Sonntag, den 17. Januar 1943
Herzallerliebstes Schätzelein! Geliebtes, teures Herze! Du!!!
Nun bist Du aber an der Reihe. Habe doch eben den Eltern beiden einen Bogen geschrieben. Und nun kommt das Liebste an die Reihe – auf das ich schon ganz ungeduldig warte. Ach Du! Muß es doch immer wieder geschrieben sein! Es ist die einzige Möglichkeit, daß wir einander kundtun sichtbar – und darum schreiben wir doch auch gern, wenn es uns auch manchmal so papiernen [sic] dünkt. Ach Du! Du!!!
Geliebte mein! Du weißt, daß hinter diesem Boten Dein [Roland] steht – daß er ebenso zu Dir käme, schneller, lieber noch – daß hinter diesen Zeichen und Worten ein treu liebend Herze schlägt – ach Herzelein, eine Liebe, die sich in solchen Zeichen und Worten gar nicht künden kann – oh Geliebte mein! Ich liebe Dich! Ich bin ganz Dein! Dir gehört mein ganzes Herz, mein Leben – bis in den Tod.
Oh Geliebte! Dir allein schlägt es, Dir lebe ich – auch hier in der Fremde. Oh Herzelein, lebe, als ob Du selber mir liebend immer zur Seite gingest – und Du gehst doch auch immer mit mir, lebst mit mir, ach, erfüllst mein Leben ganz – zu meinem großen Glück, zu Freude – und heißer Sehnsucht zu manchen Stunden – Du!!!
Ach Geliebte, Du! Ganz glücklich möchte ich es Dir sagen: Mit keinem Gedanken werd ich Dir untreu – mit keinem Atem laß ich Dich aus meinem Herzen – ach Du! Du!!! Ganz fest halt ich Dich! Ganz lieb halt ich mich an Dich! Unsre Liebe wirkt und lebt in mir! Und sie läßt nicht nach – oh Herzelein! Sie wird nur inniger und erfüllt mich mit immer größerer Freude – Du! Du!!! Oh Herzelein! Du weißt es und weißt darum: Sie weiß manchmal gar nicht aus noch ein – aber verlieren und verirren kann sie sich nimmermehr – und wenn sie Schmerzen bereitet – alle Liebe will nur zu Dir – Du! Du!!! Sie geht keinen anderen Weg – und wenn sie den einen nicht mehr hätte, dann stürbe [sic] sie – oh Du! Du! Geliebte mein: alle Liebe will zu Dir – alle Liebe gehört Dir – Du – ich bin ganz Dein — bin – ganz – Dein: Du! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Nun sitze ich wieder im warmen Stübel. Bin vorhin durch den Winter gestapft – mit Dir! Fein wars! Bin heute noch ein bissel weiter hinausgegangen – die große Stadt ganz hinter mir lassend – der Straße folgend, denn die anderen Wege waren ungebahnt – einsam ging ich nicht, sondern begangene und befahrene Straße, und zurückzu [sic] eine etwas ungebahnte Nebenstraße stipp– stapp – stipp – stapp – [sic] hätt doch mein Schätzeli fein mitgestapft – und ich denk: hätt sich fein eingehenkelt beim Mannerli, und wir hätten uns fein festgehalten, ganz leibhaftig wie sonst immer in unsrer Liebe – und mit meinem Schätzeli hätt ich doch auch ein paarmal verschnauft, um das Nasel auszuschneuzen – und, um mir seine roten Bäckelein [sic] zu beschauen — und – um mir ein Küßchen zu stehlen – und – jetzt weiß ich doch nicht weiter – wird wohl ein, und zu viel sein – Du! Du!!!!! Geliebte!!! Still war es draußen, etwa 3 Grad Kälte. Das Mannerli war fein zugepackt, und es machte richtige Freude draußen. Schwarz hing der Himmel, winterlich, nach Sonnenunter- gang brach sich die Abendröte bahn. Schlitten klingelten durch die Stille. Zwei begegneten mir mit verliebten Paaren – und einer, auf dem saß eine Fuhre Mädels: die Damen von unsrer Dienststelle – auf dem Bock beim Kutscher saß der Kavalier, ein Soldat aus der Offiziersmesse.
Dämmerig war es, als ich heimkam und ich sah ganz erstaunt die Uhrzeit: knapp 6 Uhr – der Tag hat schon zugenommen.
