Bitte warten...
Briefkorpus

Mittwoch, am 7.Mai 1941.

Herzallerliebster! Du mein lieber, guter [Roland]! Du!!

Draußen tobt sich buntes Flockengewimmel aus. Ich sitze im warmen Stübchen und denke Dein, Herzlieb! Du!! Es kam noch kein Brief heute von Dir an. Vielleicht morgen?

Isst ja der 8.5. morgen! Mein Lieb, ob ich meinen Brief an Dich noch vor meinen [sic] Besuch bei Frau G. beenden kann? Will sehen, sonst schreibe ich ihn fertig wann [sic] ich wiederkomme. Das ist nun der Wonnemonat Mai! Wie anders, viel schöner bot er sich uns in anderen Jahren schon dar! Weißt Du es auch noch, Herzlieb? Bis zum Muttertag blühte schon der Flieder andre Jahre! Und heuer?

Mai! Herzlieb, es ist für uns beide ein bedeutsamer Monat. Vor 3 Jahren im Mai begann die Geschichte unsrer Liebe. Du!! Du!!! Geliebter! Schon zum 3. Male jährt es sich, daß das Frühlingswunder unser ganz persönliches Leben berührte! Du!! Oh Du!! Da alles Hoffen und Sehnen, alles Träumen vom Glück, alle gläubige Hingabe aufstanden in uns - Du!! Du!!! So mächtig wie nur einmal im Leben, bis in die Tiefen des Herzens erschütternd! Geliebter! Welch reiche, selige Zeit! Frühlingszeit des Lebens!

Jedes Jahr auf's neue ruft der Frühling eine unstillbare Sehnsucht in uns wach, alles in uns drängt nach Erfüllung, nach dem Glück – jeder Mensch nennt wohl irgend etwas sein Glück – aber was in dieser Zeit des Drängens und Werdens in der Natur, auch des Menschen Brust erfüllt, das ist die große Sehnsucht nach dem Einssein mit einem geliebten Menschen! Ach, jeder hat dieses Wunder wohl schon gespürt in seinem Leben. Aber so wie ich es einst spürte, so kann man es nur einmal im Leben! Du!!

In der Zeit, da der Frühling anbrechen wollte, mußtest Du fort von uns gehen. In den Tagen, da ich Dich noch sehen durfte von ferne, war mein Herz ganz ruhig und zufrieden. Doch dann, als ich Dich weit weg wußte, Dich nicht mehr finden konnte mit meinen Blicken, da ward mir so schmerzlich klar, was ich an Dir verloren [hatte]! Ach Geliebter!! Du! Welch ungeahnte Kräfte weckt doch die Liebe in einem Menschen! Sie bezwingt ihn so ganz! Alle Vernunft, alle Vorsätze treten zurück vor ihrem sieghaften Leuchten! Und so mächtig kann nur Liebe von Herzn im Menschen wachsen, so über alles bestimmend!

Ein Rausch kann uns nicht bezwingen, niemals!

Herzlieb! So jung und unfertig und unerfahren war ich zu dieser Zeit noch! Und doch! So ganz beseelt von einem Willen und Wunsch Dich zu besitzen! Du!! Ach, es war mir doch klar, wie sich ein Mädchen verhalten muß in Dingen der Liebe. Still, bescheiden, zurückhaltend, es muß warten – warten, bis das Glück sich ihm nähert!

Oh Du!! Du!! Wie oft war ich verzweifelt, so ein armseliges Mädchen nur zu sein! Warum dürfen wir Frauen nicht hingehen und ringen und kämpfen und nehmen, wo das Glück ist? Es ist ein uraltes Gesetz, daß das Weib warten muß bis der Mann um es wirbt. Ist das nicht zum verzweifeln? Wenn ein Mann, ein ungeliebter Mann um mich wirbt und in Wahrheit liebe ich einen anderen? Ach Du!! Du!! Geliebter!

