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[NGM-400619-004-01]
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 19. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Heute will ich einmal wieder versuchen, Dir einen etwas längeren Brief zu schreiben. Zwar hat M. mich eben schon gefragt, ob ich noch etwas zu tun hätte, sonst sollte ich zum Schreiben kommen (er war gestern nämlich schon früher fortgegangen, weil der Nachtwache hatte), da habe ich dann gesagt, ja, ich hätte noch zu tun. Aber er grinste so, da wird er es wohl gemerkt haben.

Heute bin ich noch viel müder als gestern, wieder mussten wir heute nacht raus, aber das wird Euch ja sicher auch nicht anders gegangen sein. Kurz nachdem ich aufwachte, [sic] und mich angezogen hatte, war das Motorengeräusch sehr stark über uns zu hören, und unsere Flak schoss kräftig. Aber Bomben scheinen bei uns nicht gefallen zu sein. Wir mussten dann in den Keller, sind dann aber bald in die Stube gegangen, und schliesslich haben wir uns mit Zeug wieder ins Bett gelegt. Als dann aber nichts mehr zu hören war, meinte Papa, wir könnten uns auch wohl wieder ausziehen. Aber wenn man so mitten in der Nacht einige Stunden nicht schläft, das merkt man doch am nächsten Morgen gewaltig. Hier ist alles eine Trangesellschaft [sic].

Gestern abend war ich nun mit Herrn R. in unserer Wohnung. Es war dort natürlich eine unerträgliche Hitze. Wir haben gleich alle Fenster aufgerissen. Wir haben vereinbart, vier neue Schalt- oder vielmehr Steckdosen anzubringen. Eine wird noch versetzt. In die Wand können wir die Dinger nicht einbauen lassen, im Schlafzimmer sind Holzwände, und dort geht es nicht. In den Stuben sind ja auch alles grosse Schalter, und wenn dann die Steckdosen in die Wand eingebaut würden, was dort an und für sich zu machen ist, dann müssten auch die Schalter geändert werden. Und das würde eine ziemliche Veränderung werden. Schliesslich ist ja auch einerlei, ob sie nun gross sind, oder drinnen liegen. Ich war vorher bei Tante Bertha vor, um den Schluüssel abzuholen, der hing aber oben. Als wir dann wieder runter kamen, kam Tante Bertha natürlich aus der Tür, Onkel Hermann fand sich auch bald ein. Tante Bertha meinte ja nun, die Küche würde sie nicht streichen lassen. Die Farbe wäre dort noch sehr gut, und alles was man jetzt bekäme, taugte nichts. Der Maler hatte das auch gemeint. Übrigens hat Maler B. schon die Wände ausgemessen, damit wir Tapeten kaufen können. Am Sonnabend werden wir wohl nun nach Hamburg fahren, um welche auszusuchen. H.i hat auch am Sonnabend Geburtstag, da wollte ich auch noch hin. Ich habe ihr gestern eine schöne Tonvase gekauft. Ziemlicher dunkler Ton und eine hübsche Form. Aber ich war ja eben bei der Küche. Ich finde ja nun die Farbenzusammenstellung, so wie sie dort ist, schrecklich, wenn die Farben auch selbst noch gut erhalten sind. Grüne Wände oben, beigelich unten, in der Mitte farbige Streifen in orange und noch verschiedenen Farben, und dann die Türen blau. Das finde ich einfach unmöglich. Was wollen wir da nun machen? Herr R. hat in dieser Woche noch keine Zeit, wahrscheinlich wird er am Montag dabei gehen, versprechen kann er es aber noch nicht. Es kommen oft unvorhergesehene Sachen dazwischen, die unbedingt gemacht werden müssen, wenn z.B. Betriebe plötzlich einen Schaden haben usw. Wenn er alles aufarbeiten so würde, müsste er uns wohl noch 4 Wochen warten lassen. Maler B. wollte nun eigentlich in der nächsten Woche anfangen.

Tante Bertha hat mich dann gestern abend noch nach allem möglichen wieder ausgefragt. Das ist direkt furchtbar. Hoffentlich wird das noch anders. Den Keller hat sie mir auch gezeigt. Er ist man sehr klein. Nach einem Eisschrank habe ich Herrn R. gefragt. Daran ist aber jetzt gar nicht zu denken. Ebenfalls soll ein Gasherd nicht zu bekommen sein. Aber geben tut es elektrische Eisschränke.

