Mittwoch, am 6. November 1940.
Herzallerliebster! Mein lieber, geliebter [Roland]! Du!
Es ist mir garnicht so leicht, jetzt am Faden weiterzuspinnen, den ich gestern fallen ließ. Du!
Daß Du eine ganz, ganz große, heimliche Freude in mir angezündet hast, Du!! Das weißt Du, Liebster! Und sie erfüllt mich so sehr, beglückt mich so sehr. Die Worte, die ich nun darüber schreiben wollte, sie dünken mich so schwach, sie können doch garnicht das Dir sagen, was mein Inneres bewegt, Herzallerliebster!
So wie unser Wiedersehen und die ganzen großen und kleinen Vorbereitungen dabei, Dich ganz ausfüllen, ganz beanspruchen mit allen Sinnen, genau so erlebe ich das jetzt mit Dir Herzlieb, Du! Ich bin so sehr froh, bin Dir ja so dankbar, daß Du mir all Deine Eindrücke so genau schilderst, Du! In meiner Gedankenwelt lebe ich doch ganz fest mit Dir zusammen, mein Roland! Ich sehe Dich, sehe Dich in dieser Landschaft, der nordischen, die Du doch liebhaben kannst, weil Du den nordischen Wesen vertrauter bist, als irgend einem [sic] anderen. Dich wird auch die Ärmlichkeit, die man, [sic] da auf dem Lande allenthalben antreffen wird, nicht befremden. Ebenso wenig wie mich. Du bist nicht anspruchsvoll dem Leben gegenüber, hierin. Und was kümmert uns denn auch Luxus und gediegene Einrichtung, wenn wir einander nahe sind, wenn wir Wiedersehen feiern?
Du! Du! Nichts als ein Stübchen für uns allein wollen wir, ein kleines braucht's nur zu sein. Wenn es an Sauberkeit gebricht, wofür hast denn Deine [Hilde] mit dabei? Du! Sie wird schon die Tage, die sie das Stübchen inne hat sorgen, daß es ein kleines Reich für uns wird; gemütlich soll's schon sein bei mir, wenn mich mein Herzlieb besuchen kommt!
Und das Licht? Du! Brauchen wir denn hundert Kerzen? Du!! Wenn ich nur soviel Helligkeit habe, damit ich Dein liebes Gesicht sehen kann! Mein [Roland]! Daß ich Dich bei mir fühlen kann, dazu kann es ruhig ein wenig finster sein. Du!! Wir werden in diesen paar Stunden, die Du bei mir zu Besuch weilst, bei mir Du!, doch nicht etwa arbeiten wollen!, schreiben oder so, wo wir gutes Licht brauchen?? Du! Was wird Dein Vater sagen, wenn ich ihn um seinen Lichtervorrat angehe?? Er hat doch sowieso schon immer geschimpft, wenn ich vom Reisen sprach! Ach Du! Wie ich mich doch sehr freue!! Du!! Ich bin aber doch noch demütig, im Gebet. Das vergesse ich nie, mein [Roland]. Ich glaube ja so felsenfest an unser Wiedersehen in 17 Tagen – ja Du, soviel sind's bis zu dem Sonnabend, da ich bei Dir eintreffen würde!
Ich kann mir garnicht vorstellen, warum unsere Hoffnung und heimliche Freude zerschlagen werden sollte. Du!! Es wissen bis jetzt bloß Mutsch und Papa.
Die nächsten Verschworenen sind Deine lieben Eltern. Sonst erfährt so keiner. Erst, wenn ich bei Dir bin, schreib ich ihnen einen Gruß.
Ach mein Geliebter! Mein [Roland], Du! Auch ich verliere mich immer mehr in Einzelheiten und ich werde immer unruhiger, immer sehnsüchtiger denk ich an Dich!
