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[OBF-401110-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 10. November 1940.

Herzallerliebster!! Mein lieber, lieber [Roland]!! Geliebter!!

Nun geht der Sonntag bald zur Neige. Ich hatte mich so gefreut auf ihn, hatte mir soviel vorgenommen, wollte vorarbeiten für die Zeit meiner Abwesenheit! Habe ja noch so eine Menge zu tun an meiner Weihnachtshandarbeit für meine Eltern. 3 Streifen gehören zur Schlafdecke, einer ist fertig, einer halb und den dritten will ich anfangen und bei Dir fertig häkeln!!

Und das alles wollt ich möglichst rasch ein Stück vorwärts bringen, damit ich dann Zeit zum plaudern habe für meinen Liebsten! Um ½ 2 war ich fertig mit meiner Strohwitwenwirtschaft! Papa ist heut vormittag nach Chemnitz, um Mutsch abzuholen. Es war mir lieb, es gefällt mir mal, so ganz allein. Wie schön wir beide hätten heut nun Mittag halten können!! Du!! Ich hab ganz fest Deiner gedacht, als ich einsam am gedeckten Tisch saß.

Und da wäre es bestimmt auch zu einem Mittagsschläfchen gekommen! Aber so habe ich's mir nun nicht geleistet! Ja, ich hab immer denken müssen, so schön ist es dann, wenn du [sic] mit deinem [sic] lieben Dickerle zusammen wohnst. Recht gemütliches Faulenzerstündchen nach dem Essen und hernach raus an die schöne Luft! Ein ganz wunderbarer Tag war nochmal heut, so sonnig und dabei ganz kalt. Der Reif schwand den ganzen Tag über nicht. Wie ich heut früh ½ 8 zum Bauer L. nach Milch ging, hatte ich ein Rotkehlchen gefangen!

Als ich eben fertig war mit meiner Toilette nach Mittag, bekam ich Herrenbesuch!! Mein Vetter Gerhard E., weißt, von der Tante Annel unten. Und der richtete sich nun auch bei mir häuslich ein! Erst wollte er nur sein Hasenfutter holen. Aber dann zog er sich die Jacke aus und meinte: ["]Ach weeßte, bei Dir is scheen, ich bleib bissel da;— bei dir gefällt mersch besser wie bei uns!"  Na, was konnte ich nun schon auf solch Kompliment entgegnen! Wenn ich auch innerlich meinen Sonntagsplan anders vor mir stehen hatte. Er hat mich nun fleißig und angeregt unterhalten — ich häkelte immer feste dabei, daß wenigstens die Zeit nicht verloren war, wenn die Eltern da sind, kann ich's ohnehin nicht vornehmen, soll ja eine Überraschung werden. Aus der Schule erzählte er[,] die armen Lehrer kamen auch mit dran! V. ist oft so gemein, so zähzornig [sic] und hätte ganz schlechte Ausdrücke. Ich staune! Sch. — den kenne ich überhaupt nicht — sei ein politischer Wühler, verhetzt diese Kinder gegen Kirche und Glauben. Möchte den Burschen gern kennen. Von seinem bevorstehenden Beruf erzählte er. Wollte ja Schlosser lernen, hat schon eine sehr gute Stelle in Aussicht, schon fest war es sogar und jetzt mischt sich das Arbeitsamt herein. Von 700 die Schlosser werden wollen können es nur 250, mehr Stellen wären nicht frei. Er bekäme nun durch's Arbeitsamt einen Hinweis was nun mit ihm wird; die Textilbranche würde viel Leute benötigen. Ist das nicht seltsam? Es geht eben jetzt alles. Schade um die jungen Menschen und grad hier in dem Falle, wo eben ein Vater not tät. Lehrer sollen sie werden, Freistellen stehen aus — keiner beißt an. Zustände sind das. Es geht allen garnicht schnell genug, bis sie, 'was sind'. Ja nicht etwa lernen, man könnte was verpassen an Vergnügungen usw., was eben den anderen frei und offen steht. Mögen sie nur so weiter machen, auf das Ende ist man nur mal gespannt. Die jetzt noch tätig sind, werden ja auch mal alt und müssen ihr Werk in junge Hände übergeben. — Aber in unserm Staat stehen ja die klugen an jeder Ecke, wenn einer nur die Führerschnure hat, kann er getrost auch sowas in die Hand nehmen, was?

Mittlerweile kam die Kaffeestunde heran und ich verspürte es auch im Leibe! So lud ich denn meinen jungen Gast ein mitzuhalten. Glaubst aber nicht, wie's ihm geschmeckt hat! Mir hat es soviel Vergnügen bereitet, ihm zuzusehen! Wo wirst Du denn heut Kaffee getrunken haben?

Doch nicht bei Frau Holle? Ach Du! Wenn ich doch heut' mit Dir gewesen wäre!! Um ½ 7 verließ mich mein Besuch, es wär' nun an der Zeit, meinte er!

