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[OBF-410430-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 30. April 1941.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!!!

Du!!! Du!!!!! Sei recht dankbar mit mir, Geliebte!! Wir sind glücklich und wohlbehalten hier gelandet! Gestern abend schon. Ach Du! Du!! Wo fange ich zuerst mit dem Erzählen. O Du!! So viel, viel Neues bringen diese Tage – und viel Gutes, Herzlieb! Ganz ganz dankbar wollen wir sein!!!

Also Montagmorgen. ½ 5 Uhr Wecken. Es war noch dunkel. Schon am Sonntag waren die beiden Omnibusse vorgefahren – weißt, so die Sorte unsrer Blauforstwagen. Und nun begann ein toller Wirbel von Verrichtungen: Strohsäcke ausschütten, Munition fassen, Proviant fassen, Stuben säubern, noch einige Kisten verstauen, dazwischen sich selbst fertig machen mit dem ganzen Bummel Bammel – ¼ 9 Uhr war alles fertig. Unterdessen hatte sich der Schulhof gefüllt mit Menschen – Kinder, Mädchen, Frauen – meist aus der Nachbarschaft, auch Quartierleute der Feldwebel und Offiziere – alle mit Blumen, vielen schönen Blumen, manche auch mit Päckchen. Wir traten zum letzten Male an zur Musterung – brachten auf die Gastfreundlichkeit der Bulgaren ein dreifaches Hurra aus, und dann ließ der Leutnant noch das Schlesierlied singen (Kehrreim: „Wir sehn uns wieder“) – und dann strömte alles noch bunt durcheinander – und aus dem Gedränge schälten sich überschmückte Soldaten, umdrängt von den vielen Menschen – es war ganz rührend, viel mehr, als ich erwartet. Auch wir drei waren geschmückt: Schneeballen, Schwertlilien, Tulpen. Und nun in die Omnibusse. 22 Mann in einen Wagen – das ist eine ganz normale Besetzung – aber wir gern [es folgen ½  nicht lesbare Zeilen!] mit unseren [unlesbar] und Decken – das gab eine beängstigende Enge. Na, der Hubo kam in den besseren Bus zu sitzen. Und dann ging die Fuhre los – 10 Wagen, denen sich später noch 5 einer anderen Abteilung anschlossen – viel Winken und Grüßen, unsre Waschfrau war auch erschienen. Nun waren wir gespannt: 1. Wie lange die Reise wohl dauern würde. Man redete von 2–5 Tagen. 2. Wie wir fahren würden. 3. Wie es im griechischen Gebiet aussehen würde. Ach und noch viel mehr.

Wir ließen uns schon von den Fahrern erzählen – auch von der Strecke. Daß sie schwierig sein würde, wurde uns daraus klar, daß die Fahrer genau auf die Belastung achteten. Am Montagmorgen wollte unser Omnibusfahrer nicht losfahren, weil wir noch Seesäcke auf das Dach packten. Wir mußten sie wieder herunterholen.

Also zunächst einmal hinunter über die Mariza und dann westwärts. Ich sage Dir gleich erst mal die Route: Samokosvo – Dubnica – Kula (Grenze) – Kilkis – S. Das sind 500 km. Zunächst ging es eben hin auf gepflasterter Straße. Dann wurde sie schlecht und staubig, das Tempo verlangsamte sich. Und nun begann die erste Strecke durch den Engpaß – links herum, rechts herum, steil hinauf, hinab, ganz unmöglich scharfe Kurven, dicht dahinter Brücken; aber das war nur erst ein kleiner Vorgeschmack. Zur Erholung mal wieder eine lange Strecke im weiten Tale. Dabei lernten wir unseren Fahrer kennen: ein mächtiger, stämmiger Mann, ruhig, sicher, vertrauenerweckend. Im [sic] zur Seite ein Beifahrer und ein Dolmetscher. Bei herrlichstem Wetter begann die Fahrt durch das schöne, wohlbekannte bulgarische Land – begleitet von den malerischen Bergketten, immer neue stellten sich vor in ihrer stolzen, stummen Schönheit.

Gegen Mittag ein Halt. Wir kaufen ein Brot – suchen eine Waschgelegenheit und einen Lokus – es stellte sich alles, wenn auch primitiv, zur rechten Zeit ein. Weiter – und nun von der Hauptstraße nach Sofia ab in eine Nebenstraße. Ein Geholper – schlechte, steile Straße. Bald überholten wir einen Lastwagen mit Achsenbruch, dann noch einen, der erst mal verschnaufen mußte. Unterdessen hatte sich der Himmel verfinstert, und es begann zu regnen, der Wind blies mächtige Staubwolken und nahm für Sekunden jede Sicht. Wir fuhren an einem Feldflugplatz vorüber, der schon halb geräumt war. Bomben, Benzinfässer, Flugzeuge standen da in bunter Reihe durcheinander. Als dann nach dem gewitterartigen Regen die Sonne wieder durchkam, hatten wir immer wieder Gelegenheit, dieses schöne Land mit seiner majestätischen Bergwelt zu bewundern.

Dubniza an der Struma erreichten wir gegen 4 Uhr. Wir stiegen aus und waren froh, daß wir wieder einmal uns ausstrecken und treten konnten. Hier hatten wir nun 200 km hinter uns. Es war noch unbestimmt, ob wir diesen Ort als ersten Aufenthalt wählen würden. Zunächst sollte die auseinandergezogene Kolonne erst einmal sammeln. Weil es noch früh am Tage war, ging die Fuhre weiter. Nun begann eine sehr schöne Fahrt im Tale der Struma. Fluß, Straße und Bahn kreuzten und begleiteten einander in buntem Wechsel. Dann hoben wir uns in kühnen Windungen aus dem Tale auf die Höhe – im Lichte der scheidenden Sonne lag da gebreitet ein herrliches, weiträumiges Land: Maiengrün an Bäumen, auf Fluren – glänzend braune Schollen – graue Hänge, blaue Berge mit weißen Kronen – und hier und da hingelehnt die Orte mit weißleuchtenden Mauern. Nun in steilen Windungen wieder hinunter ins Tal. Gegen 7 Uhr Halt. Wir waren am Ziel – froh. Über die Hälfte der Strecke war glücklich zurückgelegt. Wir befanden uns in einem Städtchen von 12000 Einwohnern, hart an der jugoslawischen Grenze. Ein fröhliches buntes Auf und Ab noch in den Straßen – auch deutsche Soldaten, Gebirgsjäger – jugoslawische volksdeutsche Soldaten, sie laufen hier mit gelber Binde herum. Wir mischten uns ein wenig darunter.

Übernachten? Im Autobus. Das war eine unerfreuliche Aussicht – und war auch eine unerfreuliche Nacht – verkauert und verhockt, ungeschlafen [sic] wurden wir ½ 5 Uhr geweckt. Die Spannung machte uns munter. Wir hofften, am Abend unser Ziel zu erreichen. Wieder Talfahrt durch einen Engpaß. Wir hielten alle den Atem an. Schlechte Straße, mächtige Steigungen und Abfahrten in tollen Kurven – enge Straße. Begegnungen mit entgegenfahrenden Kolonnen – höchste Anforderungen an Fahrer und Fahrzeug. Ach Herzlieb! Der Gedanke, es könnte etwas passieren lag nur zu nahe – 1000erlei könnte passieren. Und links und rechts lagen gescheiterte Fahrzeuge, Zeugen furchtbarer Augenblicke. Wir atmeten recht auf, als diese Strecke überwunden war. Bei der nächsten Sammelstelle erfuhren wir, daß einer unsrer Lastwagen wegen Achsenbruch ausgefallen war. Gegen mittag gelangten wir an die Grenze – ein denkwürdiger Augenblick. Ich habe ihn auch im Bilde festgehalten. Viel schöne Bilder hätte ich mitnehmen können – wir hatten auch am 2. Tage schönstes Wetter – aber glaubst Du, ich hatte keine Andacht darauf. Kurz vor der Grenze ein Platz mit etwa 80 Kreuzen: letzter Ruheplatz deutscher Gefallener aus den Kämpfen hier.

Und nun hinein in „Feindesland“. Ein bulgarischer Feldwebel stieg zu. Erste frohe Überraschung: bessere Straße, Asphaltstraße bis Saloniki, an vielen Stellen aufgerissen, um den deutschen Vormarsch aufzuhalten. Wieder ein Engpaß, der, an dem unsre Soldaten beim Stoß auf Saloniki auf Widerstand stießen, den einzigen, aber hartnäckigen. Etwa 20 km lang mag diese Einfallstraße im Tale zwischen Felsen und steilen Wänden dahinführen. Die ersten Spuren des Kampfes: Bunker, versteckt, auch in den Felsen eingebaut. Ein zerschossener Panzer. Im Flusse ein Schlauchboot, Höckersperren gegen die Panzerwagen. Am Ausgange der Enge eine Befestigungswerk, von Bomben anscheinend außer Gefecht gesetzt. Eine Brücke über den Fluß gesprengt. Wir hatten mehr Spuren des Kampfes erwartet.

Herzlieb! Ich muß heute aufhören mit dem Erzählen. Die Kameraden wollen schlafen gehen. Wo Dein Hubo jetzt schreibt, wo er dann schläft, das erzählt er Dir morgen und übermorgen und noch später. Er hat ja so viel zu erzählen. Und heute hat er nun auch wieder Post bekommen, viel, viel, auch alle Nachzügler sind eingetroffen.

Du Herzlieb! Deinem [Roland] geht es jetzt viel gut [sic] – und Deine lieben Boten können ihm sein dankbare Freude. Sei für alles liebe Gedenken viellieb bedankt! Du!! Mein liebes, treues Weib!! Du!!! Mein Weib!!! Oh, wie glücklich bin ich mit Dir!!! Geliebte!!!

Behüte Dich Gott! Er wird uns beistehen und zu rechter Zeit wieder zueinanderführen. Herzlieb! Dein [Roland] denkt Deiner gar lieb und innig. Gleich wird er Dich mit in sein Gebet einschließen – und dann auch in seine Arme, in seine liebsten, heimlichsten Gedanken – Du!!! Du!!!!!

Herzallerliebste! Bitte berichte den lieben Eltern! Grüße sie recht herzlich! Du!! Ich küsse Dich!! Ich habe Dich ganz sehr lieb!! Ich bin immer und ewig ganz Dein [Roland]!!!

Du meine liebe [Hilde]!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946