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[OBF-401215-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 15. Dez. 1940.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Deine trüben Gedanken wollte ich alle verscheuchen, den Schatten wollte ich wehren. Und mir selbst wollte ich wieder einmal Klarheit suchen. Geliebte! An einer großen Entscheidung stehen wir beide. Und es ist nur verständlich und recht, wenn wir nachschauen, wo wir beide stehen, damit wir dann desto sicherer weiterschreiten. Daß unsre Liebe tief und ernst ist, daß sie stark genug ist, ein Kindlein zu tragen, das möchte ich Dir recht deutlich machen. Und daß Dein [Roland] bereit dazu ist, dessen möchte ich Dich ganz versichern. Wenn ich dabei von mir sprechen muß, sollst Du nicht denken, daß ich mich loben will. Ich möchte Dir sagen: daß meine Liebe zu Dir nie erkalten wird.

"Ich liebe Dich!" Bleib! Komm zurück! So begann es. So müßte es beginnen! Dieser Ruf war so wundersam! Geliebte! Du weißt, wie er mich erschütterte. Nie hättest Du gerufen, wenn nicht echte, tiefe Liebe zu mir und eine Wesensverwandtschaft Dich erfüllt hätte.

Der Weg zurück aber, Geliebte, Du weißt es und glaubst es mir, er war nicht immer leicht! Am Ende dieses Weges stand die Rückkehr nach Oberfrohna, die Einkehr in Dein Elternhaus, der Schritt über die Schwelle des Gotteshauses, stand, daß Du ganz Dich mir schenktest. Diese Stationen standen vor meinen Augen schon am Anfang unsrer Freundschaft, und diese Freundschaft selbst faßte ich mit vollem Bewußtsein in ihrer ganzen Verantwortung und ihren Folgen ins Auge. Und ich sah Schwierigkeiten, Hindernisse und Hemmungen, die es zu überwinden galt. Aber ich war der festen Zuversicht, daß ich Kraft gewinnen würde, ihrer Herr zu werden, wenn wir einander nur lieb gewinnen könnten. Geliebte! Wenn es mir nicht ernst gewesen wäre, ich wäre diesen Schwierigkeiten ausgewichen! Das wußte und fühlte und empfand ich, daß ein gutes Weib mit seiner Huld und Hingabe ein ganz großes Geschenk bringt, und daß dieses Geschenk ein starkes Band sein kann für den Bund des Lebens wenn, ja wenn auch dem Manne Gelegenheit gegeben ist, wiederzuschenken und um diese Liebe zu dienen mit allem, was er ist und kann und hat. Geliebte, und dem galt meine Sorge, dem galt unsre Prüfung. Ich war besorgt, daß ich Dich aus ganzem Herzen wieder lieben könnte, daß Du meine Geschenke schätzen und verstehen könntest, daß Du mir in meine Welt folgen könntest, mehr noch, daß sie Dir etwas bedeuten würden, daß Du mich verstehen könntest bis in die feinen Regungen meines Wesens. Geliebte! Wir sind gewandert und miteinander gewandelt. Wir haben geschaut und uns versenkt, haben Theater besucht, Konzerte, haben aus Büchern gelesen, ich habe Dir meine Lieder gesungen, und wir haben in unseren Briefen viele, viele Gedanken getauscht. Herzallerliebste! Wi[r] dürfen sagen, daß wir uns fleißig geprüft haben. Und Herzliebes, Du bist mir gefolgt überallhin, hast meinen Eifer beflügelt, Dir immer neues zu bringen, hast meine Zunge gelöst, Dir immer mehr anzuvertrauen, Dir mein ganzes Sein und Wesen hinzubreiten. Du bist das Menschenkind, das als einziges mich kennt, dem als einzigen ich auch die geheimsten und scheuesten Gedanken vertrauen mag! Liebste, Du bist meine Heimat geworden! Weißt Du, was das bedeutet? Habe ich Dich nicht lieb gewonnen? Ich spüre, und empfinde froh, daß ich Dich mit meinen Geschenken beglücken kann. Geliebte! Du mit dem Geschenk Deiner geheimnisvoll unergründlichen und tiefen Liebe, und ich mit meinen Geschenken; die mir manchmal so gering und arm erscheinen wollen — wir müssen einander ganz lieb haben, wir können nicht mehr voneinander, uns bindet viel mehr als nur flüchtiges Genießen.

