Nr. 446.
Hbg.-Neuengamme, d. 13. Dez. 1942
Mein lieber [Heinrich]!
Nun ist der Sonntagnachmittag da, u. da hatte ich doch bestimmt gedacht, daß Du wenigstens für ein paar Stunden hier sein würdest. Es ist zu trostlos. Papa u. Mutti waren bei Erika eingeladen. Papa ist hingefahren, aber Mutti wollte nicht, weil sie angab, ich könnte nicht allein fertig werden, dabei ist sie gestern auch schon mittags nach Hbg. gefahren. Den ganzen Morgen hat sie schon getopt [sic] u. mit verbissenem Gesicht läuft sie umher, Puppemaus erzählt sie immer, was sie noch tun muß. Ich habe gesagt, sie soll mit nach Hbg. fahren, sie hält mir dies ja wochen- u. monatelang noch vor, aber das wollte sie vor den Verwandten wohl nicht. Zu Papa hat sie heute morgen gesagt, ich sollte in ein Krankenhaus, allein könnte sie die Arbeit nicht mehr schaffen. Ich würde ja auch viel lieber hier weggehen, aber was wird dann mit Puppemaus. Ob sie mit ins Krankenhaus kann? Hier wird mein Knie doch nicht besser, es ist eher noch dicker geworden. Was ich irgend helfen kann, helfe ich ja auch. Wenn ich den ganzen Tag laut Verordnung liegen würde, möchte ich Mutti nicht sehen. Es ist so oft nicht zum Aushalten. Puppe wollte diese Woche auch nicht ordentlich trinken. Sie hat immer viel mit Verdauungsschwierigkeiten zu tun jetzt. Jeden 2. Tag bekommt sie einen Oelpfropfen [sic], damit dann richtig mal was kommt. Diese Woche hat sie 50 g abgenommen. Heute morgen u. heute mittag hat sie wieder nur wenig gegessen u. getrunken. Gestern abend wollte sie überhaupt nichts nehmen, beide Brüste waren stramm voll, weil sie auch davor nur wenig getrunken hatte. Ich hatte aber absichtlich nicht abgepumpt, weil ich abends mit größerem Appetit rechnete u. dann genug haben wollte. Als sie dann aber abends auch nicht trank, mußte ich ja abpumpen für die Nacht, da habe ich dann ein Milchglas voll gehabt. Hoffentlich ändert sich das bald wieder. Was das wohl in diesem Jahr für ein Weihnachten wird, u. ich hatte mich im vorigen Jahr so sehr darauf gefreut. Die Spinne, die ich an meinem Geburtstag morgens sah, als ich auswachte u. Licht anmachte, hat wohl doch ihre Bedeutung gehabt. Und was machst [sic] Du wohl diesen Nachmittag zu tun haben? Warum läßt man Dich bloß nicht mal weg? Dieses vergebliche Hoffen macht einen ganz kaputt. Da ist es doch schon besser, wenn Du in Dänemark bist, u. man weiß, daß Du nicht kommen kannst. – Inzwischen ist es nun schon Abend geworden. Und Du bist [*] wieder nicht hier gewesen. Einmal hatte ich es schon bestimmt angenommen, aber da waren es die Sammler. Die Enttäuschung war umso größer. Mutti ist jetzt gegen Abend wieder etwas besser gestimmt. – Puppe ist faul. Sie trinkt einfach nicht. Einen Teil der abgepumpten Milch habe ich ihr noch eingelöffelt. Seit einigen Tagen sabert [sic] sie, aber von evtl. Zähnen ist noch nichts zu fühlen am Gaumen.
Nun herzliche Sonntagsgrüße u. einen lieben Kuß
von Deiner [Hannelore]
[* = Ab hier ist der Brieftext auf dem linken Seitenrand von oben nach unten geschrieben, zunächst auf der Rückseite, ab dem „eingelöffelt“ auf der Vorderseite des Blattes.]
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Hannelore Wilmers
Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als
Neuengamme
Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost