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[OBF-410424-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 24. April 1941

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Dein [Roland] sitzt draußen im Schulhof. Es mag gegen 5 Uhr sein. Es ist wieder ein frischer, sonniger Tag heute – und heute bleibe ich zu Haus. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Sie neigt schon wieder merklich nach Westen, in die Richtung zu meinem Herzlieb. Wird ihm vielleicht um eben diese Stunde die Stube erhellen und über den Scheitel streichen. Ach, ein wenig glücklicher sind die Menschen hier doch darum, daß sie einen längeren Sommer haben, daß sie jetzt schon tags und sogar abends im Freien sich bewegen können ohne zu frieren.

Eben streicht die Katze durch den Garten. Sie reagiert auf den Namen Miez wie die Katzen bei uns, aber sie ist sehr scheu. Katzen, Hunde und alles Getier sonst, hat dieselben Gebärden, spricht dieselbe Sprache in Bulgarien so wie zu Hause. Nur eben die Menschen sind durch die Sprachen getrennt, und zwar ist die Trennungswand des Nichtverstehens stärker als Blut und Rasse. Welch Leuchten in den Augen, wenn man sich nun über etwas verständigt hat oder aus dem Wörterbuch eines fremden Wortes bedient. Die Sprache ist der Schlüssel zum Herzen. Die bulgarische Sprache ist eine slawische Sprache, verwandt mit der tschechischen, der russischen, für uns deshalb schwer zu erkennen. Ein Kamerad ist des Russischen mächtig – er kann sich gut unterhalten. Die Bulgaren hinwieder haben mehr Mühe mit dem Deutschen als mit dem Französischen. Die französische Sprache hat eine einfache, klare Grammatik (= Sprachlehre, Du! Der Hubo hält Dich für dumm.).

Rassisch gewinnt man von dem Bulgarenvolke hier wenn auch kein einheitliches, so doch kein ungünstiges Bild. Das reine Blond und reine Schwarz sind selten. Selten auch Dunkelhäutige und Menschen mit jüdischem Einschlag. Im ganzen [sic] sind sie kleiner als wir. Das kriegt man im Kino zu spüren: Die Bankreihen stehen für uns zu dicht aneinander. Hin und wieder ist man überrascht, ein norddeutsches Gesicht zu sehen. Die Offiziere bilden ganz sichtbar eine Auslese des Volkes, ebenso die Schüler in Uniform. Die Schülerinnen sind alle ziemlich klein und blaß und zart. Wie wohl bei jeder großstädtischen Bevölkerung beobachtet man eine gewisse Regsamkeit und Beweglichkeit. Es wäre interessant und aufschlußreich, mal so die Spitzen der Stadt und die Intelligenz – die übrigens wenig in Erscheinung tritt – versammelt zu sehnen. Die Weiblichkeit – ob der Hubo da auch schon mal hingeguckt hat? Ja, Herzlieb, ganz unangefochten, ohne jedes Verlangen. Du!!!!! Weißt, es fehlt den meisten Gesichtern eine gewisse Holdseligkeit, ein gewisses Übersonntsein, nur in wenigen liest man ein tiefes Gemüt. Man sieht wohl viel Ebenmäßigkeit, aber etwas starr, etwas stier, maskenhaft; dieser Eindruck wird verstärkt durch die reichliche Bemalung. So, wie hierzulande der Frühling fehlt, der hoffnungsbeschwerte, hoffnungsverklärte mit der feinen, süßen Zartheit seiner Frühlingskinder, mit dem großen, lieben Frühlingswunder – so scheint diesen Menschen der Glanz und Idealismus und die Lebensfrische der Jugend zu fehlen.

Herzlieb! Sie jährt sich nun zum dritten Male, die Zeit, da dieses Frühlingswunder unser ganz persönliches Leben berührte!! Du!!! Da alles Hoffen und Sehnen, alles Träumen vom Glück, alle Kräfte und Strebungen zu höchstem Glück, aller Idealismus, alle gläubige Hingabe aufstanden in uns – oh, so mächtig wie nur einmal im Leben bis in die Tiefen des Herzens erschütternd! Welch reiche, selige Zeit, Frühlingszeit, Hochzeit des Lebens!! Schon in seinen ersten Briefen hat der Hubo alles aufzeichnen müssen, was ihn bewegte – ein rechtes Eheprogramm hat er aufgeschrieben. Du hattest mir geschrieben – ich war Dir fern, konnte Dich nicht sehen, nicht sprechen, konnte kaum nur Dein Bild und Wesen in die Erinnerung zurückrufen – und war doch erschüttert und tief bewegt von Deinem Ruf – und nahm es ganz ernst und schwer, so wie ich bin – und stellte Dich damit auf die Probe und vor die Wahl: Mochtest Du Dich von diesem Wesen angezogen fühlen – oder mochte es Dich befremden. Und aus Deinen lieben Boten und Antworten, deren ich zitternd wartete, wurde mir beglückend Gewißheit, daß wir zusammenstimmten in unseren Wesen, daß Deine Liebe ein[e] tiefe, edle und gläubige Regung war. Ach Herzlieb! In unseren ersten Boten waren wir uns schon so nahe!

