Mittwoch den 6. November 1940
Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde], Du! Holde mein!
Du! Dein Schreiberhubo liegt ausgestreckt auf seinem Lager. Alles muß draußen antreten zum Dienst um 2 Uhr — er hat Mittag bis um 3 Uhr. Ist doch fein, nicht? Er ist aber auch noch müde heute. Eine gestörte Nacht liegt hinter uns. Bis um 3 Uhr ging alles glatt, aber dann wurde es unruhig. Ich hatte Alarmwache. Das ist so: Bei Alarm muß der Lagerposten mit zum Geschütz — deshalb abgelöst werden.
In diese Wache mußte ich mich noch mit 2 anderen teilen. Gegen 5 Uhr stand ich ¼ Stunde, gegen ½ 8 Uhr noch 10 Min. So spät am Morgen kam noch ein Alarm! Es wurde schon hell. Und denke nur!: In der Ferne hörte man das Motorengeräusch, man köonnte das Flakfeuer beobachten, das hell aufblitzende Mündungsfeuer (beim Abschuß, weißt?) und das rötliche Leuchten der in der Höhe krepierenden Granate (sieht sich an wie Feuerwerk). Auf einmal sehe ich einen fahrenden Stern, wie ein hell erleuchtetes Flugzeug, der dann steil abstürzte. Ich dachte sofort, daß dieses Flugzeug abgestürzt sei, und wenige Minuten später bestätigte sich diese Nachricht: ein Flugzeug brennend abgestürzt. Diese Tragödie mag sich in etwa 15 Kilometer Entfernung abgespielt haben. Wenn die Engländer nur bei Tage kämen, es ginge ihnen nicht gut. In den Höhen, in denen sie sich bewegen, wird es nun auch empfindlich kalt.
Von 3 Uhr an, habe ich nicht mehr richtig geschlafen, habe immer an Dich gedacht, das hat Dich hoffentlich nicht gestört. Du! weißt, ich muß nachträglich noch tüchtig zanken über eure unsinnige Schufterei bei der letzten Wäsche. Nicht, daß Du nun mit Mutter aushieltest, aber daß Ihr so schlecht die Arbeit einteiltet und es sich so häufen ließet. Wollt Ihr erst durch Schaden klug werden? Du hast doch auch nicht schwer gehoben? Weißt doch, das darfst Du nicht! Ja, jetzt hat auch Dein Hubo über Dich zu bestimmen!
Viel zu tun hat Dein Dickerle heute, feste abschreiben und tippe[n.] Am Donnerstag geht der Uoffz. auf Urlaub, er wird gerade wieder zurück sein, wenn Du kommst, das paßt großartig. Heute muß ich [^]mich zu Mittag schon mit dem Schreiben dazuhalten. Um 6 Uhr haben wir Kinovorstellung. So oft wie jetzt habe ich kein Kino gesehen. Hoffentlich bringt man was Gescheits. Geliebte! So verfliegen die Tage, und wenn wir rechnen dürfen, dann in 14 Tagen mußt Dich schon auf die Reise machen. Ich weiß nicht, wie Dein Plan ist: wirst ja bei den Hallensern einen Tag aushalten müssen, wenn es Dir auch schwer fällt.
Nun etwas von Deiner Fahrt:
1) Wie Du nach Halle kommst, befragst Dich bitte mal in Oberfrohna, den Fahrplan dazu habe ich nicht da.
2) Die Fahrkarte löst Du aber gleich durchgehend bis Eckernförde. Du unterbrichst also in Halle nur. Befrage Dich doch, ob Dir der Beamte nicht gleich eine Rückfahrkarte herausschreiben kann, auch wenn Du erst nach 10 oder 12 Tagen die Rückfahrt antriffst.
3) Du fährst Halle — Magdeburg — Stendal — Wittenberge (Elbe) — Ludwigslust — Hagenow Land — Ratzeburg — Lübeck — Kiel/ [sic] — Eckernförde.
Der Fahrplan:
Halle ab ¦ 728 [*] kommt von Berlin
Magdeburg ab ¦ 853
Stendal ab ¦ 942
Wittenberge an ¦ 1021 1032
Wittenberge ab ¦ 1032 [*] fährt nach Hamburg
Lübeck ab ¦ 1236
Kiel an ¦ 1356
4) Bis Kiel mußt Du also einmal umsteigen, normalerweise in Wittenberge. Bei Verspätungen könnte es aber auch sein in Ludwigslust oder Hagenow Land, da mußt gut aufpassen, was der Schaffner sagt!
Dein Hubo ist schon so gefahren, er weiß Bescheid. Mußt auf ein bissel spitzen [sic], daß Du im Berliner Zug einen Platz kriegst.