Und ich will doch so ruhig und still warten, bis zur Erfüllung. Ich kann es nicht. Ich schlafe schon nicht mehr tief. Immer bin ich paarmal wach nachts und dann muß ich so sehr an Dich denken, Du!! Vorgestern nacht war ja so in fürterlicher [sic] Sturm bei uns, ich habe immerzu die Hände gefaltet, vor Angst. Ganz unheimlich. Nachts um 3 begann es, bis gegen 6 morgens. Der Himmel sah ganz schwarz aus. Geblitzt hat es so sehr, — schundenlang [sic] war es hell — auch gedonnert. Und der Regen kam nicht. Der Schnee ist wieder Weg. Bei uns bebte alles. Und welcher Schaden allerorts! Die Dachdecker können nicht genug arbeiten. Zäune, Bäume, Stämme sind umgestürzt. Bei Papa draußen sind die Verdunklungsvorrichtungen, die außen angebracht waren bis zum Güterbahnhof abgetrieben vom Sturm. Fenster, Oberlichtfenster eindrückt. Er wäre beinah von einem herabstürzenden großen Rahmen getroffen worden. Und das Licht setzte aus, die Motoren der Nachtarbeiter.
Es war, als ob die Hölle los sei. Früh dann war es richtig unheimlich ruhig draußen. Stürmisch ist es heute noch, aber bei weitem nicht mehr so schlimm.
Nun kann ich mir einen kleinen Begriff machen, wie es bei Euch wohl stürmen mag, da draußen.
Gut, daß die Bewohner ihre Dächer alle so tief heruntergehend bauten. Die halten schon was aus.
Auf Deiner kl. Ansichtskarte ist es auch zu sehen, besonders das Kirchendach ist so groß. Was steht denn für ein rundes Gebäude da, unweit der Kirche?
Du! Die Eltern freuten sich über die Karte! Sie danken Dir auch schön durch mich. Mutsch will Dir überhaupt noch mal schreiben — von wegen der Verhaltungsmaßregeln für mich — Du!! Paß nur auf, ob doch wohl auch was über die wollnen Strümpfe mit drin steht?!
Ich will schon vernünftig und lieb der Eltern Bedenken zerstreuen, mein Dickerle!! Sie meinen´s vielleicht garnicht so wörtlich strenge, aber sie sorgen sich nun mal um ihr Einziges. Aber sie können bestimmt verstehen, daß wir beiden nun Sehnsucht nacheinander haben; denn so überraschend kam ihnen die Eröffnung nicht, wie ich dachte, daß ich zu Dir kommen will.
Ach, die wissen doch ganz genau von früher, wie das so ist, wenn man sich so lieb hat, Du!!
Nachher will ich noch zum Photograf. Ich brauch ja einen Ausweis für die lange Reise — auch im übrigen — ich muß mich doch jederzeit ausweisen können; man weiß auch nicht, was vorkommt. Eine Kennkarte — ist mir zu umständlich, das dauert so lange.
Ich lasse mir einen Postausweis ausstellen, der gilt 3 3 [sic] Jahre. Ist ebenso ausschlaggebend wie die Kennkarte. Hanni W. besitzt einen. Da brauch ich nun ein Passbild, ich kann doch kein's mit dem Rosenkranz draufkleben! Auch muß mein Ohr mit draufsein.
Das besorgt der Postmeister drinnen selbst, das Ausstellen. Woran muß ich denn noch denken, Dickerle? Du Vielgereister weißt doch mehr als ich.
Dir zur stillen Beruhigung will ich versichern, daß ich dahinaus gar keinen unnützen Ballast an Garderobe mitschleppen will! Das ist doch bestimmt sehr vernünftig von mir, hm?? Es ist nämlich (jetzt weiß ich's, ohne h) nicht schön, wenn man beim Umsteigen so beladen ist.
Ach mein lieber, lieber, allerliebster Roland! Wenn ich nur erst Deinen endgültigen Bescheid in Händen hätte.
Zunehmender Mond ist heut. Und wenn ich bei Dir bin ist's ganz, ganz finster. Herzallerliebster Du!? Wie w[ar] es gleich? Du bist der Mond, oder ich??
Ach, das ist auch nicht so wichtig.
Aber Du! Dein Gewehr will ich nicht sein!!
Mein lieber, lieber [Roland], Du! Vielleicht kommt Dein lieber Bote heute noch. Ich sehne mich so sehr nach Dir! Ich liebe Dich so sehr! Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen! Mein [Roland]!! Mein [Roland]!!
Ich bin ganz, ganz Deine Holde!
In unverbrüchlicher Treue nur Deine Holde.
Du!! Du!! Bald bin ich bei Dir!!!
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Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946