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[OBF-401027-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 27. Oktober 1940

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste, Holde mein!

Holde, komm! Setz Dich neben mich, lehn Dein Köpfchen an meine Schulter, laß Dir Dein liebes Köpfchen streicheln. Dein alter, langer, dummer, guter [Roland] sitzt neben Dir, Dein Hubo, Dein Dickerle. Und jetzt als Dein Beschützer. Für einen Augenblick vergißt er, daß [er] die liebe, schöne, heiße junge [Hilde] in seinen Armen hält, er fühlt jetzt nur seinen Schützling, sein [Hilde]kind, sein [Hilde]herz. Du magst ihn fortjagen, magst ihn verwünschen,—er wird nicht von Deiner Seite weichen und wird Dir folgen—aus Liebe. Und was er Dir jetzt sagt mit ruhiger, väterlicher Stimme—er sagt es aus lauter Liebe: Mußt Dich fein brav und ruhig halten. Liebste,! wie schrecklich wäre das, wenn Deine Augen mich nicht mehr erkennten, wenn Deine Stimme an mir vorbeiginge in die Irre, wenn Du nicht mehr wüßtest, daß ich bei Dir bin! Fein still und geduldig! Mußt Dich dazu zwingen, Herzlieb, mußt darum beten, daß Du stark bleibst! Mein liebes [Hilde]herz! Denk an Deine Gesundheit, denk an unsre Zukunft, denk daran, daß wir uns doch noch ein ganzes langes Leben liebhaben wollen!

Wirst jetzt bös und schmollend zu mir aufblicken? „Er hat gut reden und trösten.“ Herzlieb! Soviel Jubel und Freude ich mit Dir teile, Du, Geliebte, über alles Geliebte! Ich muß Dir auch von dieser Sorge sagen. Du weißt, daß ich Dir ganz gehöre, und daß mein ganzes Sinnen und Trachten Dir gibt, Dir vor allen und zu allererst! Und ich sehne mich nach Dir! Ich will zu Dir!! Aber froh und gesund und stark möchte ich bei Dir sein, und so möchte ich Dich empfangen! So. Küßchen! Rührt Euch!

Herzallerliebste, Holde mein!

Sei tausendmal bedankt, daß Du mich so lebendig teilnehmen läßt an Deiner Freude. Freude wollte ich Dir bereiten. Daß Du soviel Tränen darum vergießen mußtest—das wollte ich nicht. Du liebst mich! Du liebst mich so sehr! Du liebst mich zu sehr!! Mein Herz! Meine liebe [Hilde]! Du machst mich so glücklich, Du! Machst mich zu glücklich, Geliebte! Ich möchte nun wirklich ein wenig bange werden, weißt, Du? Das ist zu viel Liebe für einen Menschen! Wie soll ich sie fassen? Es möchte doch auch kein Strahl davon verloren gehen! Ich möchte sie doch auch so ganz erwidern, Geliebte! Wie kann ich das? Du sollst doch auch keinen Augenblick unzufrieden sein mit Deinem Hubo! Sollst doch keinen Atemzug lang empfinden, daß er Dir nicht genügt, daß sein Herz nicht groß genug ist, diese Liebe alle zu fassen. Du! Geliebte! Ich sehe nur einen Ausweg dann! Du! Weißt? Unser Kindlein! Niemandem sonst möchte ich Deine Liebe gönnen, mit niemandem sonst möchte ich sie teilen. Und da ich nun weiß, daß sie so, so groß ist, will ich sie auch gern teilen, es wird dann immer noch genug für mich bleiben. Du!? Wird es?

Sonnenschein ist draußen. Sonnenschein ist drinnen, auch bei Dir, dankbares Herz! Er ist das sichtbare Zeichen von Gottes Gnade, dieses helle, warme, reine Licht, das täglich sich erneut, auch nach der dunkelsten Nacht. Zweimal steckten wir im Keller. Dabei war es gar nicht so arg wie andermal. Nun ist Morgenstunde. Der Ofen ist schon in Gang. 19 Mann quirlen durcheinander, babbeln durcheinander, meist nicht viel Gescheits (reesen [sic: wohl plattdeutsch] sagt man hier), schreiben, rauchen, schmökern, kommen und gehen. Schmökern ist die neue Pest. Billige Schwarten machen die Runde. Saufen und Rauchen ist zu teuer auf die Dauer—die Zeit wird lang. Du! Deinem Hubo ist die Zeit nicht lang. Meist ist sie ihm zu knapp.

