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[OBF-410406-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend/Sonntag, den 6. April 1941

Meine liebe, liebste [Hilde], Du! Geliebte, Holde mein!!

Es ist Sonntag in der stillen Morgenfrühe. Unser Zimmer hat die Fenster nach Osten, und die Strahlen der Morgensonne künden einen neuen Tag. Alle Tage kommt sie, die liebe Sonne – und bleibt – und scheint und wärmt – noch keinen trüben Tag haben wir hier erlebt, noch keinen Regen. Man sehnt sich richtig danach, diese ganze Landschaft und Straßen und Dörfer pitschenaß zu sein [sic].

Immer staubiger werden die Straßen – und die armen Soldaten, die auf ihnen sich bewegen müssen, sehen aus wie die Müller samt ihren Fahrzeugen. Kilometerweit kann man eine solche Kolonne an der riesigen Staubwolke verfolgen. Gestern war ein heißer Sommertag. Obwohl es nicht regnet, belauben sich nun die Bäume. Nicht lange wird das Auge sich des zarten Grüns erfreuen können, dann wird es welk und staub – und man kann schon das Bild des Sommers vorahnen: sengende Glut, glühender Stein, ausgedörrte Fluren – ein wenig trostlos. Wir werden dann hoffentlich an einem kühlen Gestade weilen.

Gestern sind wir nach 2 Uhr ausgeflogen. Es war gutes Photowetter für Nahaufnahmen, und der Hubo war eifrig beschäftigt, das schönste und eigenartigste im Bilde festzuhalten – und er dachte dabei immer an sein [Hilde]lieb, das nun als erste den Erfolg sehen soll, oder den Mißerfolg. Wir wandten uns zuerst nach dem alten Stadtteil – kamen an einer Schulklasse vorüber, die im Freien zeichnete. Der Lehrer konnte französisch sprechen und gab uns einen Jungen mit, der uns zu den historischen Stätten (Erinnerungen an die Zeit der Türkenherrschaft, wenig nur) führen sollte. Die Gassen, die Häuschen, das Tor, sie sind aus der Altstadt. Der erste Teil unsres Weges endete dann auf einem Aussichtspunkt mit ein paar schönen Ausblicken auf die Stadt, auch auf die Maritza, die jedoch in ungünstigem Lichte lag. Durch ein ziemlich unverfälscht bulgarisches Viertel – schmutzig und kunterbunt – gelangten wir dann zur Moschee. Dein Hubo hat des Photographierens wegen sie noch einmal bestiegen, Du wirst die Aufnahmen leicht herausfinden. Halt! Da habe ich vergessen[:] Zuvor regten sich Gewissen und Eitelkeit der drei Sachsenmänner. Wir sagten uns: die Frauen werden sich gewiß für die Sehenswürdigkeiten interessieren – aber am liebsten werden sie doch ihre Männer auf dem Bilde sehen, mit Hut, ohne Hut. Der Hubo hatte vorausschauend sich frisch rasiert, die Haare schneiden lassen, einen neuen Kragen umgebunden – hat aber den Kamm vergessen und die Tabelle für die Nahaufnahmen – und so bleibt der Ausgang der Geschichte wieder ungewiß.

Nun war die Hauptarbeit getan. Ein wenig müde und nach Ruhe verlangend erstiegen wir einen der Stadtberge. Ein paar Bilder auch noch von da, auf dem letzten ein vierter Matrose, [der] sich zu uns gesellte. Gegen 7 Uhr zogen wir zu Tale, hatten noch eine Besorgung beim Photohändler, dann gings heimwärts zu den Leuten, die sich meiner Wäsche angenommen hatten. Beinahe 2 Stunden haben wir dort gesessen – und haben uns unterhalten mit bulgarisch – deutschen Übungen. Ein Herr war da, der sich ganz entfernt auf seine deutschen Sprachkenntnisse aus seiner Schulzeit besann und dafür sorgte, daß die Unterhaltung nicht ins Stocken geriet. Wir haben doch nun Wörterbücher und könnten uns einige Brocken aneignen. Aber weißt, wir sind richtig zu faul dazu, weil wir es nicht nötig hab[en], wir lassen lieber die Bulgaren sich mit dem Deutschen abmühen.

So wurde es beinahe 10 Uhr, daß wir heimkehrten, müde und durstig. Im Kochgeschirr hatte ich mir Kaffee aufgehoben.

Und mein Herzlieb unterdessen? Ach, es war immer mit mir gestern – und ich wollte, ich könnte ihm etwas von dem Sonnenreichtum schicken, daß seine trüben Tage und Stunden erhellt werden. Gestern erhielt ich Deinen lieben Boten vom 25. März, mein Lieb, mein Herzlieb, mein [Hilde]lieb, den mit den Tränen. Mein liebes, armes Weib! Mein liebes junges Weib! Es muß sich so sehnen! Du! Du!! Wie sooo lieb hast Du mich, sooo innig und wundersam lieb!