Daheim hoffte ich auf mein Schätzelein – aber es blieb heute aus – hab ich mich an die Schokoladensuppe gehalten, die ich mir von Mittag auf den Rand gebracht habe – sieh nur, wie das Mannerli sich tröstet - ach Du! Du!!! mußt es gleich bestrafen für diesen Unsinn – mußt ihm gleich das Mündlein stopfen – besser noch, gleich es einsperren – aber erst es haben gelt?
Ach Schätzelein! Herzelein! Geliebte! Du siehst: ich bin trotzdem ganz froh und glücklich, weil ich weiß, daß Du mich nieundmehr [sic] vergißt, daß Deine Liebe keinen Augen blick ruht und – mich losläßt, daß Du ganz mein bist, ganz mein: Du! Du!!! Geliebte mein!!!!! Letztes Vertrauen und unendliche Liebe ist zwischen uns! Gott segne und erhalte sie uns!
Oh Du! Alles Freuen und Frohsein kommt doch von Dir – und wenn ein Erlebnis hier mich frohmacht, dann doch auch nur, weil Du in meinem Herzen drin Dich mitfreust, weil ich Dir dann die Freude teilen kann. Darfst ganz eifersüchtig sein – darfst von Deinem Mannerli alles fordern – es gehört Dir, ehe Du es forderst – alle Freude, alle Liebe, mein ganzes Herz und Leben!
Und keine Freude, keine Liebe, kein Herz und Leben hat Wohnung in meinem Herzen als die Deinen. Du! Du!!! Geliebte mein! Ein wenig länger als mein Schätzelein tapselt das Mannerli nun schon über diese Erde – ein wenig länger schon schaut es dem Treiben der Menschen zu – zwar willens immer die Welt und die Menschen für gut zu nehmen – aber ganz inne des reichen, seltenen Glückes unsrer Liebe!
Du! Einziges, geliebtes Weib! Meine [Hilde]! Halt Du zu mir! Ich lasse Dich nicht – ich glaube, daß uns ein großes Glück gehört! Ach Du! Rechter Sonntag ist heute in mir. Der Gottesdienst – und darnach [sic] der zweite Teil des sonntäglichen Sinfoniekonzertes im Radio. Dazwischen freilich Goebbelssche Gedankengänge – ich mag sie nicht – sie sind Propaganda – Marktschreierei – vielleicht muß das auch sein – ich brauch sie nicht, ich mag sie nicht.
Unser Leben ist nicht nur in großem Wollen, es ist auch gebunden an kleine Eigenheiten – es gibt nicht nur einen Freiheitsbegriff des Volkes, sondern auch der Einzelmenschen. Wie ein Volk seine Freiheit verteidigt so auch der einzelne seine Freiheit und sein Recht. Genug davon.
Herzelein! Jetzt will ich noch ein bissel etwas lesen. Ach Du! Denk nicht, daß ich nicht länger bei Dir sein möchte – Du! Du!!! Ich hab doch sooo große Sehnsucht nach Dir heute – oh Du! Du!!!!! Die will ich ein wenig darüber vergessen, wenn ich kann – Du! Oh Du! Geliebte! Gott wird uns den Tag schenken, daß unsre Sehnsucht nicht mehr umsonst fragt und sucht – da sie gar nicht schmerzen wird. Herzelein! Du! Ich liebe Dich sooo sehr! Gut Nacht! Träum süß! Ich will in Deinen Traum kommen – Du! Du!!! Behüt Dich Gott! Mein Liebstes! Mein Alles! Meine liebe liebste [Hilde]! Mein Weib, Du! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Mein!!!
Herzelein! Nun geht es wieder in eine neue Woche. Immer mehr lustwärts [sic] – und so hoffen wir: immer näher auch unserem Wiedersehen. Bald ist der lange Januar zurande – der Februar bringt schon erste Vorfrühlingsahnung. Ach, schön sind diese Tage. Ich besinne mich noch auf liebe Mittagspaziergänge aus der Zeit, da ich meine Abschlußprüfung machte, das war im Februar 1928.
Staunst über mein Gedächtnis?
Ist nichts zu staunen. Oh Du! was im Herzen haftet, was ins Herze eingegangen ist, das vergeß ich doch nimmer – und das vergesse ich nicht nur nicht, sondern das ist in mein Eigen übergegangen, das hat mich irgendwie geformt und geprägt. Angefangen von den ersten Jugenderlebnissen,in meine Kindheitserlebnissen – und das ist eigenartig bei mir, daß sich mir genau die Örtlichkeit, die Landschaft des Geschehens einprägt, ganz deutlich.