Sooooo lange habe ich mich in die uns zugedachte Rolle der Bescheidenheit und Sittsamkeit gefügt – was ich darunter litt, das kann ich nicht beschreiben, das läßt sich nicht ausdrücken. Aber dann kam die Stunde, wo ich die Fessel durchbrechen mußte! Ich konnte das so nicht länger ertragen – und ich weiß heute noch nicht, woher ich den Mut und den Entschluß nahm, so eigenmächtig zu handeln, so allem Gesetz zuwider.

Geliebter!! Es war die Liebe, die mich bewog so zu handeln und der unerschütterliche Glauben an Dich! Du!! Was wäre geworden, hättest Du mich abgewiesen?

Ja, gewiß, Zweifel und Bangen waren in mir. Aber in dem Augenblick, wo es galt die entscheidende Tat zu vollbringen, da war nur bedingungsloses Vertrauen und Glauben in mir! Da war ich so gefestigt und gewiß, daß Du mich erhören würdest. Ich habe es in mir gespürt, daß Du zu mir gehören mußt für ein ganzes Leben, daß Du mein sein mußt für alle Zeit! Geliebter!! Es ist wie ein ganz unfaßbares Wunder, so wie alles kam.

Und doch, heute, nachdem wir die Wirklichkeit erlebten, so herrlich in ihrer reichen Erfüllung, heute meinen wir: wie hätte es sollen anders sein?

Gott hatte seinen Plan mit uns beiden und heute erkennen wir das doppelt dankbar und tief beglückt; denn, was nützt alles Menschenwerk, wenn Gottes Segen dazu fehlt? Eines von uns mußte den Anstoß dazu geben, daß das Schicksal seinen Lauf nehmen konnte. Und eines ist daran so hoch beteiligt wie das andere. Die Vorsehung bestimmte, daß Du in die Fremde ziehen mußtest, das bewog mich, Dich zu rufen, zu halten und so erkannte ich, wie tief meine Liebe zu Dir war. Du warst zutiefst erschüttert, ein Menschenherz zu finden, daß [sic] nicht so leicht vergißt – Du nahmst meinen Ruf als ein Zeichen Gottes in Deiner seelischen Not – sieh, Geliebter, was nützte eines einzelnen Wille zum Ganzen, wenn nicht alle zusammengeklungen hätten im Dreiklang? Ein Ganzes, ein Neues wollten wir schaffen und doch dabei dieselben bleiben, wir selbst bleiben.

Wenn auch unser Wille und Wunsch groß war, einander in Liebe anzugehören, hätte Gott nicht sein Wort dazu gegeben dürften wir nicht die süßen Früchte der Erfüllung ernten, Du!! Darum wollen wir stets von ganzem Herzen ihm danken, der solches Glück uns bescherte! Du!! Wollen ihn bitten auf‘s neue, daß er uns dieses Glück auch in einem sicheren Frieden erleben lasse! Daß er mir Dich gesund heimkehren läßt, mein [Roland]! Ach Herzlieb! Immer wieder lassen wir uns gerne zu un[se]rer Vergangenheit zurücktragen und wir werden nicht müde, uns dem wundersamen Geschehen hinzugeben.

Du und ich, wir sind nun eins geworden. Und wir haben den Bronnen dieses Glückes noch lang, lang nicht erschöpft! Das Größte, das Schönste des Lebens im Einssein soll ja erst beginnen! Und wir werden noch viele, viele kostbare Stunden miteinander erleben, wo sich unsre Wesen immer noch tiefer und inniger ineinander versenken und verschmelzen sollen zu einem Ganzen. Liebster! Die Ehe ist doch ein köstlicher Bund zweier Menschen. Ein heiliger Stand – von Gott geweiht – unantastbar von fremder Hand. Die Kultur hat hier einen so hohen Wert geschaffen – man überblickt die Tragweite des ganzen garnicht umfassend in dem Begriff Ehe, wenn man auf die Entstehung und Entwicklung eines Volkes sieht. Und wenn jedes Paar, daß [sic] sich für ein Leben zusammenschließt, seine festen, ehrlichen und guten Grundsätze hat, worauf es seine Ehe aufbauen will, dann – so möchte man meinen – könnte es in Wirklichkeit gar keine unglücklichen Ehen geben. Aber dem auf den Grund zu gehen führt hier zu weit.

