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[OBF-400328-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 28. März 1940.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Deinen Boten, Du! Mit welcher Ungeduld und Sehnsucht erwartete ich ihn, mit welcher Freude drückte ich ihn an mein Herz heute früh und eilte die Treppen hoch in mein Kämmerlein, ganz unbeobachtet für mich allein wollte ich erfahren, was Du mir sagen willst, Du!

Ach Du, mein Lieb! Die Sehnsucht nach Dir ward so groß in mir, was hast Du alles aufgeweckt mit Deinen Worten! Die ganze große Seligkeit steht nun vor mir, mit all ihrer geheimnisvollen Süße. Du! Deine Nähe spüre ich, Liebster! Deine Nähe, die mich so unruhig macht und doch auch wieder jenes wunderbare Gefühl gänzlicher Geborgenheit in mir auslöst. Ach, Liebster! Die Tage scheinen mir nur wie Stunden, wenn ich bei Dir bin. Wie von einem Traum benommen erlebte ich unsern  Abschied – es kam ja alles so schnell auf uns zu – ich sah Dich so furchtbar schnell meinen Augen entschwinden, meine Gedanken waren nur: Du! Du! So schnell war ich in Chemnitz – der tolle Menschenwirbel um mich her, drang wie aus weiter Ferne an meine Ohren. Mit allen Sinnen war ich noch bei Dir, Du! Erst als ich in Oberfrohna das Auto verließ und meiner Arbeitsstätte zuging nahm mich die Wirklichkeit wieder gefangen: Der Chef – er war garnicht böse zu mir, er freute sich, daß ich zuerst ihn aufsuchte:  [„]Na, ziehen Sie sich nur erst um, dann kommen's wieder!“, meinte er. Daheim fand ich alles in bester Ordnung – fand alles in alter Weise – Vater bohnerte, Mutter kam bald darauf von der Arbeit. Ich erzählte schnell ein wenig, packte meine Herrlichkeiten aus, erntete Lob – dann setzte ich mich hin und schrieb ein Briefchen an Euch alle in Kamenz, auch Mutter schrieb dazu, ich brachte es noch fort zur Post, damit ich Dir mein Versprechen einlöste. Nun ging es an die Arbeit mit frohem Sinn, mit heimlicher Freude. Andern Tages um dieselbe Zeit wollte ich doch mein Lieb empfangen. Ich war für niemanden da, ich hatte meine Gedanken nur bei Dir! Liebster, Du! Du glaubst ich könnte es nicht ermessen, wie Du voll Verlangen und voller Hoffnung warst?

Herzallerliebster! Könntest Du einen einzigen Blick tun in mein Inneres, so müßtest Du erkennen, wie groß die Flamme nun brennt, die Du angezündet hast. Ich bin so ganz gefangen in Deiner L[iebe], und wo könnte mir größeres Glück blühen, als an Deiner Seite? Was könnte ich täglich, stündlich inniger herbeiwünschen als Dich, meinen [Roland]? Mein Herz und meine Seele, die sind bei Dir, sind ganz Dein, Du! Was jetzt hier herum werkt, das ist nur ein Teil von mir – die ganze [Hilde], wie sie wirklich ist, kann nur sein, wenn sie ihren [Roland] an ihrer Seite weiß. Ich weiß auch, daß Du Dich allein, verlassen fühlst unter den Fremden, wenn ich nicht bei Dir bin.

Du, Liebster! Haben wir es nicht so deutlich gefühlt in den vergangenen Tagen, wie tief unsere Liebe zueinander in uns wurzelt?

Ich liebe Dich über alle Maßen, Du! Ich kann nicht sein ohne Dic[h]! Und die Gewißheit, daß mir Deine Liebe ebenso waren entgegen leuchtet, daß uns[e]re Herzen im Gleichklang schlagen, Du! Herzallerliebster, Du! Darum bin ich ja so sehr froh, so sehr glücklich, daß ich manchmal weinen muß, wenn ich daran denke. Daß Du mein bist, daß uns das höchste Glück auf Erden nun bald zuteil werden soll, das zwei Liebenden geschenkt werden kann: Ein Heim, ein eigenes Reich, nur für uns und unsre große Liebe, Du! Wie so dankbar bin ich unserem Herrgott, daß er uns zusammen führte, mein [Roland]!

Ich habe gewartet auf Dich, um 7 mit dem Zug – um 8 mit dem Bus – um 9 mit dem Bus – vergebens. Wir haben dann allein Abendbrot gegessen, ich ging bald schlafen. Allein, Du! Liebster, traurig war ich nicht, ich lag noch lange wach und mußte daran denken, wie schön es hätte seine können.