Du!! Und nun bin ich mutterseelenallein im ganzen Haus!! B.s sind schon zeitig fort, bei ihren Eltern in Bräunsdorf ist die Kirmes. Wenn Du heute bei mir wärst, Du!! Da könnten wir schon mal richtigen Radau vollführen, Dummheiten machen!! Niemand hörte uns! Ach Du!! Mein Lieb!! Wir wollen doch das garnicht!! Wir wären vielmehr ganz, ganz mäuschenstill, nur ganz mit einander beschäftigt!! Und das geht doch alles ohne viel Radau ab? Meinst nicht auch?

Du willst mich doch nur ganz leis, leis küssen!! Du!! Und ich? Wie kann ich denn dann gar so aus der Art schlagen!! Und ich glaub, außer etwas Gutes zum Essen brauchen wir beiden nichts, als ein schönes, breites Sofa!! Du? Oder gleich das Bettlein? Mit dem Sofa ist's doch nischt, da sitzt eins oben, eins unten und da sehn wir uns ja nur von weitem!! Aber im Bettlein, Du!! Da braucht man garnicht egal sitzen und da bist Du ja auch so, so ganz schön, warm, nahe bei mir!! Du!!!

Ach, wenn ich zurückdenke, Du!! Wie so süß waren doch die Stunden, die wir hier in diesen Räumen miteinander erleben durften! Du!! Die Sehnsucht wird so übermächtig groß in mir, wenn ich daran denke! Herzlieb!! Du!! Ich sehne mich ganz sehr, Dir einmal nur wieder ganz zu gehören! Ich schäme mich nicht, wenn ich Dir das so schreibe. Es ist wirklich und wahrhaftig meine Sehnsucht nach Dir ganz groß! Und ich müßte mich übermenschlich zwingen, wenn Du um mich wärest und ich dürfte mich nur küssen lassen von Dir, Du!! Kannst Du das glauben? Kannst Du mir das nachfühlen? Du?? Mein [Roland]?!

Wie nur diese Sehnsucht so mächtig werden kann? Ich habe das doch erst nie empfunden. Es war so anders in mir, ehe Du kamst. Ach Du!! Nun sind es nur noch 12 Tage und dann bin ich bei Dir!! Bei Dir!! Du!! Schon am Donnerstag muß ich also wegfahren, daß ich zum Wochenende schon richtig bei Dir bin! Fein!! Ich habe das so aufgefaßt, am 22. kommst zu mir, eben, daß ich da erst abfahre von zu Haus. So aber ist es wirklich schöner.

Und sonnabends ist noch viel mehr Betrieb auf der Bahn. Nun mö[cht]e ich's auch den Hallensern zu wissen tun. ½ 8 früh fährt mein Zug, ach da kann mich ja Onkel Karl gern an den Zug bringen — eine ½ Std. bis zum Landratsamt genügt, dann beginnt sein Dienst. Wie das mit Deinem Dienst wird? Ach, darum ist mir auch nicht bange, laß' mich nur erst mal dort sein, das regelt sich dann auch noch, ja? Ob mir wahrhaftig einen Wecker brauchen? Du?!! Auf mich kannst Dich da nicht verlassen!! Ich vergesse alles, um mich her!! Du!! Dank für die liebe Aufklärung: Sonne / Mond! Ich hätte Dir mögen noch länger zuhören, so lieb und auch so überzeugend sprichst von dem Gleichnis! Ich will Dir auch nimmer dreinreden, Du! Ich verstehe Dich ganz recht!— Hoffentlich hast nicht zu viel Oberhitze wenn ich komme!! Ich werde schnell braun u. so magst mich ja [n]icht! Ich lasse mich aber dann nicht so schnell heimschicken, wenn ich Dir nimmer gefalle! Was ich anziehe?? O Du! Von Mutsch aus nur Dickes!! Ich bin gespannt, Du! wie das Antwortschreiben von den Eltern ausfällt! So lieb hast geschrieben! Hab Dank! Papa hast schon auf Deiner Seite!! Ja, Garderobe. Ich habe, ich ganz allein!, allerhand noch vor. Das soll derweil genügen. Neugieriges Dickerle? Hm? Nu [sic] grade nich [sic]!!!— Welche von den drei Grazien Du wählst? Ach Du Voreiliger, hast doch schon Hand an eine gelegt, ehe Dich einer fragte darum! Siehst es? Schlingel! Ach Du!! Ich könnt noch ein Weilchen schreiben von meiner großen Freude, Du!!!

Aber ich will Dir ja noch paarmal schreiben u. da muß ich noch was aufheben Du!! Mein Geliebter!! Behüte Dich mir Gott auf allen Wegen! Möge er unser[e]m Glück gnädig sein. Ich liebe, liebe Dich!! Du!! Mein Glück!! Mein Leben!! Ich bin ganz nur Dein!! Ich küsse Dich innig, mein [Roland]!! In Treue immerdar nur

Deine Holde.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946