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[OBF-410423-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 23. April 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Du mein Herzlieb! Mein liebster [Roland]!

Den 175. Brief schreibe ich Dir heute, mein [Roland]! Den 175. Brief, seit ich bei Dir in Barkelsby war, gerechnet – also seit Dezember schon! 1/3 Jahr ist seitdem vergangen – viel, viel ist geschehen – eines nach dem andern kam, und bestimmt kommt eines Tages genauso in diese Reihenfolge eingeordnet, auch der ersehnte Frieden. Vorhin haben wir die heutige Sondermeldung vernommen, gerade als wir noch bei Tische saßen, meldete der Ansager sie an. Schnell rannte ich nach dem Atlas. Mazedonien, das ist ganz in der Nähe Salonikis', zwei große Armeen haben dort kapituliert. Schlag auf Schlag geht der Vormarsch weiter.

Herzlieb! Heute kam kein Bote von Dir, aber einer an den Vater [Nordhoff], (die Post wird jetzt nach Oberfrohna umgeleitet), Mutter freute sich sehr – sie ging doch bei meinem Postsegen dieser Tage immer leer aus!

Heute machen wir: jeder Tisch für sich! Mutter hat sich den Auszugtisch vorgeholt und schneidet ein Kleid vom Siegfried zu. Und ich schreibe an einem Tisch meinem Herzlieb! Da ist zwar Platz für mich – aber so sehr viel Ruhe, wie ich sonst habe, gibt es nicht. Ich bin nicht böse darum, Mutter fragt mich immer mal nach diesem und jenem, das verstehe ich auch. Nur, Du Herzlieb, wirst merken, daß meine Briefe jetzt ein wenig fahrig ausfallen, Du?! Ein bissel zerstreut? Du! Sei mir nicht böse [Roland]! Ich meine es ja genauso lieb und gut wie immer mit Dir. Wenn ich ganz ungestört allein bin, kann ich mich nur tiefer in Dein liebes Wesen versenken. Ich könnte ja abends schreiben; aber vor 10 Uhr kommen wir nicht ins Bett und dann wird es mir zu spät. Morgens muß ich ja ½ 7 [Uhr] raus, damit ich mit meiner Wirtschaft schön fertig werde. Sonst hilft mir die Mutter mit, wenn sie aufsteht und das will ich nicht, sie soll sich auch mal bissel erholen. Mit ihren Füßen, das will noch immer nicht besser werden. Der Bautzner Arzt hat ihr neue Einlagen gegeben und wenn sie die trägt, schwellt [sic] der Knöchel ganz sehr an. Sie will gleich nochmal hin, wenn sie heimfährt. Ich bearbeite sie schön tüchtig, daß sie ja nicht locker läßt, bis sie wirklich mal Linderung verspürt. Sie hat es auch nun selber satt damit.

Heute abend wollen meine lieben Mütter mit mir in's Kino gehen: Ein Hörbiger-Film "Herzensfreud, Herzensleid" – sol[l] sehr schön sein. Wir werden ja sehen.

Eigentlich wären wir heute in Breitenborn, aber die haben uns abtelegraphiert: „bis Freitag verreist, E.s." so warten wir nun, ob sie uns für einen andern Tag einladen, von selbst melden wir uns nicht nochmal an. Vorhin schrieb Mutter an Hellmuth und Siegfried, da habe ich mich auch gleich mit drangehangen, ich mußte ja sowieso mich bedanken für ihre lieben Briefe. Ach ja, wir 2 [Hilden], wir könnten unser Geld verdienen mit dem Schreiben!

Herzlieb! Wie Du nicht geglaubt hattest, Deine Umgege[n]d jemals richtig herzlich naß zu sehen und Du darum eines noch ganz anderen belehrt wurdest: nämlich Schnee, so ergeht es uns, die wir vom Frühling träumen. Draußen schneit es heute, regnet's, graupelt's, also wirklich: als wollte Weihnachten werden. Wir sind froh, daß wir in der warmen Stube sitzen können und nicht in Breitenborn rumstiefeln müssen bei dem Wetter.

