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[OBF-410111-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 11. Januar 1941.

Du! Meine liebe, liebste [Hilde]! Geliebte, Holde mein!!

½ 3 Uhr ist es. Alles sitzt im Kino. Dein Hubo mag nicht. So beim lieben seltenen Tageslichte im Kino, das gefällt mir schon nicht. Der Flimmerfritze, der heute da ist, hat einen miesen Apparat, er hat nicht genug Helligkeit, den Augen tut es weh – und Dein Hubo mag auch keine fremden Geschichten hören und sehen, und immer andre Frauen – er mag nicht – so oft – er mag ganz freiwillig nicht – er sitzt in der Schreibstube - ganz still ist es - und neben ihm liegt der liebe Bote vom Donnerstag, heute mittag kam er, dreimal hat er ihn schon gelesen – Du!! Du!!! Was frag ich da noch nach dem Kino? Was brauche ich da noch fremde Bilder? Wenn mein Herzlieb bei mir ist – so nahe – und mich küßt – und mich so lieb hat, soo lieb – und mir so viel Freude bereitet?! Du!!!!! Du!!!!!

Weißt, jetzt ist gar niemand da, jetzt mußt Dich mir gleich mal bissel auf den Schoß setzen, ja? Du!!! Liebste!! Geliebte!!! So, noch ein bissel hinterrutschen [sic], sonst tust mir weh, weißt! Ja, nun weiß ich ja gar nicht, welches Kleidel Du anhast – wünscht ich mir eben eins – ein neues? Du sprichst davon. Mein Herzlieb in Weiß? Du, wenn es ganz weiß bleibt, dann ist es feierlich - dann muß sich auch der Zuschnitt darnach richten. Ich kann mirs ganz schön denken - einen Florentiner dazu – und den Halsschnitt nicht zu riskant!! Dein Dickerle hat doch gar nicht nötig, da hinein zu kucken, ja? Du!! – Und weil ich grad das liebe Köpfchen sehe, denke ich eben dran – in der Haargeschichte willst wohl kneifen? - - oder mich überraschen? Wenn Du mich überraschen willst, darfst kneifen – sonst mußt Dich stellen! Ja? Du!! Liebes!!! Weißt noch, als Du mir zum erstenmal auf dem Schoß gesessen bist? Du!! Und wie Du mich da angeschaut hast? Du!!! Du!!!!! Weißt Du den Blick noch? Kannst Du ihn noch? Weißt, was er bedeutete? Ich sag Dir’s ins Öhrle: Nimm mich ganz! Du!! Stimmt's?!!!

Du! Weißt, wie es da Deinem Mannerli zumute war? Du!! Wie Deinem Hubo zumute ist, wenn Du ihm auf dem Schoße sitzt? Oh Herzlieb!!!!! Aber Du mußt es sein, nicht irgendein freches Ding. Weißt, wenn wir uns so lieb haben, so eigensinnig, da verliert die Lust das Böse. Die böse Lust schaut nicht lang nach dem Gesicht, fragt wenig nach Namen und Ort, sie schert sich nicht um Gunst, sie will gar nicht beschenken, beglücken – sie jagt und beutet frei und wild, was ihr in den Weg kommt, sie raubt und zerstört ^mir roh und kalt, sie will nur genießen und sich selbst befriedigen, sie ist ein Tier, ein böses, sie ist ein Gift.

Heute müssen wir ganz brav sein. Das Brünnlein ist wieder aufgebrochen aus geheimnisvoller Tiefe, Herzlieb! Ist noch ein fremdes, das mMacht hat über Dich, das Dir Gewalt antut und das Brünnlein fließen macht. Komm, lehn Dein liebes Köpfchen still an mich, und schließ die Augen, ich will leis darüber streichen, über das Köpfchen, und über mein liebes Herzlein und über das böse Bauchel. Tut es Dir wohl? Der Fremde - es ist kein Mensch, sonst wäre ich eifersüchtig, - wir wollen still miteinander warten, bis es vorübergegangen ist. So geheimnisvoll ist es, Liebste! Du!! Meine liebe, liebe [Hilde]!! Zu allen Frauen kommt der Fremde – ein Geist? Des Himmels oder der Erde – wer mag es sagen? Ein Urgesetz, das da waltet, groß und mächtig und tief und dunkel, ein großes Walten wie am Sternenhimmel, kein Mensch kann es hindern, ein tiefer Zusammenhang, eine Heimsuchung? — ein Wunder, Herzlieb, und ich darf es mit Dir erleben, mit meiner lieben Wundergläubigen [Hilde]!! - und so wundergläubig und demütig kann man sie wohl auch nur recht erleben und würdig – nicht wie andre nur als eine hinderliche Störung, als einen Mangel der Schöpfung, als eine Ungelegenheit, als eine Krankheit, die mit allen Mitteln zu bekämpfen ist. Und ich freue mich ja so, daß Du Dein Mannerli alles miterleben läßt, daß das Vertrauen zu einander so groß ist, daß wir darüber reden dürfen, daß Du Dein Mannerli nicht gleich auf die Finger klopfst deshalb. Ach Herzlieb! Unser inniges Vertrautsein, es hat uns einander nicht entfremdet und erkältet – oh nein – es hat unsre Liebe so sehr vertieft – und hinter dem, was Dein Dickerle sehen kann – andächtig, erfüllt von unendlichem Dank, [v]on Glück und Freude – da steht ja erst die Tiefe des Wunders und Geheimnisses - unter dem Herzlein, das Dein [Roland] beseligt fühlen darf, da schlägt mir ja das unsichtbare, liebe, teure Herz – und Dein teurer Schoß, er ist ja nur das sichtbare Zeichen der Krönung unsres Glückes, das Zeichen des Heimes, der Traute, des Nestes aller irdischen Hoffnung und Glückseligkeit – und das Schlüsslein? Du magst mirs deuten! Ja? Du!! – Herzlieb! Verstehst mich recht? - Zeichen ist es uns nur – und so muß es sein, wenn wir glücklich sein wollen. Zeichen nur, nicht Sinn der Liebe; Gefäß nur, nicht ihr Inhalt; Diener nur, nicht Herr.