Ich möchte mich so darüber freuen in der Fremde. Aber nun hast Du soviel Schmerzen um unsre Liebe – Du!! Wie später vielleicht um unser Kindlein auch, Du!! Du!!! Aber dann bin ich bei Dir! Dein [Roland] hilft Dir tragen und warten, ganz lieb wird er Dich streicheln, oh, soo lieb, sein geliebtes Weib! Dann darfst Du bei mir sein, und Dich ausruhen und ausweinen, Geliebte!! Du! Denk an unser Kindlein bei Deinem Schmerz!!! Du!!!!! Oder denk sonst an etwas Liebes in unserem künftigen Leben – oder denk an die Geschichte unserer Liebe. So findet auch Dein [Roland] sich leichter wieder, wenn er all die vielen Bilder sich zurückruft, an sich vorüberziehen läßt, die vielen, lieben Erinnerungen. Dann wird ihm wieder ganz heimatlich. Dann erscheinen auch Vater und Mutter, erscheinen die Großmütter, die Brüder und liebe Menschen sonst, die um unser Glück wissen, deren betende Hände mit den unseren sich vereinen – Geliebte, Du stehst nicht allein mit Deiner Sorge, viel liebe, segnende Blicke die unser Glück besonnen. Und über allen Gottes waltende Gnade.

Herzlieb! Gestern abend habe ich erschrocken daran gedacht, daß doch in 8 Tagen schon das liebe Osterfest ist! Und diese Woche schon die Karwoche, die feierliche, mit dem dunklen Karfreitag, aber dahinter verheißungsvoll strahlend der Tag des Ostern, der Auferstehung, eigentlich mehr noch und ernster, gewaltiger von Gottes Güte und Gnade kündend. Ich bin gespannt, ob wir diese Feiertage mithalten werden hier im fremden Lande. Bei den griechisch - katholischen Bulgaren liegt Ostern meines Wissens etwas später.

Herzlieb! Laß Dir recht viel Osterfreude und Ostergewißheit in Dein Herz ein! Gott waltet über allem! Ohne ihn geschieht nichts! Und er waltet weise und gerecht – und gütig aus der Fülle seiner Allmacht. Er wird mich zurückführen zu Dir! Er wird uns zusammenführen! Er wird uns führen, daß wir uns wundern werden und aus Herzensgrund ihn loben müssen und ihm danken!! Er schenke Dir ein gläubiges, starkes Herze, Du meine liebe, liebste [Hilde]!!

Ach, ich bin nicht erschrocken über Deinen Brief und er hat mich auch nicht mehr traurig gemacht. Nach den Briefen vorher ahnte ich schon, daß dieses quälende, endlose Warten, in der Heimat doppelt quälend, Dir trübe Stunden bringen würde. Aber nun, so hoffe ich doch bestimmt, heute, bist Du erlöst von allem Schmerz! Geliebte!! Ich bitte Dich so sehr, Herzlieb! Komm wieder zu mir mit Deinem Schmerz, mit Deiner Sorge – ich will auch zu Dir kommen. Du hast es mit mir erfahren; es macht uns stärker, es macht uns wach, die Sorge um das andere. Sie drücken mich nicht, Deine Sorgen, Dein Schmerz, Geliebte!!! Aber sie lassen mein Herz höher schlagen in dem Bewußtsein, daß Du mir so lieb vertraust – und lassen mich dann auch Trost finden.

Mein liebes teures Weib! Ich darf hoffen, daß nun mein Bote wieder täglich und regelmäßig zu Dir kommt, so wie ich ihn abschicke; daß Du wenigstens täglich mit einem rechnen kannst. Ich vergesse Dich nicht! Du!!!!!!!!!!!!! Und ich sinne darauf, wie ich Dich mehr noch teilnehmen lasse an meinem Erleben.

Die 4 Filme von gestern schicke ich ab. Wir dürfen Briefe und Päckchen bis zu 100 g aufgeben. Hoffentlich kommen sie gut an. Wie ich denke, daß Du nun verfährst, will ich Dir im nächsten Boten sagen.

Und nun wünsche ich Dir, Herzlieb, und den lieben Eltern von ganzem Herzen ein recht gesegnetes, frohes Osterfest. Ganz lieb will ich Deiner, Eurer, denken Herzlieb!!! Ich bleibe der Heimat treu!!!!! Und gerade das liebe Osterfest wird sie besonders zurückrufen – der Frühling in der Heimat, das Erwachen draußen, es ist tausendmal wunderreicher und zarter und schöner – Geliebte! So wie Du, mein liebes Weib; tausendmal lieber und wunderreicher und schöner als alle Frauen hier, so wie unsre Liebe!! Herzlieb!! Ich will es nicht sagen, wie ich mich sehne, will es uns nicht schwer machen. Dein bin ich!! Dein [Roland]!! Ganz Dein! Immer und ewig!! Möchte Dir diese Gewißheit Sonne sein, so wie mir, oh Geliebte! wie mir die Deiner unendlichen Liebe!! Ich liebe Dich! Und unsre Liebe, Gott im Himmel sieht und weiß sie, sie wird uns zusammenführen! Gott walte es, daß es möge bald geschehen!!! Ich küsse Dich! Du!!! Ich möchte dich ganz sehr liebhaben Du!!!

Ich bin Dein [Roland] in unverbrüchlicher Liebe und Treue!!!!

Und Du bist meine liebe [Hilde]!!

Ich denke eben, daß die Eltern nun vielleicht ihren Besuch nachholen.

Heute schicke ich die versprochenen Negative außer einem, das noch nachkommt!

Herzlieb! Du!! Ich hab Dich ganz sehr lieb!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946