Wenn Du in Halle schon merkst, daß der Zug ganz stark besetzt ist und keine Aussicht auf einen Platz ist, dann — hörst Du?! Dein Hubo zieht Falten in die Stirn! — löst Du zur 2. Klasse nach!! Mein Lieb, mein Herzlieb soll ganz bequem fahren! Soll auch nicht die wohlwollende (!) Güte irgendeines Kavaliers in Anspruch nehmen. Herzliebes! Hast Du alles gut gehört?
5) Kommst Du pünktlich in Kiel an, dann gehst geradeaus, die Treppe hinunter auf den Bahnhofvorplatz, hältst Dich rechts, nach dem Wasser zu (fällt Dir doch nicht schwer) und schaust aus nach dem Postauto, das nach Eckernförde-Schleswig fährt. Postautos sehen rot aus. Das fährt weiter 1405 [Uhr], also ein ganz glatter Anschluß, 1510 [Uhr] in Eckernförde an der Post. Ist das Auto fort, dann fährst mit dem nächsten Zuge ab Kiel 1539 [Uhr], an Eckernförde 1633 [Uhr].
Die Fahrkarte löst Du auf alle Fälle bis Sc Eckernförde. Für diese Reise hebst, denke ich, 150 ℛℳ ab, schreibe mir bitte, wie Du dazu denkst.
All diese Angaben tippe ich Dir morgen fein säuberlich auf einen Zettel zum Reisegebrauch.
Herzallerliebste! Eben bin ich aus dem Kino heim. "Das Glück wohnt nebenan", ein ganz ergötzlicher, amüsanter Film in Wiener Mundart mit Grete Weiser, Roberts usw. Da fällt mir eben ein: Man könnte hier meinen, man lebe in Bayern od. Österreich, die Rekruten stammen alle von da unten. Sie sehen äußerlich ^zwar alle etwas wild aus (17-20 Jahre), sind aber bei näherem Zusehen und Hinhören ganz brauchbare Burschen. Sie haben sich freiwillig zur Marine gemeldet. Das Kino wurde in unsrer Kantine vorgeführt, ein Schmuckkästchen, wie man es in diesen Baracken nicht vermutet.
Du, Dein lieber Bote von gestern ist schon wieder hier — ist doch eine schnelle Verbindung — Du — wenn Du mit solcher Vehemenz (=Ungestüm) ankommst, möchte mir jetzt schon Angst werden.
Geliebte Du! Ich bin Dir so dankbar, daß Du mir alles anvertraust! Daß Du die Einladung zu M.s so entschlossen abgeschlagen hast. Freut mich zum 1.) darum: Du bist nicht der Lückenbüßer für die ganze Verwandtschaft. Und zum 2.): Du weißt schon, der Onkel M. ist uns beiden nicht geheuer. Herzliebes, Du! Ich glaube, das hättest früher nicht gebraucht. Nun kann ich ganz ruhig schlafen.
Daß die Geschäfte mit dem Möbelhändler so glatt abgewickelt wurden, freut mich.
Der Schreibermaat, der morgen auf Urlaub fährt, erhielt heute von seinem Betrieb 200 ℛℳ geschickt. Ich habe mich mit gefreut. Mußte nur daran denken, wie dankbar unser Betriebsführer Vater Staat sich stellt. Es hat sich noch immer nichts gerührt.
Herzliebes! Die Großmutter ist es nicht, die mich zum Aufhalten nötigt, aber die Trillerpfeife und U.v.D. (Uoffz. vom Dienst): "Antreten zur Abendrunde!" Ich bin auch wieder auf meine Seitenzahl gekommen.
Du! Geliebte! Gott behüte Dich mir! Ich bin so glücklich mit Dir! Daß Du nun kommen willst! Glaubst es, ebenso gern käme ich zu Dir, ich ließe mich nicht halten. Aber von Dir ist es doch mutiger. Du liebst mich so sehr! Du! Ich glaub, die ersten Minuten werden wir wohl erst ein bissel weinen vor Freude, ich helf Dir dabei, und wir küssen uns die Tränen ab, Du! Wird das ein Küssen! Du!! Herzliebes! Holde mein! Ich bin dein [Roland]! Ich warte auf Dich! Komm, komm!! Gott halte die Hände über uns. Du! Ich liebe Dich mit der ganzen Kraft meines Herzens. Meine [Hilde]! Meine liebe Frau! Mein Weib!
Ich bin in aller Liebe und Treue
Dein [Roland]! Meine Holde!!
[* = über der Zeile mit den Zeitangaben steht D (für die Zugart D-Zug)]
- Anmelden oder Registrieren, um Kommentare verfassen zu können
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946