Ihr Inhalt und Form, Inhalt und Ausdruck, – daß sie einander entsprechen macht die Schönheit jeden Kunstwerkes aus – macht auch den Wert einer Persönlichkeit und den Stil eines Menschen aus.

Herzlieb! Wie habe ich nun gespannt [sic] auf ein Bild von Dir – auch eine Begegnung mit Dir! Geliebte!!! Wie hat Dein Hubo gesehen in Deinem Bilde!! Du!! Du!!!!!

Eben habe ich sie wieder zur Hand genommen! Herzlieb!! Herzlieb!!! Wie schön sind sie!! Wie so lieb sind sie mir!!! Und ich verstehe sie heute so ganz, Du! Geliebte!!! Mein Herzlieb!!!!!

Dieses Verstehen mußte sich erst anbahnen – diesem Verstehen stand mancherlei hindernd im Wege. Ich will nur anführen, die mich betreffen: Dein Hubo, nun schon älter, war doch nun schon etwas eigensinnig – war in gewissem Sinne fertig – machte sich von mancherlei doch schon ganz feste Vorstellungen – er war ungeübt und unerfahren im Umgang mit der Weiblichkeit — und als er damals nach Rathen stürmte, da wollte er schon einnehmen, was er doch erst erobern mußte: all Dein Vertrauen und Zutrauen. Geliebte! Und das haben wir nun beide noch oft erleben müssen, daß zwei Herzen sich erst durchdringen und verschlingen Stück um Stück, Zug um Zug. Und so haben wir uns denn in unsrer Probezeit kennen gelernt und schätzen – Geliebte, und Du darfst auch rückblickend keinen Augenblick im Zweifel sein darüber, daß Dein [Roland] allzeit das beste gewollt hat, daß er mit aller Kraft, mit allem Ungestüm, mit bebender Hoffnung um unser Glück, um unsre Liebe besorgt war und nach dem Wege zu ihr hin ausschaute. Du!! Nie und nimmer hätte ich Dich losgelassen!!!

Ach weißt, es kommt mir heute alles so unwirklich vor, die ganze Geschichte unsrer Liebe, nun, da wir uns ganz haben!!! Herzlieb!!! So ganz ganz nahe sind wir uns, Du!!! sooo lieb vertraut gegen damals!!! Ich freue mich auf die Stunde, da wir rückblickend noch einmal uns der Stationen erinnern werden!!! Weißt, an das Bild muß ich denken, das uns damals heimlich als Symbol unsrer Hoffnungen galt: Mein Herzlieb liegt wie ein Rehlein neben dem Hubo, leicht neigen die Köpfchen zueinander, dort im Dunkel des Waldes vor der tiefen Schlucht in der Sächsischen Schweiz. Und ein wenig dunkel ist das Bild ausgefallen und so, daß man sofort zusehen muß – ein Blick in die Zukunft, Geliebte!!! Die sich uns herrlich erfüllte!!! Ach, wir wagten damals kaum daran zu rühren und waren doch beide ganz davon erfüllt. Herzlieb!!! Ach Dein [Roland]! Weiß nicht, warum ich denke, Du könntest manchmal daran gezweifelt haben. Du! Du!! Wie hat er sich beherrschen müssen – Geliebte! – Du! Du!! Wie überglücklich war ich oft – Du hast es gar nicht immer gemerkt!!!

Herzlieb! Meine [Hilde]!! Wir haben uns gefun[de]n! Unsre Liebe ist ein rechtes Frühlingskind – soviel Hoffen und Sehnen und Drängen – und ist nicht erfroren – nur ein paar kühle Nächte – und ist nun herrlich erblüht, Du!!!, ist im ersten, schönsten Erblühen, Herzlieb!!! Und wenn Dein [Roland] heimkehrt – Gott walte es, daß es recht bald geschehe – dann soll sie so schön erblühen, Du!!! und wir beide werden sie hegen und pflegen – ach! sie wird lange, lange erblühen, jung und schön – Du!!! Du!!!!!

Meine liebe, liebste [Hilde]!! Mein liebes, teures Weib!!! Gott behüte Dich! Er segne unseren Bund!

Ich liebe Dich von Herzen und bin Dir ganz treu!!! Ach, ich hänge so sehr an Dir – mein Leben ist an das Deine gekettet – Du bist sein Mittelpunkt – es kreist um Dich! Das sollst Du wissen und glauben!!!

Du liebst mich!!! So jubelt es in meinem Herzen, so klopft es unentwegt froh und glücklich. Du bist mein!!! Geliebte! Du sollst es bleiben!! Mit meiner Liebe und Treue halte ich Dich ganz ganz fest wie Du mich mit der Deinen!! Du! Meines Herzens Königin – und ich. Dein Mannerli Deines Herzens Vertrauter, ganz Dein – ganz mein, Du!!! Ganz uns!!!

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern recht herzlich!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946