Du berichtest mir von Deiner Kauflust und der Freude über die Sonderauszahlung! Ach Du! Ich würde mich riesig freuen, wenn Du mir irgend etwas schicken könntest, woran ich meine Freude habe. Aber von Deinem Wenigen mag ich nichts abhaben, Du! Das dauert mich! Sag, hast Du das Geld noch nicht bekommen? 2x hab ich welches dazugesteckt! Hoffentlich hat man's nicht herausgenommen?! Du! Wenn Du für dieses Geld etwas kaufen kannst, dann wünschte ich mir am meisten eine schöne Handtasche aus ganz besonders eigenartigem Leder und schön verarbeitet. Glaubst, wenn ich manchmal auf Abbildungen solche schöne Taschen sehe, bin ich ganz begeistert. Und der andre große Wunsch ist: Eine Bulgarenstickereibluse – oder ein Kleid! Da müßte ich aber nochmal Devisen schicken!! Du!! Na, zur Vorsicht: die Größe will ich Dir immer angeben von mir – 44, das paßt mir.

Du Herzlieb! Weil Du mir nun berichtest, daß Du Dir dies oder jenes leistest in einer Konditorei oder sonstwo, da möchte ich Dich doch warnen, bitte, sei ganz vorsichtig damit in Feindesland! Gestern habe ich erfahren, daß ein 20jähriger Soldat in Polen vergiftetes Schweinefleisch gegessen hat und an seine Eltern war Butter unterwegs, die hat man auch vergiftet – ist beschlagnahmt worden von der Polizei; das ist hier in Limbach passiert. Auch in Frankreich haben viele Soldaten vergiftete Schokolade gegessen und liegen in bedenklichem Zustand im Lazarett. Mein [Roland]! Mag es nun übertrieben sein oder nicht – ich bitte Dich aber doch sehr: sei vorsichtig! Iß nur von dem, wo Du weißt, das ist unbedenklicher Genuß: Obst, Konserven, oder am besten nur, was Du in Eurer Kantine kaufen kannst! Ich habe da soviel Angst um Dich! Wo ich Dich nun auch im Feindesland weiß!

Ach Du! Nun etwas Lustiges! Dein Verlust des Urlaubscheines und des Ausweises! Wir haben ja so gelacht, wie Du uns das so schilderst (die Stelle habe ich allen vorgelesen!) Nur gut, daß alles so gut abgegangen ist. Das ist wahr: das ist so das Dümmste, was einem Soldaten passieren kann!

Mein Herzlieb! Die Freude, die so groß in dir brannte über die frohe Nachricht deines Kameraden, von dem UK Antrag, die ließ den Schreck garnicht Macht über Dich gewinnen! Und da bin ich so froh mit Dir, Geliebter! Daß Du genau wie ich so freudig bewegt diese Eröffnung aufnahmst! Ich freue mich mit Dir so von Herzen über diesen Lichtblick, der uns Kraft und Zuversicht schenken soll, weiterhin vertrauensvoll und zuversichtlich auszuharren! Mein lieber, guter [Roland]! Ich freue mich soo mit Dir! Herzlieb! Daß man überhaupt Dich mit führt auf dieser Liste! Das freut mich schon so! Und es sah immer so aus, als wärest Du in Vergessenheit geraten bei denen! Hat also Dein Schreiben doch etwas genützt! Du! Nur D die Hoffnung nicht verlieren, nur die Geduld nicht aufgeben! Daß man mitten im Kriege schon daran denkt – besser, endlich daran denkt – daß Ihr Lehrer doch jetzt schon so notwendig und rar seid! Diese Feststellung machten unsre Lehrer und Erzieher in der Heimat schon längst!

Ach Herzlieb! Wenn nur erst der Frieden näher heran ist auf dem Balkan, da unten – dann sieht schon alles viel heller aus. Und wenn Euer Einsatz da unten nicht mehr so ganz von großer Wichtigkeit ist, da kann es sehr leicht möglich sein, daß dieser Antrag durchgeht! Vielleicht wird diese Möglichkeit auch von höherer Stelle begünstigt! Ach Du! Nur ganz leise erst, ganz heimlich freuen! Das wäre ja soo viel Glück! Du!! Diese Nachricht hat mich soo aus dem Häuschen gebracht! Sie hat mich doch beinahe mehr erfreut als Dein Geburtstagsgeschenk! Ach Geliebter! Du verstehst ja meine Freude! Du allein weißt, was es mir bedeutet, wenn Du mir bald, bald zurückkehrst! Ich denke nun immer daran im Geheimen! Du! Du!! Und ich freue mich heimlich mit Dir! Und ich hoffe! Und wünsche innig, daß unser Herrgott seinen Segen dazu gebe! Du!!! Gott behüte Dich mir! Er lasse dich mir gesund heimkehren! Ich liebe Dich! Oh! Du!! Ich liebe Dich!! Ich bin soo froh mit Dir Geliebter!

Ich bin ganz Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946