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[OBF-410407-001-02]
Briefkorpus

Montag, den 7. April 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzleib, Geliebte mein!!

Nun warte ich so wie Du auf den lieben Boten, der mir kündet, daß Du erlöst wurdest von dem quälenden, ungewissen Warten. Herzlieb! Möchte Dich die Freude darüber reich entschädigen, daß all die lieben Zeilen von Deiner Hand mich antreffen bei bestem Wohlbefinden, daß sie mich reich beglücken, daß Deine lieben Boten alles getreulich bestellen, wie Du ihnen den Auftrag gabest. Und nun findet es schon schneller zu mir. Denk, drei liebe Boten erreichten mich heute, der letzte, in dem Du mir von Deinem Sonntag berichtest. Sei tausendmal lieb bedankt, Du!!! 8 Tage ist also die kürzeste Reise bisher.

Meine liebe [Hilde]! Ich verstehe alle Deine lieben Sorgen, und darf Dir berichten, daß es mir gut geht. Mit der etwas mißlichen Unterbringung habe wir uns einigermaßen abgefunden. Die neue Uniform mit ihren allerlei Schikanen und ihrer Schmutzempfindlichkeit hält uns dauernd in Trab, läßt Langeweile nie aufkommen. Ist ein Stück sauber, ist das andre unterdessen verdreckt, und bemüht man sich um den neuen Dreck, dann ist die Hand beschmutzt, und dann entdeckt man, daß das Handtuch reif ist – ein Kreislauf ohne Ende, und man muß nur aufpassen, daß das Reinigen mit dem Schmutzen einigermaßen Schritt hält. Den neuesten Kummer bereitet uns der weiße Mützenüberzug. Einmal auf unser ‚Parkett' gefallen – hin ist er. Aber über dieses Mißgeschick tröstet die Kameradschaft lachend und schimpfend gut hinweg.

Kameradschaft: Herzlieb! Sie ist unter uns in reichem Maße, und auch Dein [Roland] hat teil daran und hat davon schon viel Hilfe erfahren. Ich erlebe sie ein wenig anders vielleicht, als Du denkst. Will versuchen, es Dir klar zu machen. Mein bester Kamerad, meines Herzens Vertrauter bleibst Du, Herzliebes, niemand anders kann es werden. Und in diesem Sinne bleibe ich allein. Niemandem könnte ich mich so anvertrauen wie Dir, niemandem die Geheimnisse // unsrer Liebe preisgeben.

Das gemeinsame Erleben schon bildet Kameradschaft. Jeder findet sich anders mit den mancherlei Situationen ab je nach Temperament, Alter. Und so lernt man einander kennen, die Eigenarten treten hervor, und jeder einzelne hat im Kreise der Stube seinen Platz, sein Gesicht, sei es hassens- oder liebenswert, es gehört dazu, und sein Verlust würde irgendeine Lücke reißen. Es tritt so viel wahres Menschenwesen zutage.

In meiner Stube liegen alle sogenannten Funktionäre der Kompanie. Dazu gehören die Schreiber, Telefonisten, Handwerker. Es ist eine gewisse Auslese und viel patente Kerle darunter, die meisten doch wenigstens mit einer guten Seite. Es gehören dazu auch meist die älteren Soldaten.

Da ist der Dentischt (Dentist) [sic], ein Schwabe, ein ganz patenter, liebenswerter Mensch mit einem gesunden Lebensmut. Schlitzohr - betrunken ein Ekel Da ist wieder ein Berliner, der sich durch dieses Soldatenleben schlängelt als Mann für alles, der in heiklen Situationen doch immer einen Druckposten auf Lager hat – und trotzdem nicht auf den Mund gefallen ist. Da ist ein blonder Hamburger Junge, ein schlauer Kopf und wachsamer Kerl, durch mancherlei Erfahrungen beim Komiß gewitzt, sodaß es mir von Vorteil sein kann, auf ihn ein wenig zu sehen.

Da ist unser H., seines Zeichens Schnapsbrenner. Bebrillt, mit einem gewichtigen Gang, hielt ich ihn anfangs für einen Gelehrten. Der arme Kerl ist auch an die 40, absolut kein Soldat, erst 8 Wochen dabei, mit kranken Augen als Kraftfahrer! eingezogen, nun als Hilfskraft in die Schreibstube übernommen, reichlich ungeschickt. Ihm fällt alles besonders schwer, trotzdem läßt er sich nicht unterkriegen und – die Komik vollzumachen – behält er immer seine steife, gravitätische Haltung. Wir haben schon oft über ihn gelacht – und dabei haben weniger Ungeschickte sich an seinem Ungeschick getröstet.