Du!! Ich glaube das Fremde, dieser fremde Geist, der da vorübergeht, ist ein guter Geist. Ein neues Röslein steckt er an im Gärtlein – neues Sehnen weckt er!! Den Brunnen tut er auf; von dunkler unendlicher Tiefe und Heimlichkeit scheint er mir, im Weltengeheimnis liegt seine Quelle. Lehn Dich fest an mich Herzlieb!! Damit wir uns nicht verlieren in der großen Welt! Ach Du!! Ich weiß es ja: alles Sehnen, das herausquillt aus der Tiefe, es geht zu mir, es drängt zu mir! Du!!! Du!!!!! Wie glücklich macht solche Gewißheit!!

Wovon soll ich Dir denn noch erzählen jetzt? Eigentlich bist Du nun mal dran. Weißt, ich mußt es heute denken: ich glaube, es kommen noch Tage, wo wir gar nicht soviel Zeit haben zum Erzählen, wie wir sie uns jetzt nehmen, Zeit zu so viel schönen Stunden – andersherum: wenn man nur recht sehr will und sich die Zeit nimmt und nicht sich nehmen läßt, dann werden sie doch frei - - und das wollen wir uns merken, ja? Du!! Ach Herzlieb!! Alle Stunden, die ich Dir versagen muß, sie dünken mir verloren und vergeudet. Wir werden ja doch gar nicht fertig mit dem Erzählen – und mit dem Liebhaben! Du!! Wenn wir werden erst immer umeinandersein [sic] dürfen, Du!! 12 lange Stunden bei Tage - und 12 lange Stunden bei Nacht! Du!!! Immer Dein liebes Wesen um mich! Deinen Gang! Deine Stimme! Das Pochen Deines Herzleins und den Hauc[h] Deines Atems!! Herzlieb!! Dann erst bist Du ganz mein! Dann ist Heimat und Ruhe und Geborgenheit, Geliebte!! Wenn ich dann jeden Augenblick die Gewißheit mir holen kann – brauche nur hinüberzulangen ins Bettlein, und wenn es bloß das Stupsnäschen ist von meinem lieben Bub, das ich erwische – Du!!! Ist ja gar kein Stupsnäschen, ist genau das Näschen für mein [Hilde]lieb, paßt ja gar kein andres dran! – Siehst, Dein [Roland] weiß nichts mehr Gescheites – nun mußt ihn fortschicken - oder sitzen lassen - oder wir müssen uns anders unterhalten - singen! Du!! – Ich ein Lied – und Du eins – ich laß Dir auch den Vortritt – ich sing Dir aber auch Mut an – wie Du willst. Herzlieb! Du hast mir noch immer nichts vorgesungen! – Hast doch auch Deinen Eigensinn – Dein Bote vom Freitag (ja ja! Ich habe ihn schon!) beweist es mir – und er gefällt mir, Dein Eigensinn – aber singen mußt doch einmal! – was Du mir noch sonst als Geheimnis vorenthältst, das krieg ich schon noch raus – mit List, oder im Guten, oder im Traum – ja, ja!! Auch das Dickköpfchen von meinem [Hilde]lieb läßt sich erweichen – ist ja gar kein Dickköpfchen, ist ja nur der Eigensinn – die letzte Wehr dagegen, daß der Hubo Dich ganz auffrisst vor Liebe, Du!! Ja und wenn wir nun gesungen haben? – Nun ist's wieder still! – Ach Herzlieb, Du!! Dann beginnt ja erst die schönste Unterhaltung – dann ist ja erst die Stunde, da Herz zu Herzen sprechen kann. Du!! Du!!!