Herzliebste! Dein lieber, lieber Bote kam zu mir in die Mittagsstunde. Er hat mir viel Freude gebracht. Ich habe sie mitgenommen auf unseren Spaziergang mit Kamerad H.. Ich weiß Dich nun heute zur Kirmes. Du wirst mir berichten. Wir sind am Strand entlang zum Leuchtturm und nach Strande. Die Sonne schien. Von See blies ein scharfer Wind. Am liebsten wäre ich allein gegangen. Deine Briefe und Bilder waren mit mir, und in Gedanken war ich immer um Dich, ich mußte mich zur Aufmerksamkeit im Gespräche zwingen. Gern hätte ich meinem Scherz vom vergangenen Sonntag fortgesetzt. Aber nun blieb zu wenig Zeit, und der schöne Tag lockte zum Ausgehen. Hast ganz recht: So voll heimlicher Freude war ich schon am Sonntag um die Überraschung für Dich. – Gleich will ich mal die dunkle Stelle aus einem Deiner letzten Briefe suchen:

„Du, daß ich nicht vergesse, Dickerle! Erkält ihn Dir nicht im Treppenflur!! Wenn Du mein Gesicht dabei gesehen hättest!! Du, bist ja auch mit allen Wassern gewaschen! Aber ich verstehe, Du! Verstehe sehr gut, wie es einem zumut ist!!“ Bekennst Dich zu diesen Zeilen, Schlingel? Sie Dir als Verschreiben oder Versehen oder Ungereimtes auszulegen, dazu bist Du mir zu schlau, Du! Ich vermute doch irgendwie „hinterlistige“ Zwecke, kann mir nur nicht deuten, wie da plötzlich Dein Gesicht daneben kommt. Oder zweiflest, daß ich vorbesagten Körperteil nicht mit allen Wassern wasche? Na, warte! Nun mußt Du Dich erklären, herausreden gilt nicht—höchstens loskaufen. Über das Lösegeld kann nur mündlich verhandelt werden. So, Liebste! Ein bißchen Übermut muß ich mir aufheben für die nächsten Briefe, den größeren Teil aber für unser Wiedersehen, sonst werde ich mit Deinem Mut nicht fertig.

Meine liebe [Hilde]! Ich möchte immer weiter mit Dir plaudern, mich immer mehr in Dein Wesen versenken—aber die Zeit drängt,—und die Sehnsucht nach Dir, Geliebte, wird dabei größer und schmerzlicher. Und ich zwinge mich deshalb und gebiete Halt, um unseretwillen, für unser Wiedersehen, Du! Herzlieb!

Wann wirst nach Hause kommen heut abend? Du, bitte, schreib mir alles! ‚Wat et nich allens jibt!’ sage auch ich zu Eurem neuen Kantor. Wie verträgt sich das in diesem Fall auch mit der braunen Uniform? Na, das ist nicht unsre Sache.

Herzallerliebste! Behüte Dich Gott auf allen Wegen!

Geliebte! Deinen Montagbrief darfst noch abschicken — und dann erst mal das Ganze Halt! Es heißt, daß wir schon Donnerstag, spätestens Freitag umziehen. Ich möchte nicht, daß auch nur einer unsrer Briefe in unrechte Hände gerät. Unsere Briefe, Deine Briefe Du! Unser Geheimstes, Liebstes! Ich würde mich schämen, wenn jemand darin sehen würde,—nicht weil Unrechtes darin steht,—sondern weil dann eingedrungen würde in unsre Welt, in unser Herz, in unsre eigenste Welt, in unser Inneres, das ich nur Dir zeigen mag, alle Sehnsucht und Zärtlichkeit, allen anderen Blicken entzogen, nur Dir! Holde! Geliebtes Weib!

Wie glücklich bin ich, Du!

So unsagbar glücklich mit Dir!! Du mein Leben! Mein Ein und Alles! Mein liebe, gute [Hilde]! Ich bin und bleibe Dein Hubo und Dickerle, Dein [Roland]! Ganz Dein!! Und Du, Du bist mein!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946