Wir haben in unsrer Prüfungszeit gesehen und erkannt, daß zwei Herzen sich recht durchdringen und verschlingen müssen, Stück um Stück. Es braucht alles seine Zeit – ich glaube, daß [sic] sagte schon Salomon einst.

Und so haben wir uns denn in unsrer Probezeit kennen gelernt, Zug um Zug – und schätzen, Liebster! Und ich bin auch keinen Augenblick im Zweifel, rückblickend, Geliebter! daß Du stets immer nur das Beste im Auge gehabt hast! Du warst mit aller Kraft, aller Hoffnung besorgt um unsre Liebe und Du schautest immer nach [d]em Weg zu ihr hin aus! Du trugst den größten Teil der Verantwortung in allem – Du bist der Ältere! Und Du bist mein Beschützer! Du!!!!!

Ach Herzlieb! Denke nie, daß ich an Deiner Zuneigung und Liebe je gezweifelt habe! Wenn es ein paar kalte Tage gab in unserm Liebesfrühling – sie sind zu zählen – so war mir mein Herz bang und zag, in Sorge darum, ob es mir doch einst noch ganz gelingen würde, Dich zu mir zu ziehen mit aller Liebe deren ich fähig war. Daß Du mich wieder lassen würdest, verlassen! Geliebter!! Daran konnte ich nicht glauben. Weil ich wußte, dazu bist Du viel zu edeldenkend.

Ich war nur in heißer Sorge darum, daß ich Dich an mich binden könnte und in Wirklichkeit wäre ich Dir garnicht die Erfüllung und das höchste Glück, daß Du nur aus Mitleid, oder aus einem Verantwortungsgefühl heraus Dich an mich binden würdest.

Du! Ich glaube nämlich, das brächtest Du fertig, Herzlieb! Du könntest einem Menschenkind nicht absichtlich wehe tun, lieber wolltest Du selbst leiden. Wenn mir diese Gewißheit geworden wäre, oh, Geliebter! Geliebter!! Ich wäre zum Letzten entschlossen gewesen, nur um Dir die Freiheit zurückzugeben.

Was nützt es, wenn sich zwei Menschen zusammentun und doch sind ihre Seelen einander fern? Das ist nicht nur kein Gemeinschaftsleben, das ist ein großes Unglück! Ich ginge daran zugrunde, an solcher Ehe.

Mein Herzlieb! Mein [Roland]! Ist unsre Liebe nicht ein rechtes Frühlingskind? Soviel Hoffen und Sehnen und Drängen, und ist nicht erfroren! Ist nun so herrlich erblüht! Du!!!!! Sie ist im ersten, schönsten Erblühen Herzlieb!

Und wenn mein Herzlieb heimkehrt – Gott gebe, daß es bald, bald geschehe – dann soll sie noch viel schöner erblühen, oh Du!! Du!!! Und wir beide werden sie hegen und pflegen, ach Du!, sie soll lange, lange erblühen, jung und schön!

Mein lieber, lieber [Roland]! Gott behüte Dich! Er segne unsern Bund! Ich liebe Dich so von ganzem Herzen! Geliebter!! Ich bin Dir so ganz treu, mein [Roland]!

Ach, ich hänge so sehr an Dir! Ich bin Dir so fest verbunden, Herzlieb Du!! Du sollst es wissen und glauben!! Das soll Dir Kraft und Mut schenken durchzuhalten, mein Herzlieb!! Bald wird der Tag kommen, da D[u] mir auf's neue geschenkt wirst! Ich glaube fest daran! Du liebst mich! So jubelt es in meinem Herzen. So tönt es selig-froh in mir. Das ist die Glücksmelodie, die mich durch alle Tage hindurch begleitet! Geliebter! Und Du sagst mir immer wieder: ich liebe Dich! Oh Herzlieb!! Herzlieb!! Nichts kann mich mehr beglücken, als dieses Geständnis aus Deiner großen Liebe heraus, Du!!! Du bist mein!! Du!! Und Du sollst es bleiben mein Herz! So wie ich nur ganz Dein bin und bleibe! Du!!!!! Ich halte Dich ganz, ganz fest! Ich liebe Dich! Deine [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946