Ach Herzelein! Weißt Du denn auch, was am tiefsten nun in meine Herze geprägt ist, welche Erlebnisse – und so viele an Zahl sind es und sooo reich an Empfindung – den ganzen [Roland] umgeformt haben? — Du! — Du!!! – Deine Liebe! Deine Liebe! Unsere Liebe nun, Herzelein! Oh Du! Du!!! Eine Fülle des Erlebens ist es doch, die wir gar nicht übersehen können, weil wir doch mittendrin stehen – weil immer neue Erlebnisse dazukommen – und kein Erleben überhaupt mehr ohne Dich nun – keines – auslöschen, vergessen das jemals? Dann müßte man mir ja das Herze ausreißen. Oh Du! Du!!!
Herzelein! Ich gehöre Dir doch so ganz!
Du! Was uns der Herrgott wohl noch miteinander erleben läßt?
Ach Du! Wir denken doch zuerst nur an Freuder [sic]! Oh Geliebte mein! Zwei Menschen, die einander so liebhaben, können wohl nur Freude aneinander und miteinander zu haben. Und darauf zu warten, getreulich auszu. harren — ach Du! Was sollten wir anders, was könnten wir anders, als in Liebe und Treue einander harren – ganz froh und glücklich! Auch noch glücklich in schmerzender Sehnsucht!
Oh Du, mein Liebstes, mein Alles! Meine [Hilde]! Ich halte Dich ganz lieb und fest umschlungen – mein Eigen – mein Ureigen! Ich bin sooo glücklich und hab Dich sooo lieb!
Behüt Dich Gott! Er segne alle Deine Wege!
Und auf allen geleite ich Dich! Bin Dir doch immer ganz nah mit meiner Liebe und Sehnsucht. Dir bin ich doch am allernächsten! So nah wie Dir kann ich keinem Menschenkinde je kommen auf der ganzen Welt, wie Dir im Herzen und im Liebumfangen – Du! Du!!! Sooo lieb nahe – Geliebte mein!!!
Mit einem ganz lieben Küßchen
ewig Dein [Roland],
Dein glückliches Mannerli!
Bist nicht zufrieden mit einem Küßchen? Mannerli ist doch jetzt im Dienst – aber wenn er heim kommt, dann — Du! Du!!!
für die lieben Eltern liegt ein Bogen bei.
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Nicole Andert
Endlich kommt Roland dazu, Hilde auf ihre Boten zu antworten, nachdem er den Eltern schon einen Bogen schrieb. Er berichtet von seinem Spaziergang, den er heute bis hinter die Stadt tat; glücklich in Gedanken seine Hilde bei ihm wissend, was ihn sich nicht einsam fühlen ließ. Es war still draußen und etwa 3 Grad kalt, in der Abendröte klingelten Schlitten durch die Stille. Zwei begegneten ihm mit verliebten Paaren und einer mit einer Fuhre Mädels, die Damen seiner Dienststelle. Auf dem Bock beim Kutscher saß der Kavalier, ein Soldat aus der Offiziersmesse. Er kam in der Dämmerung gegen 6 Uhr abends heim und tröstete sich, Hilde vermissend, mit Schokoladensuppe. Rechter Sonntag ist heute in ihm.
Im Radio erst der Gottesdienst, danach der zweite Teil des sonntäglichen Sinfoniekonzertes und dazwischen 'Goebbelssche Gedankengänge', denen er in ihrem Wesen als Propaganda und Marktschreierei ganz und gar nichts abgewinnen kann. Es ist eben nicht nur das Große Ganze wichtig, sondern auch der Einzelmensch, das Individuum. So wie ein Volk seine Freiheit verteidigt, so auch der einzelne seine Freiheit und sein Recht. Er will nun noch etwas lesen und seine Sehnsucht nach Hilde darüber ein wenig vergessen. Er sinnt ein wenig über den bevorstehenden Frühling nach und erinnert sich an Mittagsspaziergänge aus der Zeit, als er 1928 seine Abschlußprüfung machte. Und auch die ersten Jugend- und Kindheitserinnerungen machen ihm bewußt, wie deutlich sich Erlebnisse einprägen, die tief im Herzen haften