Da ist der blonde [Ost]preuße mit dem Mädchengesicht S., unser Frisör, er liegt unter mir, ein ruhiger, (anständiger), friedliebender Mensch, solange ich ihn sehe, könnte ich nie ganz traurig werden.

Herzlieb! So erlebe ich die Kameradschaft – so trage auch ich mein Gesicht und habe meinen Platz in diesem Kreise, auch in den Augen der Kameraden. Und tröstlich: die meisten ließen ein[e] bessere Welt zurück in der Heimat, die sie zurückwünschen und ersehnen. Herzlieb! Wennschon [sic] der Kummer zu mir kommen wollte, ich wäre nie allein mit ihm. Darum bitte ich Dich, mach Dir keine Sorgen. Viel hilfreiche Kameraden sind um mich, denen ich schon manche Gefälligkeit danke: Und das wird so bleiben. Wie ein Ring ist diese Kameradschaft – der Starke hält den Schwachen, aber auch der Schwache hat seine Sendung, und Hilfe kann schon sein, wenn man den anderen nur sieht.

Herzlieb! Ich wollte nun heute mal mit Tinte versuchen. Da ist eben die Sicherung hopsgegangen und die Schreibstube liegt im Dunkeln. Eine Sicherung liegt nicht da zum Vorrat.

Du erzählst mir von Deinem reichhaltigen Programm, weißt, wie damals zur Kirmes. Ich brauche wohl meine väterlichen Ermahnungen dazu nicht zu wiederholen. Wirst Dir schon alles fein einteilen. Ich verstehe nicht ganz Vaters Pläne – und mit Recht hast Du ihm zu verstehen gegeben, daß Dir ein Sonntag in Gaststätten unterwegs nicht angenehm ist. Ich denke gar nichts Schlimmes – es kommt gewiß auch ihm hart an und er sehnt sich nach Gesellschaft, vielleicht auch, daß er sich aussprechen und erleichtern will – das kann er aber in Eurer Häuslichkeit viel besser. Es freut mich auch, daß Mutter so klar dazu Stellung genommen hat.

Mit Dir freue ich mich, daß Mutter [Nordhoff] nach Oberfrohna kommen will. Ich bin auch mit den Reiseplänen meiner [Hilde] einverstanden und weiß, daß sie mich darüber nicht vergessen wird.

In einen ganz abwegigen Gedanken habt Ihr Euch verbiestert, daß ich eine andre Anschrift bekommen könnte. Das ist gar nicht anzunehmen. Die Feldpostnummer gehört nur zu unsrer Gruppe und wandert mit mir.

Meine liebe, liebste [Hilde]! Du schreibst: "Die Pflicht hat Dich ganz. Ich warte und schweige. Wir müssen hart sein. Einmal wird auch unser Glück wieder aufblühen." Herzlieb, nicht so, nicht ganz so. Ach, Du wirst es spüren, wenn meine lieben Boten kommen. Unser Glück blüht fort. Unsre Liebe lebt. Deine Liebe hält mich mit starken, kräftigen Armen. Unser Sehnen, wir müssen es dämpfen, Dein [Roland] zumal, damit er stark bleibt und wach. Aber wir brauchen nicht resignierend zu entsagen, Geliebte! Du sollst Dein Herz sprechen lassen, sollst zu mir kommen mit Freud und Leid wie immer, Geliebte! Ich bitte Dich darum. Du sollst mir Dein Herz ausschütten und sollst auch schreiben, daß Du Dich sehnst, Geliebte! Du darfst es. Herzallerliebste! Du bist meine Heimat. Kein lieberer Gedanke, kein heißerer Wunsch, kein stärkerer Wille als diese Heimat! Du!! Mein Herzlieb!! Gott behüte Dich! Er segne unseren Bund und führe uns recht bald froh zueinander. Mein Herz schlägt Dir bis zum letzten Schlag in unendlicher Liebe, Treue und Dankbarkeit – Ich bin Dein [Roland] – immer und ewig – Du! Mein Herzlieb!!!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern recht herzlich!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946