Vorgestern abend habe ich nun bei R. die Schlafzimmerlampe bestellt. Als ich sie mir dann genauer besah, entdeckte ich einen kleinen Spliss. Ich war einmal mit Mutti dagewesen, als wir Deckel für Dosen kaufen wollten, da hatte Frau R. an der Lampe herumgebogen und wollte den Preis suchen, da knackte es, dabei wird sicher dieser Riss entstanden sein. Er wollte mir nun aber die gleiche Lampe besorgen, evtl. wenn er kriegen könne, eine flache Schale, ich mag die nämlich noch lieber. Nachttischlampen habe ich auch bestellt. Ich habe nun eine mit Messingfuss genommen. Es ist eine hübsche Form, oval, ziemlich schlicht. In Holzausführung war nichts Vernünftiges da, ich hätte ja sonst lieber Holz gehabt. Dies ist nun auch ein runder, kugelförmiger beigelicher Karton. Aber den habe ich noch nicht fest gekauft. Falls er noch in Porzellan etwas bekommen würde, wollte ich das vorziehen. Das Kaufen in Hamburg ist doch schöner.

Gestern nachmittag war ich auch noch wieder bei Stehr. Ich wollte Seide kaufen für unsere Lampe, konnte aber nichts bekommen, da habe ich nun Mull genommen, sie wollen nun die Lampe unten schliessen. Die Schlafzimmerlampe, die ich neulich dort gesehen hatte, weisst Du, die mit dem Strahlenmuster, war jetzt auch schon verkauft. Auch die Lampe, die Mutti sich anfangs ausgesucht hatte, ist weg, ebenfalls eine andere mit Blumen, die sie dann wohl leiden mochte. So ganz recht war ihr das aber auch noch nicht gewesen. Jetzt habe ich nun eine ausgesucht, die hat dieselbe Aufmachung wie unsere, mit dem gebogenen Rand, ist etwas grösser und in hellbraun. Dann bekommt sie drei Lampen oben mit marmorierten Schalen. Ich habe diese nun erst einmal bestellt, damit sie nachher nicht wieder weg ist. Mutti soll sie sich nun noch einmal anmachen lasse ansehen. Wenn nichts dazwischen kommt, wollen Mutti und Papa am Sonntagnachmittag, d. 30.6. nach Berlin fahren, und dort wollen sie dann einige Tage bleiben. Am 2. Juli ist ja ihre Silberne Hochzeit. Am Montag kann ich ja dann die Lampe anmachen lassen. Vielleicht kommt meine Grossmutter während der Zeit zu uns. Mutti hat Sonntag geschrieben. Sie schrieb, dass sie keine Angst zu haben brauchte, die Engländer kommen jetzt nicht mehr, und schon in der nächsten Nacht waren sie hier. Ich weiss nicht, ob Oma kommen wird, mit dem Herkommen ist es auch immer so eine Sache.

Gestern nachmittag habe ich auch noch Marmeladengläser und Einmachgläser gekauft. Ausserdem habe ich nun an zwei Tagen noch grünes Band geholt, nun werde ich wohl auskommen. Als ich gestern bei Falke war und H.is Vase kaufte, sangen Soldaten vorbei, ich wäre am liebsten rausgestürmt und hätte zugesehen, ob Du dabei warst, aber ich wurde gerade bedient und konnte leider nicht rauslaufen. Ich dachte, wenn Du dabei wärest, würdest Du wohl sicher mein Rad sehen.

Eure Postbeförderung am Montag klappt wohl anscheinend nicht. Ich habe gestern wieder keinen Brief von Dir erhalten, oder hast Du nicht geschrieben? – M. war ich eben hier, ich möchte zum Schreiben kommen, das ist ja nun ganz gut hingekommen. Fräulein Sch. schreibet übrigens auch einen Brief an ihren „Emil“. Wir haben schon gesagt, Fräulein B. müsste sich auch noch einen Soldaten anschaffen, dann könnten wir immer schön Durchschläge machen, und würden dadurch viel Arbeit sparen.

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

[* = Der gesamte Brieftext ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost