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Briefkorpus

Donnerstag, den 1. Mai 1941

Mein liebes, teures Herz! Geliebte, Holde mein!! Meine [Hilde]!!!

1. Mai ist tatsächlich heute. Hier blühen die Rosen, sommerliche Hitze herrscht überall, und man kann richtig aus dem Kalender geraten. Wir haben wieder viel Arbeit mit dem Abladen und Einräumen und Reinmachen – ich habe mich eben mal bissel auf den Rand gemacht und beginne nun wieder mit meinem Erzählen.

Ich schilderte Dir unsre Fahrt wohl bis dahin, daß wir aus dem Engpaß herausfuhren, an einer gesprengten Brücke und einem Befestigungswerk vorüber. Wieder öffnete sich der Blick auf ein weites, weites Tal, umsäumt von Bergkränzen. An der Straße erschienen Kilometersteine, 100, 99, 98 zeigten sie, und wir hatten recht mit der Meinung, daß diese Zählung wohl von Saloniki aus vorgenommen sei. Und so zählten wir alle mit und wünschten, daß es bald 10 und 9 heißen möchte. Das war im heißen Mittag. Wir querten dieses breite Tal. Der Verkehr wurde dichter, immer mehr Wagenkolonnen begegneten und überholten uns. Das Land, anscheinend unfruchtbarer, fast baumlos und schlecht bebaut. Wir fuhren genau auf eine Bergkette von wohl 600 m Höhe los.

Und nun begann eine Paßfahrt über etwa 60 km, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Mächtige, unwahrscheinliche Steigungen, Kurven über Kurven, Steilkurven und Spitzkurven mit Brücken darunter. – und in diesem Stück viele Kolonnen. An den Rändern und Böschungen viel abgestürzte, zum Teil ausgebrannte Wagen. Es konnte einem das Gruseln ankommen. Und diese Strecke nahm und nahm kein Ende. Mitten in einer steilen Steigung mußten wir halten – das Wasser im Kühler kochte. Wenn das nur erst vorbei wäre! Das war unser aller Gedanke. Und es ging auch alles gut und gnädig vorbei – es winkte das Ziel: Saloniki oder Thessalonich. Wir fuhren langsam durch die von Fahrzeugen fast verstopfte Stadt zum Hafen. Ich atmete auf. Diese Fahrt war eine Nervenprobe wieder, für den Fahrer ganz besonders, aber auch für uns. Wir waren froh, daß wir es in 2 Tagen schafften und nicht noch einmal im Wagen nächtigen mußten. Im Hafengelände sahen wir nun auch etliche von unseren Kameraden des Vorkommandos. Sie fragten nach unsrer Reise, wir fragten nach den Verhältnissen, die unsrer warteten. Aber zunächst war der Hubo wieder einmal ganz gefangen von dem bunten Bild aus dem Bilderbuch der Welt. Das blaue Meer – fast umrahmt mit mächtigen Gipfeln, darunter der Olymp – die Bucht, die Uferstraße mit ihren großen, weißen Hotelpalästen – die Stadt, die zur Zitadelle terrassenförmig ansteigt und an der Bucht lang sich hinstreckt – das ist ein selten schönes Bild, das mich immer von neuem entzückt, auf das ich mich täglich freue, auch darauf, es in den verschiedensten Stimmungen zu schauen. Bald werde ich Dir Bilder schicken können.

Herzlieb! Du mußt mir wieder Filme versorgen [sic], hier bekomme ich keine! Bis zu 10 Stück kannst Du getrost wieder zusammenkaufen.

Ja, und nun unsre Unterkunft. Einen Tag vor unsrer Ankunft war unsre Kompanie umgezogen und eingezogen in eine Pension am Meer, eine Hotelpension, ein 3 stöckiges großes Haus mit vielen Zimmern und Balkonen und reichlich Platz. Das war nun die Krönung unsres Frohseins: keine Kaserne, kein Massenquartier. Richtige Stuben, Bettstellen, Matratzen. Wenn auch nicht so glänzend wie Siegfrieds in Frankreich, aber doch ganz erfreulich. Und dazu, freilich nur diese Woche, ein Leben wie die Grafen. Gegessen zu allen Mahlzeiten in einem der ersten Hotels am Meere. Frühmorgens Brötchen mit Marmelade und Butter und Milch, mittags Suppe, Hammelbraten mit jungem Gemüse und Salat, dazu ein Stück Kuchen – abends Suppe, ein warmes Gericht mit Salat. Herzlieb, wir haben einander ganz verdutzt angesehen – an weißen Tischen, fein bedient, die Musik spielt auf dazu.

Unsre Pension liegt fast 20 Minuten vom Hafen und Hotel. Aber da gibt es eine Straßenbahn – und auf die dürfen wir nach Herzenslust draufsteigen ohne zu bezahlen. – Ach, so könnte ich noch lange erzählen – und mein Herzlieb könnte denken, der Hubo ist jetzt im gelobten Lande, ist am Ziel seiner Wünsche – und das wäre doch ganz falsch – oh Geliebte!!! Und nun muß ich mein Erzählen richtig ein bißchen einteilen. Morgen will ich Dir von unserm Haus erzählen – von der Stadt, wenn ich sie mal durchstreift habe.