Von dem Schreck, den uns Vater einjagte, habe ich mich erholt, Du! Wenn er eher gekommen wäre – ja, ich hätte mich geschämt, schon – aber ich wäre auch eingetreten für unser Verhalten, würde er uns zur Rede gestellt haben – ertrage ich das Glück, so muß ich auch das Unglück ertragen. Wenn ich alles jetzt überdenke: Ich an Vaters Stelle hätte mich hernach geschämt meiner Neugier. Warum? Niemand als die Alten kann sich besser vorstellen, kann sich schon aus eigener Erfahrung denken, daß ein Paar sich am letzten Tage ihres Beisammenseins mehr zu sagen hat beim ,Gute Nacht sagen‘, als an einem beliebigen anderen Tage. Diese Rede soll kein Freibrief sein für mich und überhaupt für Ungehörigkeiten. Was wir taten, dessen brauchen wir uns als Liebende und Verlobte nicht zu schämen. Wir haben ja der Eltern Wort zu unser[e]m Bunde u. was zu unserem Glück oder Unglück gereicht, haben ganz allein wir beide zu tragen u. zu verantworten. Ich hätte aus eigenem Feingefühl heraus nicht in das Zimmer sehen mögen, wo ich zwei Brautleute in trauter Stunde weiß.

Liebster! Bitte verstehe mich jetzt richtig, Du! Ich will Deinem Vater ganz und garnicht Vorwürfe machen u. mich über ihn zum Richter erheben – er hat eben eine andre Art, als ich – er meint es gewiß nicht bös – aber denke doch einmal nach, Liebster! ich glaube, Du mußt mir Recht geben. Ich will nichts mehr schreiben, Du! Geschehenes läßt sich ungeschehen nimmer machen – ein guter Engel trat uns doch bei in letzter Minute! Heute könnte ich sogar einmal herzhaft lachen über unsre Verstörtheit in dem Augenblick, wenn ich mir alles so vor Augen halte.  Heute will ich nun aufhören, Herzlieb! War der Anfang gut? Viel Glück mit Deinen Kleinen am Montag! Gehe eine Stunde eher schlafen, wir werden ja um eine be.........!

Behüte dich Gott! Ich liebe Dich von ganzem Herzen! Du, mein Glück! Herzallerliebster! Du, mein [Roland]! Behalte recht lieb

Deine [Hilde].

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Kommentare

Dieser Brief wurde am Donnerstag nach Ostern (Ostersonntag 24.3.)geschrieben. Interessant finde ich, dass Hilde am Ende des Briefes "wir werden ja um eine b........" (betrogen? "beschissen"??) schreibt. Sie bezieht sich dabei auf die neu eingeführte Sommerzeit im Jahr 1940. Die Zeit (MEZ: Mitteleuropäische Zeit) wurde Montag (1.4.) um 2 Uhr Früh eine Stunde vorgestellt und erst am 2.11.1942 !!! um 3 Uhr Früh wieder eine Stunde zurück gestellt. Davor gab es diese Sommerzeit nur einmal und zwar im 1. Weltkrieg.
Dem Brief habe ich entnommen, dass es zu Ostern (erstmals?) zu sexuellen Handlungen zwischen Hilde und Roland kam. Dabei wurden sie vom Vater von Roland "erwischt", der einfach ohne anzuklopfen in Rolands Zimmer getreten sein muss. Hilde versteht die Aufregung von Rolands Vater nicht, da sie doch mit Roland offiziell verlobt ist. Obwohl sie so tut, als ob ihr Handeln ganz normal wäre, bespricht sie dieses Thema doch sehr ausführlich und spricht in diesem Zusammenhang von einem Engel, der ihnen beigestanden wäre, um sich zu rechtfertigen. Ihren verschlüsselten Worten entnehme ich, dass Roland ein einfühlsamer Liebhaber war.
Insgesamt wirkt dieser Brief von Hilde - auf mich - nicht mehr so schwülstig wie frühere Briefe von ihr. Ich muss gestehen, dass ich nicht so viele gelesen habe. In der frühen Phase ihrer Liebe himmelt Hilde Roland an, der älter als sie ist und sozial höher steht. Nun sieht sie sich bereits als seine Frau, bald als Frau seines Hauses, denn eine Verlobung konnte nicht so leicht gelöst werden. Die Trauung (Hochzeit) war damit so gut wie fix. Nach altem Brauch kam es nach der Verlobung (und noch vor der kirchlichen Trauung / ab Hitler das Standesamt) zum Geschlechtsverkehr zwischen Frau und Mann.

Einordnung
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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946