Nun ist es abend, da ich weiterschreibe. Du sitzt gewiß auch über dem Papier. Um 5 Uhr bin ich dienstlich nach Eckernförde gegangen. Ich erbot mich dazu: es ist mild heute, schöne Luft, wenn es weiterhin so bleibt, ein harmloser, luftiger Winter. Heute gegen Mittag hat es kräftig getaut. Hier könntest nicht Schneeschuhlaufen. Auf dem Wege zur Stadt begegnete ich dem Kantinier mit der Abendpost. Er gab mir Deinen lieben Boten – und dem bekannten Wege folgend habe ich ihn gelesen – studiert besser – ja, muß mich doch erst auf alle Unarten wieder besinnen und auf die Gedankengespinste, in denen mein Herzlieb sich fangen sollte, und die es nun auseinanderpuhlt (ein norddeutscher Ausdruck) [sic] und nun mir wieder über den Kopf schlingen will. Manchmal macht sie richtig Spaß, die Kampelei.

Einen Bademeister braucht mein Herzlieb! Das war kein Spaß, hab ich schon gemerkt. Da ist guter Rat teuer. Mußt mal annoncieren in Deinem Boten. Ich wüßte ja einen – Nichtschwimmer, der läßt Dich ruhig im Wasser – verschwiegen wie ein Grab – kühl bis ans Herz hinan – wasserscheu – weit über das gefährliche Alter hinaus – unbestechlich – wenn Du den brauchen kannst? – Siehst, siehst! Erst hast Du ihn fortgeschickt! – Und nun mein Skihaserl, mein Bub in Pumphosen – was hat er für ein paar stramme Hüften! Und die Hände in den Taschen, wie ein richtiger Bub! Und steht da mitten in einem klirrenden, krachenden, frostigen Märchenwinter – ohne seinen Hubo – und friert nicht einmal!! Und auf einem Bild da setzt er an, wen will er da wohl umrennen, mein Bub, mein Herzensbub, so schwer bewaffnet mit 2 Stöcken gleich? Ach Herzlieb! Wieviel Wünsche werden nun wach und laut in mir, sie enden alle mit dem gleichen Kehrreim: Bei Dir sein, bei Dir!!! Herzlieb, sie ist so groß in mir, die Sehnsucht, und ich fühle es, sie springt herüber und hinüber von Dir zu mir!! Aber fein still sein – und heute gleich gar. Nun bist wieder glücklich heim von der Butterhamsterfahrt – ich merke es – nun bist fertig und machst es Dir gemütlich – und nun möchte ich bei Dir sein – auch heute, ja, Du!! So gern, sooo gern!!! Nur ganz brav neben Dir sitzen – oder Dir gegenüber – wie früher – Du!!! Herzlieb, bald, bald! Wir warten getreulich miteinander und hoffen und nähren lieb unsere Freude.

Herzallerallerliebste! Gott sei mir Dir! Er sei mit uns und halte uns demütig in unserem großen Glücke. Ihm wollen wir es danken, ihm es weisen, dann kann es uns nie verloren gehen.

Dein [Roland] ist immer um Dich! Immer! Du!!! Und in diesen Tagen nun Dich still und wundergläubig und zärtlich - und soo froh und glücklich!! Mein Lieb!! Herzlieb!!! Ganz weit öffnet er die Arme, damit er sie alle fassen kann, Deine Sehnsucht und Liebe. Herzlieb!!! Kein Sehnen will er verlieren - und alle will er sie stillen – Herzlieb!! Immer gerader und schärfer richtet sich alles Sinnen und Sehnen auf Dich Geliebte!! Auf Dich!!! Ein scharfer, mächtiger Strahl – ein Leben zündender Sonnenstrahl über dem Gefild meines lieben Weibes!!! Du, nun hab ich es gleich noch selber gedeutet, das Zeichen des Schlüssleins! Ist es wohl richtig so? – Geliebte!! Meine [Hilde]!!! Du!! Ich habe Dich so sehr lieb!! Ganz, ganz so sehr lieb!!! Bald komm ich zu Dir, Du!!! Zu Dir!!!! Du bist mein!!! Ich fühle es: Du kannst mich nie verlassen!!! Und Dein [Roland]? Er hängt ganz sehr an Dir – er hat Dich unendlich lieb gewonnen!!! Er läßt Dich nimmer, nimmermehr. Du und ich! Geliebte!! Eins sind wir – wie man nur einmal auf dieser Erde so eins sein kann. Du!! Ich küsse Dich! Ich liebe, liebe Dich!! Aus ganzem Herzen!! Meine [Hilde]!!!!!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946