Es ist ja so eigenartig, sich unter diesen Menschen, – es sind richtige Großstädter – zu bewegen, als „Sieger unter Besiegten“. Sie sind alle noch sehr zurückhaltend. Die Stadt zeigt kaum sichtbare Spuren des Krieges, nur etliche Zerstörungen durch ein Bombardement der Staliener. Urlaub hatten wir bisher noch keinen.

Mit dem Erzählen will ich aufhören, damit ich meinem Herzlieb auch sagen kann, daß ich es sooo sehr lieb habe – Du, mein liebes teures Herz – Gott war mit mir – ich lebe Dir noch  – Geliebte, ich darf noch Dir gehören – Du!! Du!!! Das ist doch mein ganzes Glück – daß Du mein wartest, oh sooo lieb!!! – daß ich Dich in der Heimat weiß, so tröstlich und frohgemut macht es mich!

Herzlieb, ich muß an Deinen Boten denken, den neuesten vom 18. April: Kinder am laufendem Band – – Ach weißt Du, Herzlieb – wenn ich Dich mit diesen Sorgen allein daheim wüßte – wenn Du Deine Sorge teilen müßtest – wenn wir nicht alle Kraft auf unser [sic] Gedanken richten könnten – ich denke, das Kindlein könnte gar nicht recht gedeihen in dieser Unruhe, der beständigen Sorge. Geliebte!!! Du denkst dazu so wie ich.

Und der andere Gedanke: daß Du so allein stündest, als ob gar kein Vater zu diesem Kindlein wäre – dieser Gedanke ist mir schier unerträglich. Wir möchten doch beide darum sein – Du!!! – Es wächst ja nicht nur im Mutterleibe an Fleisch und Gliedern, sondern – so glaube ich – doch auch in seiner seelischen Bestimmung – Dein Hubo kommt sich bei alledem gar nicht so überflüssig und unentbehrlich vor, Du!!! Du!!!!! Es soll doch ganz lieb gebettet sein, unser Kindlein, auch in dem Einklang unsrer Liebe und Herzen.

Geliebte, ich weiß, Du verstehst mich. Du nimmst das alles so ernst und wichtig und bedeutsam und ‚heilig‘ wie Dein [Roland] – es soll die Krönung unsrer Liebe und unsres Lebens sein. Ein ganz liebes und feines Kindlein möchten wir einander schenken, es soll doch unser Liebstes sein!!! Unsrer großen Liebe gleich und ebenbürtig! Gott gebe dazu seinen Segen!

Auch die lustige Seite berühend: Unterwegs beobachtete Dein Hubo was ganz Seltenes – wir standen auf dem Marktplatz einer Stadt, und da war es, und der Hubo zeigte mit den Fingern danach wie ein Kind, daß die Kameraden ihn zur Ordnung rufen mußten: Weißt, der Storch beißt nicht nur die Mädchen ins Bein! Herr Storch flog zu Neste. Frau Storch hockte schon darin. ‚Er‘ reichte ‚Ihr‘ einen Frosch, stopfte ihn in den Schnabel, worauf ,Sie‘ sich erhob – Vater Storch aber – nicht zufrieden anscheinend mit der schwindelnden Höhe seines Nestes – hüpfte unbeho[lf]en der mMama Storch auf den Rücken — und biß sie ins Bein! Das sah arg nach käuflicher Liebe aus!! Störche sieht man hier allenthalben – vielmehr als Osterhasen, und eine Bestellung an jenen ist leichter aufzugeben als an diesen.

Mein Herzlieb hat wieder so fleißig gewaschen – und hat trotzdem alle Tage meiner so lieb gedacht, ich bin Dir so dankbar darum! Ach, nun freue ich mich wieder ganz sehr auf die lieben Boten – wie ich mich auch auf das Plauderstündchen mit meinem Herzlieb freue.

Meine liebe [Hilde]! Ganz nah bist Du mir hier bei allem Schauen und Entdecken des Neuen. Das macht hier noch bedeutend mehr Freude als in Plovdiv. Viel städtischer ist alles hier. Man sieht die Menschen an doch immerfort mit dem Gedanken, daß sie doch irgendwie noch Nachfahren sind der alten Griechen mit ihrer hohen Kultur. Hier in S. hat auch der Apostel Paulus gewirkt.

Herzlieb! Morgen will ich wieder mit Dir plaudern. Behüte Dich Gott! Du!! Du!!! Ich habe Dich!! Und Du bleibst mir!!! Bleibst treu und lieb ganz mein!!! Oh Du!! Meine liebe [Hilde]!! Mein liebes Weib!! Du! Mit Dir will ich durch dieses Leben gehen – Dich will ich ganz glücklich machen und erfüllen! Gott gebe dazu seinen Segen!

Er behüte Dich auf allen Wegen! Ich bin mit aller Liebe und Treue ewig Dein [Roland]!!! Du!!!!!

Herzlieb!!! Geliebte mein!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946