ist, als er sie bei uns ablieferte.  Bist ein verflixter Schlingel, Du!  Er wird Dich nun in's Herz geschlossen haben.  Sag, wann bist Du denn umgezogen?  Warst ja über's Wochenende bei mir, hat Frau S. Dich umlogiert? ‚Schmilka, (Elbgebirge) 18ɪɪ!!‘  Guten Morgen, [m]ein Träumer, jetzt bist Du ein Schäfel!  So lautet Dein Absender.  

Hast Du Deine 100 Kohlen im Keller?  Merke auf:  Wir bekamen 3 Zentner!  Vorhin habe ich sie mit Mutter in den Keller gebracht, nun können wir im Waschhaus Feuer machen.  Dir kann ich's ja sagen, sehr gerne denke ich nicht an die viele Wäsche.  Wenn wir sie nur hintereinander weg trocknen könnten, damit wir keine Woche zubringen.  Es heiβt im Volksmunde: ‚Hat die Hausfrau schön Wetter zur Wäsche, so hat sie einen treuen Mann!‘  Also, ich appeliere [sic] auch an Dich, Du Mann!

Am Montag habe ich von einem Soldaten aus dem Westen einen lieben Brief bekommen. Soll ich Dir sagen, wie er heiβt?  So siehst Du aus!

Kreuzworträtselsystem:  Heldengestalt aus einer deutschen Sage.  Bist Du klug und weise, wirst Du ihn erkennen!

Ach ja, 6 Sinne vereinen sich grundsätzlich in einem gesunden Menschenhirn.  Ob ich dann gar krank bin?  Ich hab sie nämlich niemals beisammen für meine Arbeit; wie gut, daβ meine Arbeit momentan sinnlos ist:  Männerhemden mit einem doppelten Brustlatz.  Meine Sinne gehen auf Reisen, kreuz und quer durch's Sachsenland, sogar in Böhmen waren sie.  Gestern und heute ist so ein herrlicher blauer Himmel, aber tüchtiger Frühlingssturm gewesen, aller Schnee ist verbrannt von der Sonne.  Ich kann kaum noch stille sitzen wenn nur erst Ostern wäre.  Sag nur, was tust Du denn, um die Geduld zu bewahren?  Ich habe meinen Chef noch nicht um Urlaub gebeten, er hatte noch keine Gönnerlaune diese Woche.  Morgen abend in acht Tagen!  Will's Gott, soll ich schon nach Chemnitz fahren dürfen?  Ich darf noch nicht so fest daran denken, sonst kann ich vor Aufregung schon heute nicht mehr schlafen.  Ach, ich bin ganz auβer Rand und Band vor Freude, wenn ich nur jemanden hätte, an dem ich meinen Übermut nach Herzenslust auslassen könnte.  Du!  Wärest Du bei mir, es würde Dir übel ergehen!  Aber weiβt, so sehr drücken lasse [ic]h mich nicht wieder von Dir, mir tun heute noch meine Rippen weh, als hätte ich blaue Flecken!

Ob auf dem Hutberg schon der Frühling ist zu Ostern?  Wir wollen nachsehen, Du!  Ob unser Bäumchen schon ein wenig grün ist?  Lauter kunterbunte Gedanken springen mir durch den Kopf, ich kann ihnen auch nicht wehren.  Verzeih mir!  Ich weiβ, Du wirst mich verstehen.  Bitte sei gnädig, wenn Du Zensuren schreibst.  Sie sollen doch alle auch froh sein, die anderen.  Mein Herzallerliebster, Du!  Meine Gedanken werden bei Dir sein, alle Tage.  Halte Dich gut, daβ ich Dich gesund und froh umfangen kann.  Ich freue mich auf alles was nun kommt, am meisten auf Dich, mein Lieb!  Behüt Dich Gott!  Ich liebe Dich, Du!  Von ganzem Herzen!  Es küβt Dich

Deine [Hilde].

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Kommentare

Zu Beginn erzählt Hilde von dem Wetter und ihrem Arbeitstag, was für mich ein typischer Einstieg in einen Brief ist. Ich denke ich würde genauso beginnen. Was mir allerdings aufgefallen ist, (deutlich geworden natürlich erst nach dem Lesen des ganzen Briefes) dass der Briefbeginn wirklich einen sehr kleinen Teil des eigentlichen Inhalts einnimmt. Mir kommt es so vor als ob Hilde nur kurz sagen will, dass alles ok wäre, um dann sofort auf die Beziehung zu Roland einzugehen. In dem Brief geht deutlich hervor, dass Hilde sehr verliebt ist. Sie schreibt unzählige Male wie sehr sie ihn liebt und wie schön die gemeinsame Zeit während des letzten Besuches von Roland war. Außerdem redet sie davon, welches Glück sie hätten, dass sie ihre Liebe so unbekümmert genießen dürfen, während andere Paare zu dieser Zeit getrennt sind durch den Krieg, oder sogar endgültig durch den Tod des Mannes im Kampf.
Allerdings kommt es mir so vor, als ob die jüngere Hilde ein wenig naiv ist und die typische „Rosarote-Brille“ auf hat. Ich finde das kann man daran erkennen, dass Hilde oft „Du“, und „nur du“ schreibt, als ob sie ihm so oft wie möglich sagen müsse, dass er zu ihr gehört.
Hilde schreibt zudem noch über ein Erlebnis am Busbahnhof. Als sie ein anderes Paar bei der Verabschiedung beobachtete. Allerdings weißt dieses Paar einen gravierenden Unterschied zu Roland und Hilde auf. Der Mann ist Pilot bei der Luftwaffe und hatte wohlmöglich Heimaturlaub. Nun muss er zurück zu seiner Staffel, was natürlich seinen Tod bedeuten könnte. Somit wäre dies, die letzte Begegnung der Liebenden gewesen. Ich denke Hilde konnte dieses Gefühl spüren, sie konnte sich richtig in die andere Frau hineinversetzen und sich vorstellen wie es wäre, wenn ihr Roland an die Front müsste. Man merkt deutlich, dass sie sich mit dem Tod beschäftigt, da sie davon spricht es „seit töricht zu denken, nur im Krieg könne ihm etwas zustoßen.“
Außerdem beschreibt Hilde auch ihr Vertrauen zu Gott, dem sie ihrer Meinung nach zusammengeführt hat und sie ihr beider Leben, in seine Hände legen sollten. Ich denke gerade diese Zeit, ist eine sehr schwierige für das Paar, weil beide wissen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Roland eingezogen wird.

Einordnung
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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946