Und aus dieser Liebe sind uns viele Kräfte gewachsen, Dir und mir. Geliebte! Ich muß noch einmal an das Bild vom scheuen und eigensinnigen Rehlein meines Wesens denken. Wie Du es gewonnen hast, Schritt um Schritt, bis es Dir folgte in Dein Elternhaus und in Dein Kämmerlein. Rathen, Dresden, Chemnitz, Oberfrohna, nur erst von Ferne, Oberfrohna dann bei Nacht, — und dann — dann auch bei Tage — und immer öfter — und Herzliebes! immer lieber und treuer, ja? Du!!! Meine liebe, liebe [Hilde]!!! Liebste! Der schon als Kind zu niemandem ging und bei niemandem blieb, auch bei Verwandten nicht, nur eben, bei wem er mochte, bei wem er sich heimlich fühlte — der lieber die Freiheit der Fremde und Einsamkeit suchte — er kam zu Dir, er kommt zu Dir, weil er Dich über alles liebt! Weil er bei Dir zu Hause ist wie nirgend wieder auf dieser Welt!

Unsre Liebe war keine Liebe der Straße. Sie ging über uns[e]re Elternhäuser. Und das ist schwerer. Ist aber der Liebe ein gewichtiger, bedeutsamer Prüfstein, und eine sichere Bürgschaft. Geliebte — ich weiß nicht, was geworden wäre, wenn mir Dein Elternhaus nicht gefallen hätte — fest gründen wollte ich unsre Liebe — für alle Zeit — es wäre mir ein großer Kummer und Schmerz gewesen — und ich hätte mich von Dir scheiden müssen. Mein Sinn stand nicht nach Genuß und Abenteuer — er stand nach einer echten, wahren Liebe!

Du besinnst Dich auf die Zeit, da uns beide die sinnliche Liebe in ihren Bann schlug, daß wir beide in Sorge waren, sie mochte uns überwältigen und unsre Freundschaft verfälschen. Ja, Du! Wir haben uns allzeit Sorgen gemacht um unsre Liebe, und haben darum gerungen und sind von dem Willen beseelt, sie immer schöner erblühen zu lassen. Geliebte! Und als Du jetzt bei mir warst, da dachte ich weniger an meine Lust als daran, Dich zu erlösen und glücklich zu machen — aus Liebe! Und das macht mich getrost, daß ich Dich liebend umfing, so wie Du liebend Dich mir gabst. Du!! Und wenn Dein Schoß nun gesegnet ist — nun müssen wir beide wachsen, Vater und Mutter, aus unsrer Liebe werden wir Kraft empfangen — Du! Meine liebe [Hilde] brauchst soviel — und ich — Geliebte! — Wenn ich bei Dir wäre und alles miterleben könnte, Freude und Kummer mit Dir teilen — es wäre auch mir so viel leichter! Soll es nun aus der Ferne sein? Ach Geliebte! Das ist mein ganzer Kummer! Aber ich werde auch ihn überwinden, wenn es sein muß!

Liebste! Der Sonntag geht zu Ende. Ich möchte so gerne bei Dir sein, möchte Dich liebhaben und zu Dir sprechen — ich möchte mit Dir unsre Sorgen tauschen, um neuen Mut zu fassen! Geliebte! Ich sehn[e] mich nach Dir, sehne mich nach meiner Heimat! Bis gegen 3 Uhr hatte ich in der Schreibstube zu tun. Dann bin ich nach E. [sic] gegangen. Es war ein klarer, kalter Tag. Eine Küchenwaage habe ich bekommen. Sie geht morgen mit der Post ab. Bitte schicke mir durch Postanweisung 50 ℛℳ. Ich brauche das Geld nicht notwendig, mag aber auch nicht ganz blank dasitzen. — Du hast nun wieder so viel Arbeit! Bist nun so allein mit Deinen Sorgen und Gedanken! Geliebte!! Herzallerliebste!! Ich bin bei Dir, immer, ich sorge mit Dir!! Vertraue mir! Vertraue Deinem [Roland]! Laß ihn teilnehmen an allem, mein Herzlieb! Ich bitte Dich so Herzlich!! Gott behüte Dich! Er segne unsern Bund! Er schenke uns Kraft und Zuversicht. Bleib froh und gesund, Herzliebes! Dein [Roland] bin ich! Dir in Liebe unlösbar verbunden! Dein! Ganz Dein!! Du mein liebes, schönes Weib, meine liebe, teure [Hilde]!! Herzallerliebste meine!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946